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Reihe Türkischer Film

"Eisenerde Kupferhimmel" (1987) - eine Literaturverfilmung von Zülfü Livaneli


© www.unionsverlag.ch


       In unserer Hommage an Yilmaz Güney hoben wir hervor, dass sich jeder ambitionierte türkische Filmemacher an Güney messen lassen muss, bei Zülfü Livaneli könnte man fast sagen, an ihm messen lassen möchte. Dabei ist Livaneli in erster Linie gar kein Regisseur, sondern Komponist und Sänger. Er hat neben vielen anderen die Filmmusiken zu Yilmaz Güneys "Sürü - Die Herde" (1978) und "Yol - Der Weg" (1982) komponiert.      
"Eisenerde Kupferhimmel" basiert auf einem Roman des Schriftstellers Yashar Kemal, der 1922 in Anatolien geboren wurde. 1955 hatte er seinen internationalen Durchbruch mit dem Roman "Memed mein Falke" und gehört seitdem zu den meistgelesenen Schriftstellern aus der Türkei. Kemal vereint in seinem literarischen Werk einen aufklärerischen Geist mit orientalischer Erzählpoesie. Er lässt Wortgemälde von solcher Klarheit und Kraft entstehen, die er auch für seine politischen Forderungen nach einem demokratischen türkischen Staat einsetzt. Seine Wortgewalt und sein politischer Einfluss standen den Zielen der jeweiligen politischen Parteien in der Türkei oft entgegen, und so wurde er aus politischen Gründen mehrfach zu Haftstrafen verurteilt, denen er sich bislang aber entziehen konnte.

Ähnlich erging es Zülfü Livaneli (Jahrgang 1946), der mehrere Jahre im Exil lebte und von dort aus seine demokratischen Ziele verfolgte. Wenn wir vom türkischen Kunstkino seit Güney sprechen, so ist ein weiteres Merkmal, dass es durch eine politische Dimension charakterisiert wird. Diese muss nicht unbedingt filmimmanent vorhanden sein, indem innerhalb des Films vielleicht polemisiert wird, das Politikum kann schon in der Wahl des Stoffes liegen, der verfilmt wird. Insofern steht Livaneli klar in der Tradition Yilmaz Güneys, führt diese allerdings eigenständig weiter.

Kein Wunder also, dass wir in "Eisenerde Kupferhimmel" das Leitmotiv "Gefängnis" und die Thematik der Leibeigenschaft wiederfinden. Das "Gefängnis" ist hier ein eingeschneites anatolisches Dorf, das von der Außenwelt abgeschnitten ist. Die Dorfgemeinschaft ist in heller Aufregung. Die vergangene Ernte ist so schlecht ausgefallen, dass das Dorf die Schulden bei Adil Efendi, einem reichen Kaufmann aus der Stadt, nicht bezahlen kann. Er hat somit das Recht, den Besitz seiner Gläubiger zu pfänden. Die Konfrontation mit Adil Efendi steht noch aus, da erst die Schneeschmelze abgewartet werden muss. Aber gerade das Warten und die Ungewissheit lässt die Ängste hoch kochen. Bürgermeister Sefer (Yavuzer Cetinkaya) will sich als Mann der Tat erweisen und befiehlt, dass alle Besitztümer versteckt werden sollen, damit die Reiterschar des Efendi nichts findet. Nur der Außenseiter Tashbash (Rutkay Aziz) wagt es, sich ihm zu widersetzen. Dem ehrgeizigen Bürgermeister passt das nicht und er beschuldigt Tashbash, das Dorf beim Efendi verraten zu haben. Sefer fordert die Leute auf, ihre Sachen wieder aus den Verstecken zu holen. Das tun sie auch, aber sie hören sich auch Tashbash an. Der sagt, dass Sefer sie mit der Angst vor Adil Efendi vergiftet hätte und fordert sie auf, sich nicht länger in ihren Häusern zu verstecken, sondern sich von ihrer Angst zu befreien und wieder Menschen zu werden.


© www.unionsverlag.ch

Die Alten erinnern sich nun wieder an die Vorfahren Tashbashs, dessen Großvater ein angesehener Heilkundiger gewesen sein soll. Plötzlich schlägt die Angst des Dorfes in eine irrationale Wundergläubigkeit um. Sie halten Tashbash für einen Heiligen, bringen ihm Opfergaben und verlangen Wunderheilungen von ihm. Tashbash tut alles, um sie vom Gegenteil zu überzeugen, aber vergebens. Sefer, der um seine Stellung im Dorf fürchtet, denunziert Tashbash beim nächstgelegenen Militärposten. Soldaten kommen ins Dorf und verhaften den unfreiwillig Heiligen.

Das Ende der Geschichte ist aber nicht so aussichtslos, wie dies bei Filmen Yilmaz Güneys der Fall gewesen wäre. Als er verhaftet wird, geht Tashbash so friedfertig und würdevoll mit den Soldaten mit, dass ihm sogar die Handschellen wieder abgenommen werden. Angstfrei, wie er ist, bewahrt er sich sogar in dieser kritischen Situation seine Menschenwürde. Auch die Dorfbewohner besinnen sich wieder. Sie wenden sich demonstrativ vom Verräter Sefer ab, das heißt, sie erheben passiven Widerstand gegen eine (noch) amtierende Autorität. Diese Möglichkeit zur Selbstbestimmung war den meisten von Güneys Charakteren noch verwehrt. Livaneli hat in dieser Hinsicht die Thematik fortentwickelt.

Livaneli hat sich auch insofern vom Roman entfernt, als er die ausführliche literarische Vorlage sehr stark gekürzt hat. Statt der Wortgemälde erschafft er mitunter statische, aber eindrückliche Bilder, die an griechische Tragödien erinnern. Er stellt die Dorfbewohner auf wie einen Chorus, der - hier im Film allerdings nonverbal - vom Unheil kündet. Durch diese Abstraktion überhöht er das Thema der Angst und dumpfen Verzweiflung und verleiht ihm eine gewisse Allgemeingültigkeit. Im Gegensatz zum Roman erzählt er Tashbashs Schicksal nach der Verhaftung nicht weiter. Livaneli hält die Handlung in dem Moment an, als die Dorfbewohner ihre Angst und ihren Aberglauben überwinden und selbstbestimmte Entscheidungen treffen.

Dieses Ende stimmt mit Livanelis Zielen für eine multikulturelle demokratische Türkei überein. Ob als Sänger, Komponist oder Autor, seine politischen Bemühungen zur Aussöhnung und seine Kunst ließen sich nie von einander trennen. Während seiner Zeit als Sänger hat er bis zu einer halben Million Menschen zu einem Konzert angezogen. Heute ist er Abgeordneter im türkischen Parlament als Mitglied der sozialistischen Partei CHP. Er ist Repräsentant der Türkei im Europarat und bei der UNESCO.

Helga Fitzner / März 2003

Homepage Zülfü Livaneli: www.livaneli.gen.tr



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