Nicht nur in ihrem Heimatland sorgte 1995 die Biologin Christiane Nüsslein-Volhard aus Tübingen für großes Aufsehen: Sie erhielt damals als erste deutsche Forscherin den "Nobelpreis für Medizin". Mit dieser hohen Auszeichnung würdigte man ihre epochemachende Entdeckung über die grundlegenden genetischen Steuerungsmechanismen der Embryonalentwicklung. Der Nobelpreis wurde ihr zusammen mit den amerikanischen Entwicklungsbiologen Edward B. Lewis und Eric Wieschaus zugesprochen.
Christiane Volhard, so ihr Geburtsname, kam am 20. Oktober 1942 in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) als zweites von fünf Kindern des Architekten Rolf Volhard und der Kindergärtnerin Brigitte, geborene Haas, zur Welt. 1946 suchte ihre Familie im Haus des Großvaters, eines Herz- und Nierenspezialisten, in Frankfurt-Sachsenhausen Zuflucht.
Nach dem Abitur am "Schiller-Gymnasium" in Frankfurt am Main studierte
Christiane Nüsslein-Volhard von 1962 bis 1964 Biologie, Physik und Chemie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt und ab 1964 Biochemie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, wo sie 1968 ein Diplom erwarb. Ab 1969 wirkte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Tübinger "Max-Planck-Institut für Virusforschung", wo sie ihre Diplom- und Doktorarbeit schrieb. 1973 promovierte sie zum "Doktor der Naturwissenschaft".
Danach blieb Christiane Nüsslein-Volhard bis 1974 am Max-Planck-Institut, wechselte dann mit einem Forschungsstipendium 1975/1976 an das Laboratorium von Professor Walter Gehring im "Biozentrum Basel", 1977 als Stipendiatin der "Deutschen Forschungsgemeinschaft" (DFG) an das Laboratorium von Professor Klaus Sander an der Universität Freiburg/Breisgau. Von 1978 bis 1980 fungierte sie als Forschungsgruppenleiter am "Europäischen Molekularbiologischen Laboratorium" (EMBL) in Heidelberg.
1981 kehrte Christiane Nüsslein-Volhard zur Max-Planck-Gesellschaft (MPG) zurück. Bis 1985 wirkte sie als Forschungsgruppenleiterin am Tübinger "Friedrich-Miescher-Laboratorium", danach übernahm sie als Wissenschaftliches Mitglied der MPG das Amt der Direktorin am Tübinger "Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie". Es folgten Gast-Lehraufträge an der "Harvard Medical School" (1988, 1991), der Yale University (1989), der Rockefeller University (1991) und der Indiana University (1994). An der Tübinger Universität hat sie seit 1991 eine Honorarprofessur.
1995 wurde Christiane Nüsslein-Volhard für ihre Entdeckungen auf dem Gebiet der "genetischen Kontrolle der frühen Embryonalentwicklung" der "Nobelpreis für Medizin" verliehen. Außer ihr haben auch die amerikanischen Entwicklungsbiologen Eric Wieschaus und Edward B. Lewis den Medizin-Nobelpreis erhalten.
Christiane Nüsslein-Volhard und Eric Wieschaus identifizierten und systematisierten Gene, welche im Ei der Taufliege ("Drosophila melanogaster") die Anlage des Körperplans und der Segmente steuern. Dabei betrachteten sie mehr als 20000 verschiedene Taufliegen-Mutanten unter dem Mikroskop und untersuchten sie genetisch.
Edward B. Lewis fand heraus, auf welche Weise die Gene die Entwicklung der verschiedenen Körperteile steuern. Obwohl sich die Untersuchungen der drei Forscher nur auf die Taufliege beschränkten, können die Ergebnisse auch auf höhere Lebewesen bis hin zum Menschen übertragen werden. Nach den Insekten wurde später der Zebrafisch ("Brachydanio rerio") als erstes Wirbeltier zum bevorzugten Gegenstand der entwicklungsbiologischen Arbeiten von Christiane Nüsslein-Volhard.
Die erste deutsche Nobelpreisträgerin für Medizin wurde mit Auszeichnungen, die man unmöglich alle aufzählen kann, geradezu überhäuft. Christiane Nüsslein-Volhard erhielt Medaillen, Preise, Ehrendoktortitel (1991 Utrecht Universiteit, Princeton University, 1993 Freiburg/Breisgau, Harvard University) und 1994 das "Verdienstkreuz des Verdienstordens" der Bundesrepublik Deutschland.
1998 gründete Christiane Nüsslein-Volhard zusammen mit dem langjährigen Manager der Bayer AG, Peter Stadler, und dem Kölner Genetiker Klaus Rajewsky eine Firma für Biotechnologie namens "Artemis Pharmaceutical AG".
Christiane Nüsslein-Volhard war von 1967 bis 1977 mit dem Physiker Volker Nüsslein verheiratet. Die kinderlose Ehe wurde 1977 geschieden. Zu den Hobbys der Nobelpreisträgerin gehören Flötespielen, Kochen, Gartenarbeit und das Hören klassischer Musik.
Ernst Probst / Oktober 2002
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