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Reihe Türkischer Film

3. Teil: Thomas Arslan

Thomas Arslan ist der Sohn eines türkisch-deutschen Elternpaares. In seiner Trilogie „Geschwister“, „Dealer“ und „Der schöne Tag“ thematisiert er das Leben jugendlicher Türken, die in zweiter und dritter Generation in Deutschland leben.


„Geschwister – Kadesler“, Deutschland 1996


Szenenbild: „Geschwister – Kadesler“, Deutschland 1996

Drei Jugendliche, die aus der Ehe eines deutsch-türkischen Ehepaares stammen, leben in Berlin Kreuzberg. Leyla (Serpil Turhan) ist das Nesthäkchen und macht eine Schneiderlehre. Ihr Traumjob ist das allerdings nicht. Mit ihrer besten Freundin träumt sie von einer eigenen Wohnung ohne Bevormundung durch die Familie. Auch ihr Bruder Ahmed hat sich der deutschen Gesellschaft weitgehend angepasst. Er macht gerade sein Abitur und hat den üblichen Beziehungsstress mit seiner Freundin. Erol (Tamer Yigit) ist der Älteste. Er ist Schulabbrecher und treibt sich auf der Straße im Milieu Kleinkrimineller herum. Er weiß nicht so recht, wohin er gehört und hat sich fürs „Türkisch-Sein“ entschieden. Das meint er zu erfüllen, wenn er sich als Macho aufspielt. Erol ist aggressiv, latent gewalttätig und stark gefährdet, irgendwann mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, und passt damit genau in ein Klischee über junge Ausländer.

Thomas Arslan gibt sich aber nicht mir Stereotypen zufrieden. In langen ruhigen Einstellungen erzählt er sensibel vom Alltag der Familie und ihren Konflikten, die sich kaum vom Alltag deutscher oder anderer Familien unterscheidet. Es geht um die Schwierigkeiten bei der Selbstsuche junger Menschen, die bei jedem der drei Jugendlichen individuell verläuft. Weder die deutsche Mutter noch der türkische Vater dienen dabei als Vorbild. Wie auch bei Yüksel Yavuz’ Film „Aprilkinder“ grenzen sich die Kinder bewusst von ihren Eltern ab, ohne aber wirklich Alternativen für sich selbst zu entwickeln.

Zum Schluss leistet Erol dem Einberufungsbefehl in die türkische Armee Folge, obwohl er wegen seiner deutschen Mutter den Wehrdienst dort nicht ableisten müsste. Er überschaut die Konsequenzen nicht im mindestens, selbst als seine Mutter ihn warnt, dass er in „Krisengebieten“ eingesetzt werden könnte. Die Familie begleitet ihn mit mulmigem Gefühl auf den Flughafen. Mit Erols Gang zur freiwilligen Kasernierung endet der Film.


„Dealer“, Deutschland 1998


ZDF und Trans - Film Berlin, Dealer
Jale (Idil Üner) will, dass Can (Tamer Yigit) aus dem kriminellen Milieu aussteigt.


Can (Tamer Yigit) ist junger Türke in Deutschland, Lebensgefährte der schönen Jale (Idil Üner), Vater einer dreijährigen Tochter und – Dealer. Es gibt einen Polizisten, der ihn mehrfach verwarnt und ihm rät, an seine junge Familie zu denken. Seine Freundin Jale fordert ihn mehrfach auf, das Dealen sein zu lassen. Schließlich verlässt sie ihn deswegen. Can dealt weiter. Als Can mit ansehen muss, wie sein Boss und Lieferant auf offener Straße erschossen wird, arbeitet er vorübergehend als Küchenhilfe. Er will nur noch den restlichen Stoff verhökern, als er von der Polizei erwischt wird. Vier Jahre Haft, anschließend Ausweisung sind das Resultat. Als er seine Freundin fragt, ob sie ihm nach vier Jahren in die Türkei folgt, bekommt er eine Abfuhr.

Wenn wir uns an die Figuren aus den Filmen von Yilmaz Güney erinnern, die durch Druck entweder von innen oder von außen zu ihren Taten getrieben wurden, ohne wirklich dafür verantwortlich zu sein, erscheint „Dealer“ als die völlige Umkehr. Can dealt, weil er dealen will. Auf irgendwelche öden Jobs hat er keine Lust. Er schlägt sämtliche Warnungen in den Wind und scheitert letztendlich an seiner Selbstüberschätzung.

Sowohl „Geschwister“ als auch „Dealer“ lassen den Zuschauer mit einem unguten Gefühl zurück. Die Möglichkeit zur völligen Eigenverantwortung kann eine wunderbare Voraussetzung zur Selbstentfaltung sein, leider aber auch zur Selbstzerstörung beitragen. Bei Can wird die persönliche Entscheidungsfreiheit zur Falle. Die Kraftlosigkeit und Unentschlossenheit, sich aus dem Dealer-Milieu zu befreien, gleicht in diesem Sinne dann doch dem inneren Gefängnis, das wir schon aus den Filmen Yilmaz Güneys kennen, und Can endet folglich in einem realen Gefängnis, einer Justizvollzugsanstalt. Im Gegensatz zu Güney sind diese Gefängnisse jedoch selbst verschuldet.


„Der schöne Tag“, Deutschland 2001


ZDF, In der Reihe "Berlin Echtzeit" (2002), Der schöne Tag
Deniz wartet auf Diego.


In allen drei Filmen ist die Kamera nahezu unbeteiligter Beobachter. Distanziert zeigt sie die handelnden Personen innerhalb ihres Umfeldes, sei es großräumig in den Straßen Berlins oder in Nahaufnahme innerhalb von geschlossenen Räumen. Die Kamera begleitet die Protagonisten auch auf ihren Wegen durch Berlin. Sie zeigt das Zurücklegen von Strecken manchmal fast in Echtzeit, was zu sehr langen Einstellungen führt. Dadurch werden die Charaktere nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich eingeordnet. In „Der schöne Tag“ betreiben Thomas Arslan und sein Kameramann Michael Wiesweg dieses Prinzip extensiv.

Deniz (Serpil Turhan) ist eine junge emanzipierte Türkin, die in einer eigenen Wohnung lebt. Sie ist Schauspielerin und arbeitet gerade als Synchronsprecherin in einem Studio. Da die Beziehung zu ihrem Freund Jan (Florian Stetter) nicht funktioniert, ist sie so konsequent, die Partnerschaft zu beenden. In einer U-Bahnstation lernt sie Diego kennen. Sie mögen sich auf Anhieb, aber Deniz weiß, dass das für eine neue Beziehung nicht reicht. Anders als ihre Mutter (Hafize Üner) ist Deniz kompromisslos und würde nicht in einer unbefriedigenden und unharmonischen Ehe ausharren wollen. Genauso wenig wie ihre Mutter ist ihre Schwester ein Vorbild. Die ist ungewollt schwanger, will aber ihre berufliche Karriere weiter verfolgen.

Deniz mag ihren Beruf. Sie synchronisiert gerade eine Rolle in Eric Rohmers Film „Sommer“, in dessen Mittelpunkt ein unentschiedener junger Mann steht. Auch hier geht es um die Unsicherheit und Erwartungen in der Liebe.


ZDF, In der Reihe "Berlin Echtzeit" (2002), Der schöne Tag
Deniz und Diego treffen sich im Park.


In einem Café kommt Deniz mit einer Frau (Elke Schmitter) ins Gespräch, die Dozentin an der Universität ist. Sie unterrichtet die Geschichte des Alltags. Dabei befasst sie sich auch mit der Liebe. Das Ideal der romantischen Liebe kam erst im 18. Jahrhundert auf, erfährt Deniz. Davor waren Überlebensstrategien von größerer Bedeutung, wie Sicherheit, Schutz und Solidarität. Wegen der Beschwerlichkeit der Arbeit und Nahrungsbeschaffung fehlte auch die Zeit, sich mit Gefühlen auseinander zu setzen. Heutzutage haben wir den Freiraum, unsere Emotionen zu leben. Aber was sind unsere Gefühle eigentlich? Inwieweit sind sie echt und aufrichtig und kommen aus dem Herzen, inwieweit sind sie gesellschaftlich konditioniert und entsprechen einer inneren oder äußeren Erwartungshaltung. Die Dozentin rät, die Liebe nicht nur als ein Gefühl, sondern auch als ein Mittel zur Verständigung zu sehen. Auch wenn eine Beziehung zerbricht, ginge deswegen die Liebe nicht verloren. Deniz erkennt nach diesem Gespräch, dass Gefühle einem Wandel unterworfen sind. Man sollte sie deshalb im gegenwärtigen Moment leben. Ein Anspruch auf Ewigkeit haben sie nicht.



Thomas Arslan

Geboren: 16. Juli 1962 in Braunschweig
1967 – 1971 Besuch der Grundschule in Ankara/Türkei
1971 bis 1982 Schulbesuch in Deutschland mit Abitur
1983 – 1984 Zivildienst in Hamburg
1986 – 1992 Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin
Seit 1992 freiberuflich als Drehbuchautor und Filmemacher
„Am Rand“, 1991, 16 mm-Film
„Im Sommer - die sichtbare Welt“ – 1992, 16 mm-Film
„Mach die Musik leiser“ 1994 für ZDF Das kleine Fernsehspiel
lief im Panorama-Programm auf der Berlinale 1994
„Geschwister – Kardesler“ 1996 für ZDF Das kleine Fernsehspiel
erhielt Max-Ophüls-Preis 1997
„Dealer“ 1998 für ZDF Das kleine Fernsehspiel
„Der schöne Tag“ 2001 für ZDF Das kleine Fernsehspiel
Premiere beim Internationalen Forum des jungen Films auf der Berlinale 2002



Helga Fitzner / November 2003



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