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An den Pranger gestellt und von der Öffentlichkeit beglotzt

Webcams im Gefängnis von Arizona

Joe Arpaio, Sheriff von Maricopa County im US-Bundesstaat Arizona, hat den Pranger neu erfunden. Mit Hilfe von Internet-Kameras stellt er seine Gefangenen auf den Marktplatz unseres globalen Dorfs und lässt sie von der Menschheit beglotzen. Vier "Jailcams" (Gefängnis-Kameras), die er in verschiedenen Zellen seines Bezirksknasts installieren ließ, präsentieren jedem internetfähigen Haushalt, wie Arpaio Männer wie Frauen demütigen lässt. Das Konzept kennt man von Big Brother, es funktioniert genauso. Mit einem Klick auf Kamera 3 etwa gelangt man postwendend in die "Search Cell", die Durchsuchungszelle. Hier kann sich der Besucher daran ergötzen, wie Festgenommene in zebrafarbener Gefängnistracht auf Drogen und Waffen untersucht werden. Wem das auf Dauer zu langweilig erscheint, der zappt einfach rüber zu Kamera 1, Untersuchungshaft. Wie Schlachtvieh sitzen hier Männer auf engstem Raum zusammengepfercht und warten auf ihr Schnellverfahren. Die "Menīs Holding Cell" ist offensichtlich auch Arpaios Lieblingszimmer. Hier kann man, sofern des Englischen mächtig, über ein zusätzlich angebrachtes Mikrophon auch die Gespräche der noch unschuldigen Insassen belauschen. Etwas weniger Marter offenbart der "Pre-Intake", Aufnahme von Personalien und erstes Verhör. Freilich, so der Sheriff, soll das Spektakel "erzieherisch wirken" und die Moral im Lande stärken: "Die Männer, die mit Prostituierten aufgegriffen werden, könnten künftig ihren Ehefrauen durch die Kamera zuwinken!"
Gertrud Lüdenbach, Abteilungsleiterin der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf, hält Arpaios Unternehmen in ihrem Gefängnis für undenkbar. "Das ist absolut menschenunwürdig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sowas in Deutschland überhaupt diskutiert würde. Für mich fällt das unter die Kategorie Groteskes." Bettina Sokol, Landesbeauftragte für den Datenschutz in Nordrhein-Westfalen, schließt ein Online-Gefängnis hierzulande kategorisch aus. "Zum Glück ermöglicht das deutche Recht keine derartigen Übertragungen ins Netz", erkärt Sokol. "Selbst wenn man die Insassen um ihr Einverständnis bitten würde, bliebe es äußerst fraglich, ob unter solchen Bedingungen von einer freiwilligen und damit wirksamen Einwilligung gesprochen werden kann." Ob Arpaio einfach nur eine schwere Kindheit hatte oder zuviele Knast-Videos geschaut hat, ist nicht bekannt. Seine merkwürdigen Praktiken jedenfalls machen ihn in den Vereinigten Staaten zum Volksheld.
Arpaio, seit 1993 Ordnungshüter von Maricopa County bei Phoenix, nennt sich selbst einen "tough law man". Er praktiziert die "Politik der harten Hand" und hat "null Toleranz". Betrachtet man die bisweilen merkwürdigen Methoden der amerikanischen Justiz und deren breite Zustimmung beim Volk, verwundert es nur wenig, dass ihm bei seiner Wiederwahl 1996 86 Prozent der Bürger des Bezirks ihre Stimme gaben. Arpaio erheitert sich daran, seine Gefängnisinsassen in pinkfarbener Unterwäsche salutieren zu lassen oder an Füßen gefesselte Häftlingstruppen - seit neustem auch Frauen - zum Unkraut jäten in die Wüste Arizonas zu schicken. Auch den Medien entging das menschenverachtende Herrschaftsgebaren des Joe Arpaio nicht. Von ihnen erhielt er den Titel "härtester Sheriff der USA", in Deutschland wäre er ein Fall für den Psychotherapeuten. Er rühmt sich damit, 1200 Gefangene in Amerikas größter Zeltstadt vegetieren zu lassen und der Kommune durch gemeinnützige Arbeit tausende Dollar einzusparen. Seine "chain gangs" arbeiten sechs Tage die Woche, säubern Straßen, entfernen Graffiti von Häuserwänden und erledigen die Beerdigung von Mitinsassen auf dem Bezirksfriedhof. Er verbot Männermagazine in den Zellen und untersagte gar das Rauchen und Kaffee trinken. Und noch einen Rekord nennt Arpaio sein eigen: Ein Essen im Bezirksgefängnis kostet bei ihm durchschnittlich weniger als 45 Cents.
Auch die Internetsite "www.crime.com" wirbt mit der pervertierten Big-Brother-Variante, warnen den Benutzer aber vor dem Klick in den Knast. Wer den Link zu Arpaios Seite benutzt, heißt es da scheinheilig, könne mit Gewalt und sexuell anstößigem Verhalten konfrontiert werden. Kritiker der Internet-Offensive hatten versucht, die den Gefangenen drohende Schmach abzuwenden - vergebens. Eleanor Eisenberg von der Bürgerrechtsorganisation "Arizona Civil Liberties Union" nannte die Live-Übertragung einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Privatsphäre: "Sheriff Joe vergisst offenbar, dass viele der Menschen in seiner Obhut nicht einmal verurteilt sind." Einen wie Arpaio kann so etwas freilich nicht erschüttern. Es sei nun wirklich kein Unterschied, ob man das Bild eines Gefangenen in der Zeitung oder im Internet zeige, sagte er resolut gegenüber amerikanischen Journalisten.

c.p. - red / 02.12.2000

 

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