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Film-Feuilleton

„Von Werra“

Ein Dokumentarfilm von Werner Schweizer
Kinostart: 20.11.2003

Schweiz / Deutschland 2002, 35 mm, Farbe + s/w, 102 Min., Deutsch und Englisch mit dt. Untertiteln

Den Traum vom Fliegen hat Franz von Werra (geboren 1914) teuer bezahlt. Unter mysteriösen Umständen stürzt der umjubelte Jagdflieger und Liebling der Nazis 1941 über dem Ärmelkanal ab. Die Deutschen sind um einen begnadeten Piloten ärmer, aber um eine Legende reicher. Dabei wurde von Werra in der neutralen Schweiz geboren. Wie es dazu kam, dass ein gebürtiger Eidgenosse für die Nazis zum Himmelsstürmer wird, erzählt Werner Schweizers Film „Von Werra“.

Angefangen hat es mit dem schweizerischen Historiker Wilfried Meichtry. Für seine Dissertation recherchiert er die Geschichte und den Niedergang des Hauses von Werra. Die Familie ist so verarmt, dass sie 1915 ihre siebenköpfige Kinderschar nicht mehr ernähren kann. Sie „verkaufen“ die beiden Jüngsten, Emma (damals knapp 4) und den 15 Monate alten Franz an ein betuchtes Ehepaar in Deutschland.

Die adoptierten Kinder erleben eine behütete Kindheit in einem feudalen Haushalt. Als Franz sechszehn Jahre alt ist, erfahren die Geschwister zufällig, dass sie adoptiert sind. Das führt zu einem tiefen Riss. Allmählich fällt auch ihre deutsche Familie auseinander. 1932 erfährt die Adoptivmutter, dass ihr Mann das Familienvermögen verschleudert hat. Als es dann noch herauskommt, dass ihr Mann seine Adoptivtochter Emma jahrelang sexuell missbraucht hat, kommt es endgültig zur Scheidung.

Die Geschwister hatten schon immer eine innige Beziehung zueinander, die nun noch intensiver wird. Verarmt und auf sich allein gestellt, so stehen beide da, als Hitler 1933 die Macht übernimmt. Wie so vielen Außenseitern erlaubt das neue Regime auch Franz von Werra einen fulminanten Wiedereinstieg in die Gesellschaft. Der begeisterte Nazi darf seinen Lebenstraum verwirklichen und Flieger werden. Im Krieg schießt er freudig feindliche Flugzeuge ab, je mehr desto besser. Das Gewissen plagt ihn nicht, denn es ist schließlich ein Kampf von Mann zu Mann, wie bei den alten Rittern. Jeder hat die gleiche Chance. Er wird dafür hochdekoriert. Doch schon im Sommer 1940 endet der Traum abrupt. Er muss mit seiner Maschine auf englischem Boden notlanden und wird gefangen genommen.

Szenenwechsel. Wir schreiben das Jahr 1957. Der Skandal ist perfekt. Der Regisseur Roy Ward Baker will den britischen Teil der Lebensgeschichte Franz von Werras verfilmen. In „Einer kam durch“ erzählt er die Geschichte des einzigen deutschen Soldaten, der jemals aus britischer Kriegsgefangenschaft fliehen und nach Deutschland zurückkehren konnte. Nur zwölf Jahre nach dem Krieg soll dann auch noch ein aufstrebender junger Deutscher die Hauptrolle in dieser englischen Produktion spielen: so ein Blonder mit blauen Augen namens Hardy Krüger. Für Hardy Krüger stellt dieser Film den internationalen Durchbruch dar, für manchen zeitgenössischen englischen Filmkritiker ein kleines Problem. Der Film wird trotzdem ein Erfolg und ist in Ausschnitten in der Dokumentation zu sehen. Zusätzlich ist Hardy Krüger mit aktuellen Kommentaren vertreten.

Zurück zu von Werra. In einer abenteuerlichen Flucht von Kanada über Nordamerika via Südamerika gelangt von Werra schließlich zurück nach Deutschland. Die Nazis feiern ihn als Helden und nutzen die Rückkehr für ihre Propagandazwecke aus. Doch dann kommt der Tag, an dem bei einem routinemäßigen Patrouillenflug aus ungeklärten Gründen plötzlich sein Motor versagt und die Maschine im Steilflug abstürzt. Was von dem Himmelsstürmer übrig bleibt, sind die vielen Briefe, die er an seine Schwester Emma geschrieben hat. Ehrliche Briefe, innige Worte. Dokumente einer Zeit, die vielen der Nachgeborenen unerklärlich bleiben wird.

Der schweizerische Dokumentarfilmer Werner Schweizer hat uns in einem Interview von der Entwicklungsgeschichte des Films erzählt. Und Hardy Krüger war so freundlich, sich zu seinen eigenen Kriegserlebnissen befragen zu lassen.

Werner Schweizer || Hardy Krüger



Werner Schweizer

Kultura extra
Wie kam es zu der Idee für diese Dokumentation?


Werner Schweizer
Der Film hat natürlich eine längere Entstehungsgeschichte. Die ursprüngliche Idee kam ja durch Wilfried Meichtry, einen Historiker, der in Leuk aufgewachsen ist, dem Geburtsort von Franz von Werra. Meichtry hat von den Ereignissen schon als kleiner Junge gehört, als Gerücht dort im Ort. Dann er hat Geschichte studiert, und seine Dissertation über die von Werras gemacht. Er hat von Werras Schwester Emma noch gekannt, die ich nicht mehr kennen gelernt habe.

(C) Dschoint Ventschr Filmproduktion
Emma war eine geheimnisvolle Frau, die nie über sich gesprochen hat. Und wann immer er sie getroffen hat und ausfragen wollte, sagte sie, mein Leben ist nicht wichtig, aber ich hatte einen Bruder mit einem sehr spannenden Leben. Kurz vor ihrem Tod hat Emma dem Wilfried Meichtry dann die ganzen Briefe übergeben. Diese waren die Grundlage von seiner Dissertation und später auch vom Film. Das sind überwiegend die Briefe, die ihr Bruder Franz ihr geschickt hat, von Emma sind nur wenige Briefe erhalten.

Kultura extra
Ab wann kamen Sie dazu?


Schweizer
Ich bin da eingestiegen in einem Moment, wo noch zwei der Geschwister von Franz von Werra gelebt haben. Der eine ist Hans von Werra. Der kommt im Film kurz vor. Er lebt im Altersheim. Das ist der Typ, der so böse und so verbittert ist. Er war der älteste Sohn und hat den Niedergang der Familie bewusst miterlebt. Das war die erste Gelegenheit, wo ich ihn sah. Alle Leute haben uns gesagt, er spricht nicht mehr, er sei sehr zurückgezogen. Als er dann erfuhr, dass wir etwas über seinen Bruder Franz machen wollen, da bekam er doch ein wahnsinniges Interesse. Innerhalb dieser zehn Minuten im Altersheim habe ich mich entschlossen, diesen Film zu machen. In der Person dieses alten Mannes habe ich das ganze Drama entdeckt.

Kultura extra
Warum ist Hans von Werra dann nur einmal kurz im Film zu sehen?


Schweizer
Der Hans von Werra starb dann aus heiterem Himmel. Also gut, der war schon sehr alt, aber ein paar Wochen, nachdem ich ihn besucht hatte, starb er. Und dann fiel er als Protagonist weg, ich hatte ihn also nicht mehr zur Verfügung. - Was man sah in seinem Zimmer: Es war wie eine Gefängniszelle. Das war vollkommen leer, hatte keinen Schmuck drin, keine persönlichen Effekten. Aber es gab zwei Dinge, die er aufgehängt hatte, das eine war ein Bild von seinem Bruder Franz in der Fliegeruniform der Deutschen Wehrmacht, das andere war eine Urkunde für ihn selbst von General Guisan. General Guisan war ein Schweizer Kriegsheld, der uns damals verteidigt hat gegen den Deutschen. Guisan ist in der Schweiz eine Legende, weil er alles zusammengehalten und allen Anpassungstendenzen widersprochen hat. Und für die Leute, die im Aktivdienst waren und manchmal drei, vier Jahre an der Grenze standen, für die gab’s dann eine solche Urkunde. Und ich hatte diese beiden Bilder an der Wand gesehen, einerseits Hans von Werras Bestätigung für die geleistete Dienstzeit in der Schweizer Armee, auf der anderen Seite das Bild des Bruders, der bei den Feinden quasi ein Held war. Das Drama, was in diesem Mann vorging, das fand ich, ist einen Film wert. Wie gesagt, dann stirbt er. Hans von Werra ist tot, Emma ist tot. Wir hatten also nur Fotos, aber keine Filmaufnahmen.

Kultura extra
Das war aber nicht das Ende des Projektes.


Schweizer
Nein. Dann habe ich mich daran erinnert, dass es diesen Film „Einer kam durch“ gibt. Als ich dann den Film sah, fiel mir auf, wie akkurat er ist, wie dokumentarisch eigentlich. Die Filmemacher 1957 haben wirklich versucht, alles detailgetreu nachzustellen. Viele Drehorte waren Originalschauplätze, an denen die Geschichte tatsächlich stattgefunden hat. Ich habe mich dann mit der Filmproduktion Rank Film in Verbindung gesetzt und gefragt, ob ich ein paar Minuten aus ihrem Film für meine Dokumentation verwenden darf. Und da half mir noch der Zufall. Ich hab gar nicht daran gedacht, dass der Regisseur noch leben könnte, da haben die mir gesagt, reden Sie doch mit dem Roy Ward Baker, der wohnt in London. Der ist schon weit über 80 Jahre alt.

Kultura extra
Von da an war es nur noch ein Schritt weiter zu Hardy Krüger.


Schweizer
Ja, dann fügte sich alles zusammen. Ich hatte den Film, ich hatte den Regisseur und habe parallel dazu versucht, auch mit Hardy Krüger in Kontakt zu kommen. Dann haben unser Drehbuchautor und ich bei Hardy Krüger vorgesprochen und ihm unsere Geschichte vorgestellt. Er war ganz erstaunt, was die wirkliche Geschichte war. Das hat er nämlich nicht gekannt. Er hat gewusst, dass es eine wahre Geschichte ist, aber nicht all diese komplizierten Zusammenhänge.

Kultura extra
Hat Hardy Krüger in „Einer kam durch“ trotzdem eine authentische Darstellung von Werras gegeben?


Schweizer
Es war wirklich eine geniale Leistung. Er hat nämlich ein Zeitgefühl transportiert in diesem Film. Er spielte ihn nicht als militärischen zackigen Nazi, sondern er hat eine Interpretation in diese Rolle gelegt, die einfach wirklich genau richtig war für diese Zeit. Und auch der Mythos von diesem Typen, der sich nicht unterkriegen lässt, der immer wieder Fluchtgedanken hat, passte sehr gut. „Geht nicht, gibt’s nicht“: Das ist das Lebensmotto von Hardy Krüger, und das gleiche hatte auch von Werra, alles ist möglich, man muss es nur wollen. Für mich war der Hardy schon in gewissem Sinn ein alter ego von Franz von Werra. Hardy Krüger hat sich dann bereit erklärt mitzumachen, und es wurden zehn Drehtage festgesetzt.

Kultura extra
Von Werra war ja überzeugter Nazi. Hatte Hardy Krüger Probleme damit?


Schweizer
Während des Drehs hat Hardy Krüger gemerkt, dass ich das zu stark parallel sah, das Leben von ihm und das Leben von Franz von Werra. Er sagte, nein, das ist eigentlich genau umgekehrt. Von Werra wollte zu den Nazis kommen, um seinen gesellschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen, und ich wollte von den Nazis wegkommen. Das war also nicht parallel, wie ich das immer gesehen hatte. Ich fand es dann auch aus einem zweiten Grund sehr spannend, das mit Hardy Krüger zu machen, denn er kennt diese Zeit aus eigenem Erleben. Es ist was anderes, wenn er etwas über die Nazis erzählt, als wenn ich das als 45jähriger schweizerischer Filmautor sage. Wenn er sagt, Hitler und seine Bande, diese Verbrecher, hat das eine ganz andere Bedeutung. Das ist authentisch, das ist gelebtes Leben, und da fand ich es einfach wichtig, dass er mir diese Ebene vermittelt.


Hardy Krüger

Kultura extra
Werner Schweizer hat gerade erzählt, dass er anfangs zu viele Parallelen zwischen Ihnen und Franz von Werra gesehen hat. Möchten Sie das noch mal aus Ihrer Sicht erzählen?


Hardy Krüger
Das ist natürlich. Wenn ein Dokumentarfilmer anfängt zu planen, dann stößt er oft auf Bilder, die er bei anderen gehört oder gesehen hat. Und da hat er sich wahrscheinlich darauf gestützt, dass der von Werra gern fliegen wollte, und ich auch ein Flugbegeisterter bin. Nur ich bin noch nie militärisch geflogen. Meine Geschichte ist, um es deutlicher zu sagen, ganz anders. Mir ist das erst aufgefallen, als ich das diesbezügliche Buch von dem Wilfried Meichtry gelesen habe, d. h. damals war es noch ein Rohmanuskript. Und nach einem längeren Gespräch habe ich dem Schweizer gesagt, Parallele ist da keine. Von Werra war in der Schweiz geboren. Aus Familiengründen, die der Meichtry hervorragend beschreibt, ist er in Deutschland gelandet, ist gerne Deutscher gewesen, hat sich in die Arme der Nazis gestürzt und die Nazis wunderbar gefunden, weil sie ihm ja auch erlaubt haben zu fliegen. Er ist gerne Offizier gewesen.

Kultura extra
Und das trifft auf Hardy Krüger keinesfalls zu!?


Krüger
Das ist genau das Gegenteil dessen, was mir widerfahren ist. Als ich in die Schule kam mit sechs Jahren, (Anm. d. Red: Hardy Krüger ist Jahrgang 1928 und wurde 1934 eingeschult) waren ringsum nur Nazis. Da hingen die Hitlerbilder an den Wänden. Bei mir zu Hause stand auf Mutterns Klavier eine Hitlerbüste. Das war bei vielen Millionen Deutschen so, die keine schlechten Menschen waren, die haben sich nur verblenden lassen. Ich bin als Nazijunge erzogen worden, wie alle Kinder in der Zeit nun mal. Doch dann kam ich mit 15 Jahren zur Ufa für den Weidenmann-Film „Junge Adler“. Da traf ich auf Anti-Nazis. Ich wusste gar nicht, dass es Anti-Nazis gab, und traf auf die Schauspieler Hans Söhnker und Albert Florath. Weil der Söhnker in seinem Landhaus jüdische Mitbürger versteckte, hatten die eine Organisation aufgebaut, diese Menschen in die Schweiz zu führen. Es waren hervorragende Leute, beide. Mutige Menschen. Die haben mir die Wahrheit gesagt, zum ersten Mal. Da habe ich gelernt, dass Hitler kein Halbgott ist, sondern ein Verbrecher. Die haben das sehr geschickt mit mir angefangen und dabei ihr Leben riskiert, denn ich hätte sie ja verpfeifen können.

Kultura extra
Das war 1943. Da mussten Sie ja zwei Jahre lang schweigen. War das schwer?


Krüger
Danach musste ich ein regelrechtes Doppelleben führen. Aber das war eigentlich in Ordnung, mein sportlicher Ehrgeiz war dadurch angestachelt. Ich hab von Bergen-Belsen und von Dachau erfahren, von all diesen Dingen, von denen ich es nicht für möglich gehalten habe, dass Menschen anderen Menschen so etwas antun. Dann hat der Widerstand mich als Kurier benutzt. Die konnten das nicht mehr am Telefon machen, und da brauchten die jemanden, der nach Konstanz fährt und sagt, am nächsten Dienstag kommen zwei „Pakete“ oder drei „Pakete“ an. Da haben sie mich genommen, weil ich als Fünfzehnjähriger so eine Hitler-Elite-Uniform anhatte. Ich wurde in den Zügen auch nicht von der SS untersucht. Wenn ich die Nachricht abgeliefert hatte, da stand ich in Konstanz immer an dem Zaun, der die deutsche und die schweizerische Seite trennte. Ich wollte so wahnsinnig gerne in die Schweiz. Da kam ich natürlich nie hin (lacht amüsiert). Und das habe ich dem Werner Schweizer gesagt. Der eine wollte so gerne nach Deutschland in den Krieg, und ich würde ein Jahr später an die Front geschickt als Sechszehnjähriger. Das wusste ich. Da stand ich also da an dem Zaun. Ich wollte nicht an die Front, ich wollte nicht Soldat werden, ich wollte in die Schweiz. Ich habe dann gesagt, ich kann nur mitmachen, wenn in diesem Dokumentarfilm auch gesagt wird, dass das genau entgegengesetzt war.

Kultura extra
Sie haben eben erzählt, dass Sie nie militärisch geflogen sind. Als Sie dann eingezogen wurde, durften Sie also nicht fliegen.


Krüger
Ich war am Boden in den Schützenlöchern. Als Hitler schon für sich geplant hatte, Selbstmord zu begehen, hat er eine ganze Division von Sechszehnjährigen aufstellen lassen, die total von den Amerikanern zusammengeschossen wurden.

Kultura extra
War das so ähnlich wie in dem Film „Die Brücke“?


Krüger
So ähnlich, aber sehr viel brutaler. Ich habe dann zum ersten Mal gedacht, was für Lügen das sind, mit dem Heldentod. Helden überhaupt, die andere Leute totschießen und totgeschossen werden. Das war alles Unsinn im Verhältnis zu dem, was ich an der Front gesehen habe. Was ich gesehen habe, war das Würdeloseste an Sterben, wo Menschen von Granaten auseinandergerissen werden.

Kultura extra
Wie hat sich das auf Ihr späteres Leben ausgewirkt?


Krüger
Ich bin ein vehementer Anti-Nazi seit ich 15 bin. Und jetzt wird es immer schlimmer, seit es hier wieder Neonazis gibt, die ich bis aufs Blut bekämpfe. Mit Aktionen, nicht nur mit Worten. Ich unterstütze die Gruppe Exit in Berlin, die Aussteigern hilft und Eltern unterstützt, einen Weg zu finden, dass ihre Kinder nicht zu Glatzen werden und in die Arme der Neonazis abdriften. (Anm. d. Red.: www.exit-deutschland.de). Das ist mir jetzt ein bisschen peinlich – tue Gutes und sprich darüber - aber weil ich die Neonazis bekämpfe, gebe ich im Max II Theater in München Ende November eine Matinee. (Anm. d. Red.: www.kleinekomoediemuenchen.de am 30. November). Ich lese aus meinen Büchern, und der Reinerlös geht an diese Gruppe Exit, weil die unterstützt werden muss. Leider macht Herr Schröder den Kampf gegen die Neonazis nicht zur Chefsache. Die Rettung junger Menschen ist aber dringend nötig. Ich setze mich sehr dafür ein, weil ich das am eigenen Leib erfahren habe, und weil man diesen Verbrechern das Handwerk legen muss, die nun wieder junge Menschen dahin bringen wollen, was ich schon mal erlebt habe. Und das kann ich nicht zulassen.

Kultura extra
Als gebürtiger Berliner waren Sie ja wenigstens kein Flüchtlingskind. Waren Sie auf der Nazi-Schule in Sonthofen verhältnismäßig sicher?


Krüger
Nein, ich war ein Bombenkind, denn in den Ferien war ich zu Hause in Berlin. Heiligabend 1943 haben wir eine Luftmine aufs Haus gekriegt und lagen unten im Keller zwischen dem Schutt und mussten uns rausbuddeln. Deswegen bin ich ja so böse, dass es jetzt Neonazis gibt.

Kultura extra
Sehen Sie Deutschland als gefährdet an?


Krüger
Im Moment nicht, aber was weiß ich, wenn Neonazis überhaupt da sind, sind sie eine Gefahr. Und ich weiß ja nicht, wie schlimm das noch wird mit der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit hat ja auch dazu geführt, dass ein seniler Reichspräsident einen österreichischen Anstreicher zum Reichskanzler gemacht hat. Also ich muss das sehr ernst nehmen. Und ich möchte, dass viele Deutsche das auch ernst nehmen, deshalb habe ich das Buch „Wanderjahre“ geschrieben, um junge Menschen darüber aufzuklären, dass sie aufpassen. Und auch diese Wahlmüdigkeit, diese Politikermüdigkeit, das bedrückt mich sehr. Menschen müssen zur Wahl gehen, sonst kommt da auch wieder was Schlimmes bei raus. Die Neonazis warten doch nur am Rand des Geschehens, um dann einzugreifen. Die müssen JETZT im Keim erstickt werden und nicht erst, wenn wir mal in einer schwierigen Situation sein sollten.
Nun haben wir den großen Vorteil, dass es Europa gibt, und alle Länder in Europa haben Neonazi-Probleme, und deshalb passen die Regierungen von Frankreich und England schon auf. Berlusconi nicht. Der ist sowieso ein Korrupter. Der ist furchtbar. Aber die meisten passen schon auf, weil ja die Gefahr von der rechtsradikalen Seite auch bei ihnen sehr groß ist. Darin liegt für mich ein gewisser Trost. Aber ich finde, es geschieht viel zu wenig bei uns.

Kultura extra
Was können Mütter von halbwüchsigen Söhnen denn konkret tun?


Krüger
Als Mutter muss man ganz konkret dafür sorgen, dass Harmonie in der Familie existiert und dass die Meinung der Eltern, solange sie liberal und tolerant ist, auch von den Kindern verstanden wird, damit diese alkoholisierten Radaubrüder abprallen an einer Harmonie im Hause. Und dass die Kinder den Eltern vertrauen und Glauben schenken können, das ist ein Punkt. Aber dabei muss den Eltern geholfen werden. Deshalb sage ich ja immer, dass Herr Schröder oder wer immer der nächste Kanzler sein wird, es zur Chefsache machen muss. Ich habe nie verstanden, warum kein Geld dafür da ist, Jugendliche nach der Schule an andere Dinge heranzuführen. Sagen wir mal Segelfliegerclubs, weil ich halt begeisterter Pilot bin. Das muss man nur finanzieren. Und das gibt es schon auf privater Basis, Basketballclubs, Fußballclubs sowieso, von mir aus Tanzschulen, Kammermusikschulen, wo Jugendliche an etwas herangeführt werden, was sie begeistert. Dass die nach der Schule janz andere Dinge im Kopp haben, als sich diesen Unsinn anzuhören oder Kriegsspiele zu spielen mit einer Bierdose in der Hand. Das heißt, man muss sie nach der Schule mit etwas beschäftigen, was von Bedeutung für ihr Leben sein wird.

Kultura extra
Hätte aus dem jungen Hardy Krüger ein fanatischer Nazis werden können, wenn es diese Begegnung mit Hans Söhnker und Albert Florath nicht gegeben hätte?


Krüger
Sicherlich. Sicherlich. Das ist sehr hypothetisch jetzt. Sicherlich. Vielleicht wäre ich auch an der Front zusammengeschossen worden. Ich hab ja den Krieg an der Front nur überlebt, weil ich wusste, dass ich ihn überleben muss. Ich WILL überleben. Ich will nicht an der Front sterben für diese Verbrecher. Ich bin an der Adolf-Hitler-Schule in Sonthofen militärisch ausgebildet und auch zum Überleben erzogen worden, mit wenig Nahrung, im Wald und so. Die konnten nicht wissen, dass ich das, was ich da gelernt habe, GEGEN sie verwende. Ich war ein sehr raffiniertes kleines Tier, das überleben wollte. Und überlebt hat. Also um Ihre Frage zu beantworten, möglicherweise hätte ich so einen Sturmangriff, wenn der befohlen war, mitgemacht. Aber bei dem richtigen Hardy Krüger, als dem befohlen wurde, er soll die Amerikanischen angreifen, ist der immer gleich umgefallen bei den ersten Schritten. Ich hab mich tot gestellt. Das haben die gar nicht gemerkt. Ich wollte nicht für die sterben.

Kultura extra
Wie lange waren Sie Soldat?


Krüger
Gut vier Monate. Aber da könn’ Se mal sehn wie clever ich war. Ich hab’s überlebt.

Kultura extra
Unverletzt?


Krüger
Ja, unverletzt. Na ja, ich hatte paar Schrappnells hier in der Schulter (zeigt auf die linke Schulter), aber unwesentlich.

Kultura extra
Hatten diese Erfahrungen Auswirkungen auf die Wahl der Filme, in denen Sie mitgespielt haben?


Krüger
Ich hab meine Karriere durch die Filme gemacht, die ich NICHT gemacht habe. Deshalb bin ich vor zwei Jahren vom französischen Präsidenten auch in die Französische Ehrenlegion aufgenommen worden. Ich bin der zweite deutsche Schauspieler. Der einzige Schauspieler, der vor mir aufgenommen wurde, war – Marlene Dietrich, weil die gegen die Nazis vorgegangen ist. Und ich, weil ich Deutsche gespielt habe in französischen Filmen, die nicht diese Klischeefiguren waren. In der Begründung für die Ehrenlegion hieß es von Chirac, dass ich durch mein damaliges Leben in Paris und durch die Rollen, die ich dort gespielt habe, dazu beigetragen hätte, das Bild des Deutschen in den Augen der Franzosen zu verändern, und die Bereitschaft der Franzosen zu schaffen, sich mit den Deutschen auszusöhnen.

Kultura extra
Das ist ein wundervolles Schlusswort. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.


h.f. - red / 17. November 2003

siehe auch:
www.realfictionfilme.de






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