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Reihe "Türkisch-deutsches Kino"

2. Teil Yüksel Yavuz

Vor rund 40 Jahren hat die deutsche Industrie Gastarbeiter ins Land geholt. Sie hat nach Arbeitskräften gerufen, doch es sind Menschen gekommen. Innerhalb dieser vier Jahrzehnte haben sie unsere Gesellschaftsstruktur und auch unser Straßenbild verändert. Es gibt kaum einen Ort mehr, der keinen Döner-Imbiss in der Nähe hat. Wir kennen ihre Küche und paar ihrer Gepflogenheiten. Im Sommer bevölkern türkische Familien die örtlichen Parkanlagen, laufen viele Frauen auch bei hohen Temperaturen mit Kopftuch durch die Straßen. In vielen Mietshäusern stapeln sich manchmal Berge von Schuhen vor den Wohnungstüren. All das ist uns Deutschen mittlerweile vertraut, und irgendwie würde uns ja doch etwas fehlen, wenn es auf einmal nicht mehr da wäre. Aber was wissen Deutsche eigentlich wirklich über die ausländischen Mitbürger?

„Mein Vater, der Gastarbeiter“
Dokumentarfilm von Yüksel Yavuz, Deutschland 1994;


Der ehemalige Gastarbeiter besucht seinen alten Arbeitsplatz. | © Zero-Film, Berlin | Quelle: ZDF

Der Regisseur Yüksel Yavuz schildert in seinem biografischen Dokumentarfilm die Gesellschaft, aus der sein Vater und mit ihm auch eine verhältnismäßig hohe Zahl unserer Migranten stammt, nämlich aus dem kurdischen Teil der Türkei. Er stellt dieses Leben in Kontrast zu den Lebensbedingungen in Deutschland. Sein Vater, Cemal Yavuz, war 1968 dem Ruf der deutschen Industrie gefolgt und hat viele Jahre lang in einer Hamburger Werft als Schweißer gearbeitet. Gewohnt hat er in „Klein-Istanbul“, einer Ghetto-Siedlung für die Gastarbeiter, in dem ein Haus neben dem anderen monoton aneinandergereiht ist. Zwölf Quadratmeter standen jedem Arbeiter als Wohnraum zur Verfügung. Cemal Yavuz hat zehn Stunden am Tag in der Werft gearbeitet. Außer seinem Arbeitsplatz hat er nur noch zwei andere Wege gekannt. Den zum Fischmarkt und den ins Kaffeehaus. Als er zu sehr vereinsamte, holte er zwei seiner Söhne mit nach Deutschland. Der heutige Regisseur Yüksel Yavuz war einer davon. Nach 16 Jahren aber kehrte der Vater 1984 zu seiner Frau und den anderen Kindern in die Türkei zurück.


Die Frau des Gastarbeiters. | © Zero-Film, Berlin | Quelle: ZDF

Doch das Zuhause war nicht mehr der gleiche Ort, den er einst verlassen hatte, denn die meisten jungen Leute haben das Dorf verlassen. Die Daheimgebliebenen fürchten sich vor dem türkischen Militär. Während der Dreharbeiten fuhren häufig Panzer die Straße entlang, und in der Ferne konnte man Brände erkennen. Die Familie ist gespalten, ein Teil lebt in der Türkei, der Rest in Deutschland. Mutter Güzel war vorher noch nie in „Germanistan“, doch für die Dokumentation hat Yüksel Yavuz beide Eltern nach Hamburg geholt. Für Güzel hat sich damit ein Lebenstraum erfüllt, während Cemal in nostalgischen Erinnerungen schwelgt. In „Klein-Istanbul“ kennt er kaum noch jemanden, da er Deutschland schon 1984 verlassen hat. Seinen Arbeitsplatz darf er nicht besuchen. Sein Sohn hat keine Dreherlaubnis erhalten, und nicht einmal allein und ohne Kamera darf der Vater seine alte Arbeitsstätte besuchen. Trotz allem ist er froh, denn er kann seine Enkelkinder in die Arme schließen.


Aus dem Land der Arbeit ist das Land der Enkelkinder geworden. | © Zero-Film, Berlin | Quelle: ZDF



„Aprilkinder“, Fernsehfilm, Deutschland 1998, Buch und Regie Yüksel Yavuz


Bei der Arbeit: Cem (Erdal Yildiz) und sein Kollege Naci (Ercan Durmaz). | © Boris Laewen | Quelle: ZDF

Yavuz erzählt hier die Geschichte von drei heranwachsenden Geschwistern in Hamburg. Sie sind die Kinder türkisch-kurdischer Einwanderer. Dilan, die Jüngste, ist die einzige in der Familie, die sich Deutschland heimisch zu fühlen scheint. Sie entdeckt gerade ihre erste Liebe und trifft sich nur heimlich mit ihrem Liebsten Arif, weil ihr älterer Bruder Mehmet sich als Familientyrann aufspielt. Mehmet verdient sein Geld mit kriminellen Machenschaften und steigt gerade ins Drogengeschäft ein, obwohl ein Kumpel von ihm abhängig ist und er die Folgen erkennen kann. In seiner maßlosen Selbstüberschätzung hält er sich für voll cool.


Schüchtern beim ersten Rendez-vous: Dilan (Senem Tepe) und Arif (Kaan Emre). | © Boris Laewen | Quelle: ZDF

Sein ältester Bruder Cem (Erdal Yildiz) arbeitet in einer Fleischfabrik. Er ist sehr schüchtern und hat sich gerade in Kim (Inga Busch) verliebt, eine Prostituierte. Kim erwidert seine Gefühle und sie verbringen eine schöne Zeit, bis die Vergangenheit Cem einholt. Er wurde vor vielen Jahren mit seiner Cousine verlobt. Da die Lage in deren kurdischen Dorf brenzlig wird, soll sie schnell nach Deutschland gebracht werden. Seine Mutter bereitet schon die eilig angesetzte Hochzeit vor. Nach vielen inneren Kämpfen entscheidet Cem sich gegen sein Gefühl und willigt in die Hochzeit ein. Die Familie, vor allem aber die Cousine, ist sehr erleichtert.


Cem (Erdal Yildiz) folgt der kurdischen Tradition und heiratet seine Cousine (Idil Üner). | © Boris Laewen | Quelle: ZDF



„Kleine Freiheit“, Fernsehfilm, Deutschland 2002, Regie Yüksel Yavuz

Die Hauptdarsteller in „Kleine Freiheit“ sind zwei sechszehnjährige Jugendliche, Baran (Cagdas Bozkurt), ein Türke kurdischer Abstammung und Chernor (Leroy Delmar) ein Afrikaner. Beide halten sich illegal in Deutschland auf und versuchen, irgendwie ihren Weg zu gehen. Baran, ein Waisenkind, arbeitet als Handlanger und Botenjunge für den türkischen Imbiss eines Verwandten. Die Jungen verbringen fast ihre ganze Freizeit miteinander, und die Freundschaft zwischen schwarz und weiß hat trotz einiger Widerstände Bestand. Baran stört nur eines an Chernor. Der dealt nämlich mit Drogen, weil er später einmal nach Australien auswandern will.


Freundschaft: Baran (Cagdas Bozkurt) und Chernor (Leroy Delmar) halten zusammen.

Baran macht sich noch nicht so viele Gedanken über die Zukunft, denn er hat seine Vergangenheit noch nicht verarbeitet. Die tritt in Form eines alten Mannes in sein Leben, der aus einer Stadt stammt, die in der Nähe von Barans Heimatdorf liegt. Barans Cousin glaubt, in dem Mann einen ehemaligen Freund der Familie wiederzuerkennen, und zwar genau den, der Barans Eltern damals an die Miliz verraten hat und damit für ihren Tod mitverantwortlich ist. Baran hat diese Unterhaltung zufällig mitgehört und verfolgt den Mann mit einer Waffe, um den Tod der Eltern zu rächen. Doch schließlich glaubt er den Beteuerungen des Verräters, der behauptet, dazu gezwungen worden zu sein, und lässt ihn weinend zurück.


Baran (Cagdas Bozkurt) wollte den Tod seiner Eltern rächen.

Während er in dieser Angelegenheit noch vernunftbezogen reagiert, rastet er völlig aus, als Chernor von der Polizei verhaftet wird. Als Drogendealer und Illegaler droht ihm mindestens die Abschiebung, womit Baran seinen einzigen Freund verlieren würde. Er rennt mit der Waffe in der Hand in Richtung Polizeirevier und will die Polizisten zur Herausgabe seines Freundes zwingen...

Regisseur Yüksel Yavuz und sein Kameramann Patrick Orth schildern die Ereignisse aus der Perspektive des Jungen und verwenden häufiger das Stilmittel der subjektiven Kamera. Die subjektive Kamera wird einmal klassisch verwendet, indem so gedreht wird, dass das Umfeld ausschließlich aus Barans Blickwinkel gefilmt wird. Der subjektive Blick entsteht auch durch die Bildauswahl, die Baran mit seiner digitalen Kamera trifft. Auf diese Weise kann der Zuschauer optisch an seiner Perspektive teilhaben. Trotz allem bleibt Yüksel Yavuz objektiv in der Gesamtsichtweise. Beide Jungs begehen Straftaten. Mag der illegale Aufenthalt noch harmlos erscheinen, so ist Drogenhandel, der Besitz einer Schusswaffe und die Bedrohung von Menschen, insbesondere der Polizei kein Kavaliersdelikt mehr.



Helga Fitzner / Oktober 2003


Yüksel YAVUZ

Regisseur Yüksel Yavuz wurde 1964 in Karakocan, dem kurdischen Teil der Türkei geboren. Er kam 1980 in seinem 16ten Lebensjahr nach Hamburg, wo er zunächst eine „Maßnahme zur beruflichen und sozialen Eingliederung für junge Ausländer“ besuchte. Für kurze Zeit arbeitete er in einer Fleischfabrik, wie sein Filmheld Cem in „Aprilkinder“. Nach dem Studium der Soziologie und Volkswirtschaft, studierte er von 1992 bis 1996 an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. 1994 drehte er den Dokumentarfilm „Mein Vater, der Gastarbeiter“, in dem er seine eigene Familiengeschichte thematisiert. Auch sein Debütfilm im Spielfilmbereich „Aprilkinder“ handelt von der Situation von Migranten in Deutschland sowie der Kurdenthematik. „Kleine Freiheit“ hat noch keinen Sendetermin, wird aber in der Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ im ZDF noch gezeigt werden.

Inhalt

Drehbücher, Projekte und Arbeiten

Themen:
Film-Kritiken, Besprechungen, Tipps

Feuilleton:
Berichte, Diskussionen, Beiträge

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