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Pressedienst Wissenschaft der Freien Universitaet Berlin

Ueber die Machtstrukturen der Berliner Kommunalpolitik

FU-Politikwissenschaftler analysiert Stadterneuerungskonzept

Die Berliner "Behutsame Stadterneuerung" war in den 1980er Jahren das wahrscheinlich am meisten beachtete wohnungspolitische Reformexperiment der Bundesrepublik. Nach dem Fall der Mauer wurde es nach Ost-Berlin exportiert - und verlor dabei zunehmend an Substanz. Von einem sozialstaatlichen Sanierungsprogramm wandelte es sich hin zu einem "Spiel mit dem Markt" mit weniger oeffentlichen Subventionen, weniger Buergerbeteiligung, hoeheren Mieten und einer zunehmenden Orientierung an den Beduerfnissen privater Hauseigentuemer. In seiner an der Freien Universitaet Berlin entstandenen Dissertation stellt Dr. Matthias Bernt die politischen Entscheidungen und Kraefteverhaeltnisse, die zu dieser Entwicklung fuehrten, in den Mittelpunkt der Betrachtung und analysiert, welche Akteure sich in den Entscheidungen ueber den Kurs der Berliner Sanierungspolitik in den 1990er Jahren durchsetzen konnten. Der Politikwissenschaftler zeichnet ein aufschlussreiches Bild der Machtverteilung in einem zentralen Feld der Berliner Kommunalpolitik und schreibt die spannende Geschichte von Aufstieg und Niedergang einer prominenten stadtpolitischen Innovation. Fuer seine Studie, die er auf die Bezirke Kreuzberg und Prenzlauer Berg beschraenkt, fuehrte Matthias Bernt 14 Experteninterviews: mit den Spitzen der Verwaltung, aber auch mit Verwaltungsangestellten, Vertretern von Betroffenen oder Sachverstaendigen.

"Flaechensanierung" lautete das Motto des sozial-liberalen Senats im West-Berlin der 1960er und 1970er Jahre. Ganze Haeuserbloecke wurden abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Ziel dieser Massnahme war die Verbesserung der Sozialstruktur und der Bausubstanz, wobei der Gerechtigkeitsgedanke der Sozialdemokratie im Vordergrund stand. Diese Sanierungspolitik aenderte sich in den 1980er Jahren grundlegend. In Kreuzberg, vor allem im damaligen SO 36, hatte es massive Proteste gegen die Abrisssanierung gegeben, die bis zu "Instandbesetzungen" der betroffenen Haeuser und Strassenschlachten mit der Polizei fuehrten. Unter der Regierung Richard von Weizsaeckers wurde infolgedessen die so genannte "Behutsame Stadterneuerung" eingefuehrt.

Das neue "anti-autoritaere" Konzept bestand aus zwoelf Grundsaetzen und enthielt unter anderem die Vereinbarungen, dass die Erneuerung mit den aktuellen Nutzern geplant und realisiert sowie die Bausubstanz grundsaetzlich erhalten werden muesse. Es sollte feste Finanzierungszusagen seitens des Senats geben, die Entscheidungsfindung mit Betroffenenvereinen und Buergerinitiativen grunddemokratisch geregelt werden und das Konzept ueber 1984 hinaus weiterlaufen. Ein besonderer Akteur war in der Vermittlung dieser Grundsaetze die "Internationale Bauausstellung Berlin GmbH" (IBA). Gegruendet zur Planung und Praesentation von neuen Wohnkonzepten teilte sie sich spaeter in IBA-Neu und IBA-Alt, die fuer Stadtneubau respektive Stadterneuerung zustaendig waren. Die Folge der Etablierung neuer Traeger, wie der IBA, einerseits und der Hinwendung des Staates zu einer neuen Sanierungspolitik andererseits war in den spaeten 1980er Jahren in West-Berlin die Entstehung eines staedtischen "Regimes", das wesentliche Entscheidungen ueber die Sanierungspolitik entschied und die Beibehaltung der erkaempften "Behutsamen Stadterneuerung" ueberwachte.

In Ost-Berlin hatte es kurz vor der Wende in Prenzlauer Berg eine aehnliche Entwicklung gegeben wie in Kreuzberg 1980/81. Buergerinitiativen formierten sich gegen den Verfall der Bausubstanz und den geplanten Abriss. Warum sollten die Mieter auf ihre zumeist selbst instand gesetzten Wohnungen verzichten? Zu einer Eskalation des Konflikts kam es jedoch nicht mehr. "Nach der Wiedervereinigung mussten sich die Ost-Berliner mit der voelligen Entwertung ihrer Erfahrungen, Kontakte und Arbeitszusammenhaenge abfinden, so dass sie die Uebernahme der Sanierung durch die West-Berliner Strukturen nicht verhindern konnten", erklaert Matthias Bernt. Dass die einfache Uebernahme des Sanierungsmodells in Prenzlauer Berg scheitern wuerde, sei abzusehen gewesen. "Der Staat konnte sich die oeffentliche Finanzierung der "Behutsamen Stadterneuerung" nicht mehr leisten, zog sich zurueck und foerderte nur noch indirekt private Investoren ueber Steuerabschreibungen." Kommunale Wohnungsbaugesellschaften und treuhaenderische Sanierungstraeger profitierten von dieser Regelung nicht.

Das aus West-Berlin uebernommene "Urban Regime" zur Stadterneuerung, das sich aus Vertretern von Buergerinitiativen, die teilweise Karriere in den Verwaltungen gemacht hatten, Teilen der Senatsverwaltung fuer Bau- und Wohnungswesen und privaten Planungsbueros zusammensetzte, wurde damit "halbiert". Die Buergerinitiativen und die Privatwirtschaft waren nicht mehr eingebunden. Die Grundsaetze der achtziger Jahre wurden folgerichtig und mit viel Streit abgeaendert. Das Hauptaugenmerk liegt heute auf den Interessen der Investoren. Innovative Instrumente zum Schutz der Mieter vor Verdraengung wurden zwar in den 1990er Jahren eingefuehrt, jedoch immer mit grosser zeitlicher Verzoegerung und nach langen politischen Auseinandersetzungen. Ihre konkrete Ausgestaltung reduzierte die Wirksamkeit zugunsten der Interessen der Wohnungswirtschaft. Matthias Bernt: "Die Gefahr der Verdraengung armer Bevoelkerungsschichten wurde mit diesen Kompromissen immer nur aufgeschoben und abgebremst, aber nie wirklich bekaempft. Der Grund dafuer liegt in der Furcht, private Investoren durch zu restriktive Regelungen zu verschrecken."

Interessant sind Matthias Bernts Erkenntnisse zu Struktur und Verhalten der Eliten: Die Beziehungen innerhalb des "Regimes" sind groesstenteils informell und damit wenig stabil. Die Beteiligten muessen sich immer wieder schnell auf sich veraendernde Voraussetzungen einstellen. "Gelingen konnte die "Behutsame Stadterneuerung" nur, weil alle Beteiligten davon profitierten, sei es durch Imagezuwachs, finanziellen Gewinn, Jobs oder Auftragseingaenge", weiss Bernt. Der Nachteil eines solchen "Urban Regime" sei jedoch, dass "nur die Politik durchgesetzt wird, die allen Akteuren von Nutzen ist - Machterhalt ist das Ziel". Problematische Entscheidungen wuerden verschoben, verkleinert und in loesbare Teilbereiche aufgegliedert.

Der Erfolg der "Behutsamen Stadterneuerung" fuehrte dazu, dass ihre Struktur auf das neue Problem in Prenzlauer Berg uebertragen wurde. Die "Reduktion von Politikalternativen" erleichterte zwar eine Entscheidung, die Strategiefindung wurde jedoch "intellektuell amputiert". Durch die Aenderung der Grundsaetze fuer die Sanierung wich die Realitaet immer mehr vom Ideal ab, da die Rahmenbedingungen in Prenzlauer Berg anders waren als in Kreuzberg. Nur der Kern wurde beibehalten.

Zur Zukunft der "Behutsamen Stadterneuerung" meint Matthias Bernt, dass das "halbierte Regime aus Verwaltung und Planungsgesellschaften" sich in einem Schwebezustand befinde. So sagt er: "Entweder man integriert die fehlende Haelfte wieder - zum Beispiel durch mehr oeffentliche Foerderung oder Interventionen in die Eigentuemerstruktur. Oder das Marktprinzip wird weiter gestaerkt, und es gehen noch mehr sozialpolitische Handlungsraeume verloren. Steigende Mieten und damit eine einkommensabhaengige Selektion der Mieter waeren die Folge."

Von Fabian Fehrs, 27. August 2003

Literatur: Matthias Bernt, Ruebergeklappt. Die "Behutsame Stadterneuerung" im Berlin der 90er Jahre, Berlin: Schelzky & Jeep, 2003, ISBN 3-89541-163-9

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Dr. Matthias Bernt, E-Mail: bernt@alok.ufz.de


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