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Extra-Themen: Gesellschaft, Kultur, Politik

Das nordkoreanische Bildungssystem

Viel ist in den letzten Jahren über Nordkorea geschrieben worden, hauptsächlich über die politischen Verhältnisse im Land und über die verwüstete Wirtschaft. Um die gesellschaftliche Situation in Nordkorea besser zu verstehen, schadet aber auch ein Blick auf das Bildungssystem nicht. Die Situation des Bildungssystems in Nordkorea ist in mancher Hinsicht grundlegend anders als die in den westlichen und auch in anderen Industrieländern. In den westlichen Ländern ist es schon längst üblich, daß alle Schüler die Mittelschule abschließen und daß die meisten das Abitur machen. Das Abitur ist zwar auch nicht mehr das, was es einmal war. Aber dafür gehen wiederum viele Abiturienten auf eine Universität oder eine Fachhochschule.
In Nordkorea ist das alles ein wenig anders. Dort herrscht zwar auch Schulpflicht, und alle Schüler verlassen nach elf Jahren im Alter von 16 Jahren die Schule mit Abschluß, aber danach gehen die meisten - hauptsächlich Männer, weniger die Frauen - erst einmal acht Jahre zur Armee. Nur einige Prozent der Schüler besuchen im Anschluß daran eine Oberschule, und von denen gehen dann wiederum nur wenige Prozent auf eine Fachschule oder auf die einzige Universität Nordkoreas, die Kim-Il-Sung-Universität in Pjöngjang. Das Bildungssystem wurde zwar nach dem Koreakrieg auf breiter Basis aufgebaut, und zwar mit dem Ziel, den Analphabetismus zu beseitigen und technisch versierte Fachkräfte auszubilden. Die Grund- und Mittelschulen wurden allerdings auf Kosten des höheren Bildungswesens eingerichtet. Philosophie, Geschichte oder auch Soziologie waren nach dem Aufbau des flächendeckenden Bildungssystems vollkommen dominiert vom politischen Denken des "Großen Führers".
Zu allem kommt noch hinzu, daß ein nicht kleiner Teil des Unterrichts daraus besteht, die Reden Kim Il Sungs auswendig zu lernen und seine zahlreichen Heldentaten zu studieren. In den Sozialwissenschaften beträgt der Anteil der politischen Indoktrination am Universitätsunterricht 50 Prozent, in anderen Bereichen immer noch 20 bis 30 Prozent. Eine Einmischung von außen ist unerwünscht. Westliche Entwicklungshelfer haben feststellen müssen, daß die Nordkoreaner ihre Ratschläge zum Beispiel zur Behandlung von Unterernährten oft in den Wind schlugen, weil eine Annahme guter Ratschläge der nordkoreanischen Selbstgenügsamkeit, der auf Kim Il Sung zurückgehenden Juche-Ideologie (sprich: "Dschutsche"), widersprechen würde. Dies geschah wider besseres Wissen der beteiligten Nordkoreaner.
Dem Wissenschaftsbereich ergeht es in Nordkorea nicht viel besser: Es gibt etwa zehn bis zwölf Zeitschriften, die sich mit wissenschaftlichen Themen beschäftigen, doch haben westliche Leser dort nichts Originelles und Neues finden können. Kein nordkoreanischer Wissenschaftler ist in der Welt bekannt. Die einzigen Bereiche, in denen nordkoreanische Wissenschaftler gewisse Erfolge erzielt haben, sind archäologische Ausgrabungen und koreanische Dialekte. Die Forschung zum nordkoreanischen Militär gedeiht indessen prächtig.
Ein weiterer Aspekt ist folgender: 1948, als Nordkorea als eigener Staat gegründet wurde, gab es in der nordkoreanischen Führung mehrere Fraktionen. Neben den koreanischen Nationalisten handelte sich dabei um drei kommunistische Gruppierungen: die Koreaner sowjetischer Herkunft, die chinatreuen Koreaner (die Yanan-Fraktion) und die Fraktion von Staatschef Kim Il Sung (Kapsan-Fraktion). Im Lauf der Zeit säuberte Kim Il Sung die Führungspositionen des Landes von allen gegnerischen Fraktionen, so daß bis Ende der 60er Jahre nurmehr die Kapsan-Fraktion übrig blieb. Ausgerechnet diese war jedoch von allen Fraktionen mit den ungebildetsten Leuten besetzt: Es waren Guerillakämpfer, die mit Kim Il Sung während der japanischen Besatzungszeit Koreas in den dichten Wäldern des nördlichen Nordkorea und in der Mandschurei agiert hatten. Viele von ihnen konnten nicht lesen und schreiben, da sie aus oft ungebildeten Bauern- und Arbeiterfamilien stammten.
Wer wie der "Große Führer" aus dieser Schicht kam, schaffte es leichter an die Führungsspitze als die gebildeten Kinder von Ärzten, Rechtsanwälten oder Gelehrten, die seither im nordkoreanischen Klassensystem die niedrigste Hierarchiestufe einnehmen. So konnte deren Bildung für die Führung nicht nutzbar werden, während die, die an die Spitze kamen, höchstens die Mittelschule besucht hatten.
Der militaristisch-nationalistisch-spartanische Charakter des nordkoreanischen Erziehungswesens verleiht diesem eine Fremdartigkeit und Rückständigkeit, die einzigartig dasteht. Zusammen mit der Isolation des Landes ist auf diese Weise trotz der rein technokratisch-praktisch ausgebildeten neuen Elite eine große Verarmung im Bildungssystem entstanden, unter deren Folgen Nordkorea noch lange zu leiden haben wird.


Nicolai Brömse, 17. Juni 2003



Weiterführende Literatur:
  • Helen-Louise Hunter: Kim Il-song's North Korea. Foreword by Stephen J. Solarz, Westport/CT, London 1999.

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