Nach der Moderne - Restmoderne
von Benedikt Köhler
Haus der NGG, Gotzkowskystra&e, Tiergarten; die alltägliche Nachkriegsarchitektur in Berlin; Online-Ausstellung
www.restmodern.de von Oliver Elser und Andreas Muhs; (C)Oliver Elser und Andreas Muhs 2003
In den 1980er Jahren hieß man uns schon überschwänglich in dem
postmodernen Zeitalter willkommen. Architektur sei - so sagte der
Erfinder des Schlagwortes, Charles Jencks - von nun an doppelt
kodiert. Nicht nur die Elite verdient einen Zugang zu den heiligen
Stätten der Baukunst, sondern auch die breite Masse. Gebäude dienen
als Metapher und stehen dadurch nicht nur in dem intellektuellen
Diskurs der Architektur, sondern zugleich auch innerhalb der -
mitunter banalen - Geschmackskultur der Bewohner.
Der Architekt Robert Venturi sah eine neue Sowohl-als-auch-Architektur
dämmern, die allein in ihrer Vielfalt von Bedeutungen und
Nutzungsformen als Einheit wahrgenommen werden kann. Vereinfachung ist
kein Ziel mehr für sich. So hat sich auch die Form nicht mehr nur nach
der Funktion zu richten, sondern ist erwachsen geworden und darf die
eigene Mannigfaltigkeit ausspielen.
Dass aber der Begriff der Postmoderne nur die Sonnenseite eines
anderen Ganzen ist und damit auch einen verdrängten Doppelgänger
besitzt, verdeutlicht die Internetseite www.restmodern.de des
Architekturkritikers Oliver Elsers und des Fotographen Andreas Muhs.
Diese virtuelle Ausstellung zeigt anhand der Stadt Berlin "die
typischen, aber vom Verschwinden bedrohten Bauten und Details der
Nachkriegsmoderne". Der Blick richtet sich hier nicht auf die
architektonischen Stars, sondern auf die zeittypischen, im
Alltagsgebrauch abgegriffenen Bauten, deren Architekten noch nie
bekannt oder aber schon lange in der Vergessenheit verschwunden sind.
Die Restmoderne ist also eine virtuelle Epoche der Architektur, die
einzig davon zusammengehalten wird, dass ihre Ikonen die nächsten zehn
bis zwanzig Jahre vermutlich nicht überleben werden.
Die hier versammelten Bauwerke wie zum Beispiel der Spar in der
Tauroggener Straße (Charlottenburg) oder das Parkhaus in der
Chausseestraße (Wedding) könnten alle in einer beliebigen deutschen
Stadt stehen und wären vermutlich an jedem Ort sichere
Abrisskandidaten. Dennoch zeigen sie ein "Rest-Deutschland", das
durch sein Grau sowie seine Kantigkeit und Lieblosigkeit in den
entstandenen Zwischenräumen geradezu einen Widerstand in Form von
quirligem Leben heraufbeschwört.
Aus dieser Perspektive wird die Alternative zwischen einer modernen
Einfachkodierung und einer postmodernen Mehrfachkodierung als solche
hinfällig. Die hier ausgestellte Architektur, etwa der müllbedeckte
Beton-Blumenkübel in der Genter Straße (Wedding), lässt erkennen, dass
Kodierung keine Eigenschaft ist, sondern ein widersprüchlicher und
standpunktabhängiger Prozess, der nie abgeschlossen ist.
Jedes Objekt präsentiert sich hier als Kreuzung zwischen
unterschiedlichen Welten oder, mit dem deutschen Philosophen Gotthard
Günther, "Kontexturen". In jeder Kontextur besitzt es aber
unterschiedliche Bedeutungen, so dass die Bewohner dieser Welten sich
zwar auf das gleiche Objekt beziehen können, ohne sich dabei aber
jemals zu verstehen.
Diese Unterschiedlichkeit des Gleichen stellt aber keine postmoderne
Beliebigkeit mehr dar, in der ein Architekt Bedeutungen für
verschiedene Publika in ein und demselben Gebäude versteckt.
Stattdessen müssen die fremden Kodierungen und Bedeutungen im Sinne
einer "restmodernen Missliebigkeit" akzeptiert und ertragen werden,
auch wenn sie unverständlich bleiben.
Benedikt Köhler / August 2003
siehe auch: www.restmodern.de
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