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14. April 2012, Theater im Bauturm

DER GOLDENE DRACHE

von Roland Schimmelpfennig


Foto (C) Anja Reiermann


Globaler Schmerz, extra scharf

Die fünfköpfige asiatische Küchencrew des Thai-China-Vietnam-Schnellrestaurants Der goldene Drache ist ein Team aus perfekt aufeinander gespielten Köchen. Wenn die drei Männer und zwei Frauen in ihren grellorangenen Schürzen in Reih und Glied stehen, martialisch die Messer - oder sind es Drumsticks? - wetzen und die Zutaten der bestellten Gerichte im Sprechchor skandieren, hat das was von angriffslustigen Samurai. Eine diffuse Ahnung von Gewalt und Unheil kommt also nicht von ungefähr. Doch der Asia-Imbiss im Parterre ist nur das Herzstück eines Hauses, in dem sich noch weitere dramatische Szenen zwischen (Ex-)Geliebten, Verwandten und Freunden abspielen.

Ein Reihe von Episoden in gerade noch überschaubaren Personenkonstellationen verbindet Roland Schimmelpfennig in seinem Stück Der goldene Drache, das 2010 mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet wurde. Im Mittelpunkt der lose miteinander verflochtenen Geschichten steht das Schicksal eines jungen chinesischen Kochs, der auf der Suche nach seiner Schwester in besagtem Lokal landet – nichtsahnend, dass die Gesuchte nebenan ihr Leben als Zwangsprostituierte fristet. Der Chinese selbst muss sich einer absurden, schmerzhaften „Operation“ unterziehen, bei der er letzten Endes mehr verliert als einen morschen, fauligen Zahn.

Die Konflikte der anderen Hausbewohner entfalten sich wie beiläufig in oft nur angerissenen Dialogen. Im Grunde sind es alltägliche Stories einfacher Menschen, aber es geht hier auch um die großen Themen: Ausbeutung, Heimatverlust, Menschenwürde, Entfremdung. Schimmelpfennigs Werk ist aber kein weltkluges Moralstück, sonder eine tiefschwarze Komödie, lakonisch und zynisch zugleich.

Regisseur Rüdiger Pape schickt seine fünf Akteure im Kölner Theater im Bauturm auf eine vordergründig glatt durchchoreographierte Höllenfahrt durch diese Abgründe. Dem Zuschauer wird dabei einiges abverlangt: Starke Nerven, weil die menschlichen Untiefen hinter der lieblichen Goldfolien-Fassade des Asia-Restaurants ins Bodenlose gehen. Und volle Konzentration, da die Darsteller jeweils in rascher Abfolge in nicht weniger als drei bis vier verschiedene Rollen schlüpfen, sich auch mal vorne am Bühnenrand umziehen, da das schräge Lattenkonstrukt inmitten der Bühne ohnehin keinen Rückzugsraum für die Schauspieler abgrenzt. Immer wieder treten sie für Momente aus ihrer Rolle heraus und tragen Regieanweisungen vor: „Kurze Pause!“ rufen sie, wie um Atem zu holen. Beides, das neue Ich und das Luftholen, bleibt den von ihren verkörperten Figuren tragischerweise verwehrt.

Binnen Sekunden werden Geschlechterrollen und Klischees vom Asiaten elegant und völlig treffsicher über den Haufen gefahren. Die blonde Stewardess (Kai Hufnagel) – Hausbewohnerin und Gast im Goldenen Drachen – wird da zum Beispiel zur Frau im roten Kleid, während der Chinese mit den Zahnschmerzen (Rebecca Madita Hundt) zum „Macker“ der Brünetten mutiert. Verblüffenderweise öffnet gerade dies den Blick auf die Figuren, zerbrechlich und selbstgerecht, wie sie sich Schimmelpfennig gedacht hat. Einige der Travestie-Szenen sind aber auch echte Brüller, da hätte man der nüchternen, feinen Ironie der Textvorlage zuliebe das Klaumaukige ruhig ein wenig herunterschrauben können. Trotz allem ist gerade dieser Wechsel im Tonfall gut durchdacht: Bei den düsteren, ernsten Szenen, die auf die amüsanten Passagen folgen, bleibt einem leicht das Lachen im Halse stecken. La Fontaines unschuldige Parabel von der Grille und der Ameise, hier verkörpert von Manuel Moser und Eva Horstmann, dient derweil als Vehikel für eines der dunkelsten Kapitel europäischer Migration.

Dieser drastische Kontrast tritt in der zweiten Hälfte des Abends noch einmal stärker zutage, wenn die Zutatenlisten immer länger zu werden scheinen und der Kunstgriff mit der showartigen Drumstick-Performance sich langsam abnutzt. Der Wahnsinn der Akkordarbeit in der engen, heißen Küche des Goldenen Drachen kann am Ende auch nicht mehr die Leichen im quasi hauseigenen Keller verbergen. Neben dem großen Drama um das chinesische Geschwisterpaar stehen aber auch gleichberechtigt die kleinen Dramen der anderen Charaktere. Der Großvater, seine ungewollt schwangere Enkelin, die brünette Flugbegleiterin (Till Brinkmann): Sie alle zerbrechen daran, nicht aus ihrer Situation und ihrer Haut zu können. „Wenn ich bloß woanders / wieder jung / jemand anders wäre“, ist da oft zu hören.

Wenn die Regie die Akteure dieses temporeiche Spiel mit allzu viel grotesken Elementen durchexerzieren lässt, dann nur, um den Figuren mehr Gewicht zu verleihen. Es braucht vielleicht eine Weile, hinter den Masterplan des dramaturgischen Konzepts zu steigen, dann wird allerdings einiges klar: Figuren wie etwa die misshandelte Chinesin (Manuel Moser), die im Schein der grünen Neonröhren anmutig Tänze aufführt, werden nicht etwa der Lächerlichkeit preisgegeben; ganz im Gegenteil.

Rüdiger Pape inszeniert mit Gespür für Timing und Rhythmus und leitet hier ein Ensemble, das durch darstellerische Präzisionsarbeit glänzt. Das macht aus Der goldene Drache im Bauturm eine insgesamt stimmige, eindringlich bebilderte Inszenierung, die zwar bisweilen etwas anstrengend und zu druckvoll, aber alles andere als Fast Food ist.




Der goldene Drache von Roland Schimmelpfennig am Kölner Theater im Bauturm - Foto (C) Anja Reiermann


Jaleh Ojan - 17. April 2012
ID 5856
DER GOLDENE DRACHE (Theater im Bauturm, 14.04.2012)
Bühne: Flavia Schwedler
Kostüme: Regina Rösing
Dramaturgie: Sarah Youssef
Regieassistenz: Benedikt Butz
Licht, Technik und Bühne: Thomas Moerl (techn. Leitung), Dirk Baron, Roland Blontrock, Udo Buckers, Heiko Bujak
Requisite: Stephan Geyer
Darsteller: Till Brinkmann, Eva Horstmann, Kai Hufnagel, Rebecca Madita Hundt, Manuel Moser
Eine Koproduktion von „GbR Der Goldene Drache“ und Theater im Bauturm
Weitere Termine: 18. - 21., 30. 4. / 1. - 4., 16. - 19. 5. 2012


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-im-bauturm.de/


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