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Dokumentarfilm

2011 - Herbst der deutschen Porträt-Dokumentarfilme
(Teil 1)

Der Zerrissene




Vor zwei Wochen war der Kinostart des Dokumentarfilms über einen ostdeutschen Schriftsteller, den mit der DDR eine lebenslange Hassliebe verband: – Das Wünschen und das Fürchten zeigt ungewöhnlich private Momente aus den letzten Lebensjahren des 2001 im Alter von 56 Jahren in Berlin verstorbenen Schriftstellers, Theater- und Filmregisseurs Thomas Brasch.

Als langjähriger Dramaturg und Freund Braschs kam Regisseur Christoph Rüter dem Künstler mit der Handkamera sehr nahe. Zusätzlich konnte Rüter auf eine Sammlung von 28 von Thomas Brasch selbst gedrehten Digital-Kassetten zugreifen, die die Erbengemeinschaft zur Verfügung gestellt hatte und die Braschs Selbstwahrnehmung dokumentieren. Zwar sind nur rund 20 Minuten davon in Rüters Film enthalten – schon um unnötigen Voyeurismus zu vermeiden, wie der Regisseur sagt. Aber Rüter betont, wie entscheidend diese Momente für seinen Dokumentarfilm sind: „Auf eine solche Weise ließ sich Brasch nicht von anderen filmen.“ Rüters wie auch Braschs eigene Aufnahmen entstanden meist in Braschs Berliner Wohnung am Schiffbauerdamm, in die sich der zunehmend öffentlichkeitsscheue Literat in den neunziger Jahren zurückzog. Mit seiner Materialauswahl bewahrt Rüter die Integrität des in seinen letzten Lebensjahren von Alkohol, Drogen und Krankheit Gezeichneten und zeigt eine hochsensible Künstlernatur, die ihre Verletzlichkeit oft hinter einem mürrisch und arrogant wirkenden Gehabe verbarg. Anhand von vorgelesenen Gedichten und Ausschnitte aus Theateraufführungen erinnert Rüter zudem an das literarische Ausnahmetalent Thomas Brasch.

Erkennbar ist aber auch, wie sehr Brasch von seiner biografisch begründeten Zerrissenheit immer mehr aufgezehrt wurde: 1945 in England als Sohn emigrierter deutsch-jüdischer Kommunisten geboren, ziehen die Eltern nach Kriegsende mit ihrem Kind in die DDR, wo Thomas Brasch als Zwölfjähriger von seinem Vater auf eine Kadettenschule der Nationalen Volksarmee geschickt wird. Brasch wird von der Leipziger Universität wie auch der Babelsberger Filmhochschule exmatrikuliert, weil er Flugblätter gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch russische Panzer verbreitet. Vom eigenen Vater denunziert und ins Gefängnis geschickt, darf sich Brasch ‚in der Produktion‘ bewähren, und verdient sich als Theaterautor erste Anerkennung am Berliner Ensemble. 1977 wird Brasch in die Bundesrepublik abgeschoben, wo er Erzählungen wie Vor den Vätern sterben die Söhne publiziert und preisgekrönte Spielfilme nach eigenen Vorlagen wie Engel aus Eisen (1980) oder Der Passagier - Welcome in Germany (1987) mit Hollywoodstar Tony Curtis in der Hauptrolle inszeniert.

Trotz des zerrütteten Verhältnisses zu seinem strengen Vater, der in der DDR hoher Kulturfunktionär war, bedauerte Thomas Brasch, dass die Gründungsgeneration der DDR „nichts hinterlassen hatte, was sie den Jüngeren übergeben konnten“, sagt Christoph Rüter. Dabei dachte der Literat nicht an die Übernahme politischer Ämter, denn „Schriftstellerei und Politik gehen nicht zusammen“, habe Brasch stets betont. Er wäre „aber gerne ein großer Anreger auf seinem Feld gewesen“, sagt Christoph Rüter. Die widersprüchliche Verbundenheit mit seinem Herkunftsland dokumentierte Brasch mit der kuriosen Angewohnheit, bei seinen Auslandsreisen nicht den West-Berliner-Spezialausweis, sondern seinen alten DDR-Ausweis zu benutzen – sowie seinen zweiten, englischen Pass, der „ihm das Gefühl von Freiheit verlieh“, wie Rüter berichtet. Sein Film zeigt auch, dass dem Utopisten und Gerechtigkeitsfanatiker Thomas Brasch mit dem Zusammenbruch der DDR eine inspirierende Reibungsfläche abhandengekommen war.

Trotz seiner Launen und selbstzerstörerischen Tendenzen – „er ließ sich nicht helfen“, so Rüter – „behielt Brasch seinen Magnetismus“ auf andere Menschen und war bis zuletzt weder unproduktiv noch isoliert: Schon weil Brasch „seine Ideen im Gespräch entwickelte“, war er Kontakte angewiesen. Braschs „Magnetismus“ wirkte speziell auf manche Frauen, die dem Schriftsteller „in geistig-freundschaftlicher Hinsicht treu blieben und bis zum Ende pflegten“, berichtet Christoph Rüter – was sein Film dezent ausspart. Für Rüter wird von Thomas Braschs vor allem dessen exzellente Lyrik bleiben – und die Leistungen „als einer der besten Shakespeare-Übersetzer neben Kollege Heiner Müller“.
Max-Peter Heyne - red. 28. November 2011 (2)
ID 5507
Weitere Infos siehe auch: http://www.neuevisionen.de





 

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