„Lichter“ oder „Willkommen in der Wirklichkeit“
Regie: Hans-Christian Schmid
ab 31. Juli 2003 im Kino
Szene aus "Lichter": Nach zwei Jahren sehen sich Beata (Julia Krynke) und Philip (August Diehl) wieder - in der Zwischenzeit ist viel geschehen (Bild: Prokino).
Regisseur Hans-Christian Schmid (Jahrgang 1965), der sich mit Teenager-Filmen wie „Nach fünf im Urwald“ und „Crazy“ einen Namen gemacht hat, schlägt in „Lichter“ wesentlich ernstere Töne an.
Sehnsüchtig blickt eine Gruppe weißrussischer Flüchtlinge über den Fluss hinweg auf die Lichter von Frankfurt an der Oder. Sie wurden von ihren Schleusern betrogen und anstatt in Berlin im polnischen Grenzstädtchen Slubice abgesetzt. Nur der Fluss trennt sie noch vom Goldenen Westen. Sie setzen alles daran, irgendwie über die Oder nach Frankfurt zu kommen, obwohl im Augenblick der Traum vom Leben in Wohlstand in Scherben liegt.
Da ist das junge Ehepaar Dimitri und Anna, die mit ihrem Baby einen Neuanfang wagen wollen. Als sie mit Hilfe des Polen Antoni schwimmend den Fluss durchqueren, ertrinkt ihr Baby beinahe. Sie müssen zurück auf die polnische Seite. Der Taxifahrer Antoni (Zbigniew Zamachowski) ist eigentlich ein anständiger Kerl und gewährt den Dreien sogar Unterkunft in seinem Schuppen. Aber seine eigene Finanznot lässt ihn zum Dieb und Betrüger an ihnen werden.
Kolja (Ivan Shvedoff) stammt aus Kiew und versucht sein Glück auf eigene Faust. Er wird von der Grenzpolizei gefasst und mit Hilfe der Dolmetscherin Sonja (Maria Simon) verhört. Sonja ist von Koljas Verzweiflung beunruhigt, als sein Asylantrag abgelehnt wird. Auf eigene Faust macht sie ihn ausfindig und bietet ihm an, ihn im ihrem Pkw in den Westen zu schmuggeln. Die Grenzpolizei kennt sie schließlich gut, da sie fast täglich dort vorbei muss.
Eine weitere Grenzgängerin ist die Polin Beata. Sie studiert und verdient sich ihr Studium als Dolmetscherin. Wenn es sich ergibt, erweitert sie ihre Dienstleistung auch auf Prostitution. Dies entsetzt ihren Verflossenen Philip (August Diehl), einen deutschen Architekten, der droht, in unsaubere Geschäfte mit polnischen Grundstücken hereingezogen zu werden.
Für die Bewohner von Frankfurt an der Oder sind die Verhältnisse alles andere als golden, nicht einmal eine Bande von Zigarettenschmugglern kommt auf einen grünen Zweig.
Der Matratzenhändler Ingo kämpft verzweifelt ums Überleben seiner kleinen Firma. An seiner Seite steht tapfer Simone (Claudia Geisler), die im Leben ebenfalls zu den Verlierern zählt. In seiner Not merkt Ingo gar nicht, dass Simone mehr als nur Sympathie für ihn empfindet. Als er ohne Wohnung, ohne Laden, ohne alles dasteht, lässt sie ihn immer noch nicht im Stich.
Der Darsteller des Matratzenhändlers, Devid Stresow, ist so in der Figur aufgegangen, dass man ihn getrost zu einem der anrührendsten Loser des deutschen Films ernennen könnte. Er spielt ihn sehr verletzlich, doch ohne sich seiner Verletzlichkeit bewusst zu sein. Immer wieder neu stürzt er sich ungeschützt in den Überlebenskampf. Überhaupt ist in der harschen Atmosphäre der Stadt wenig Platz für Selbstmitleid, und leider auch für Skrupel.
Special Photographie Gerald and Foris, www.lichter-der-film.de/
Mit ungeschöntem Blick schaut die Kamera auf Menschen, deren Bemühungen und Träume immer wieder an der Wirklichkeit scheitern. Die Stadt Frankfurt an der Oder und der polnische Grenzort Slubice stehen symbolisch für diesen Riss, der Ost und West voneinander teilt und auch die Menschen voneinander trennt. Und doch ist allen Figuren auf beiden Seiten der Grenze eines gemeinsam: die Zähigkeit zum Überleben und die Fähigkeit zum Träumen.
Bedauerlicherweise verhindert die durchgehend benutzte Handkamera den uneingeschränkten Genuss des Films, weil dadurch unnötige Unruhe aufkommt und das Zuschauen auf Dauer zur Anstrengung wird. Das liegt aber nicht am Kameramann Bogumil Godfrejow, dessen Studentenfilm „A Man Thing“ als bester Studentenkurzfilm für den Oscar nominiert wurde. Es lag am geringen Budget für die Produktion.
h.f. - red. / August 2003
Website zum Film: www.lichter-der-film.de/
Hans-Christian Schmid:
Personal Info
geb. in Altoetting 1965
sudierte an der Akademie für Film und Fernsehen in München (HFF/M).
Regiedebut 1989 mit dem Dokumentarfilm "Sekt oder Selters", gefolgt von dem Kurzfilmen "Das lachende Gewitter", dem Dokumentarfilm "Die Mechanik des Wunders" und dem Frensehfilm "Himmel und Hölle". Sein Durchbruch gelang ihm 1995 mit dem Spielfilm "Nach fünf im Urwald", bei dem er zum ersten mal mit Michael Gutmann zusammenarbeitete. Darauf entstanden weitere gemeinsame Drehbücher für Gutmann's Filme "Nur für eine Nacht" (TV, 1997) und "Herz im Kopf" (2001), als auch für Schmid's Filme "23" (1998), "Crazy" (2000) und "Lichter" (2003).
Filmography
Regie
23
Crazy
Heaven and Hell (Himmel und Hoelle)
Distant Lights (Lichter)
It's A Jungle Out There (Nach fuenf im Urwald)
Drehbuch
23
Crazy
Heart Over Head (Herz im Kopf)
Heaven and Hell (Himmel und Hoelle)
Distant Lights (Lichter)
It's A Jungle Out There (Nach fuenf im Urwald)
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Projekte und Arbeiten
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Reihe Türkischer Film Kinematographische Kuriositäten
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