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FEUILLETON
Martin Kippenberger: Das 2. Sein

Martin Kippenberger: Das 2. Sein

Unproduktivität kann man Martin Kippenberger, der kaum wie anderer die aggressive Dynamik der Punk-Ära Ende der 70er in künstlerischen Output umzuwandeln wusste, wahrlich nicht nachsagen. Allein diese Retrospektive - die erste nach seinem frühen Tod mit 44 Jahren - im Museum für Neue Kunst | ZKM Karlsruhe umfasst über 500 Exponate. Martin Kippenberger lebte auf charismatische und exzessive Art - man war nach Aussage von Freunden entweder zutiefst von ihm fasziniert oder abgestoßen - eine fast klassische Bohemien-Rolle. Als genauer und scharfsinniger Beobachter, vom Mainstream dieser Gesellschaft etwas angewidert und doch auf ihre Anerkennung angewiesen; als Künstler vielleicht noch etwas mehr als andere! Dabei tat er zunächst alles, um sich unbeliebt zu machen. Er konterkarierte, weniger durch seine formalen bildnerischen Mittel, als durch seine schonungslose Selbstironie und seinen beißenden Spott, die bürgerlichen Erwartungen an die "hohe Kunst" und wurde dennoch, bald nach seinem Tode in ihren Olymp erhoben.


Martin Kippenberger, Selbstbildnis in Unterhose

Am Beispiel Kippenberger lässt sich gegenwärtig sehr schön beobachten, wie ein zeitgenössischer Künstler in den ruhmreichen und illustren Kreis der Kunstgeschichte aufgenommen wird. Und diesmal liegt sie gar nicht so falsch damit: Der materielle Output geht bei Kippenberger einher mit einer sehr hohen künstlerischen Qualität und einer außerordentlich großen Vielfalt und Experimentierfreudigkeit im bildnerischen Ausdruck. Kippenberger benutzte sehr gerne traditionsbehaftete Techniken wie die Malerei und Skulptur, aber zeigte sich ebenso gegenüber neueren Ausdrucksmöglichkeiten wie dem Plakat, der Fotografie oder großvolumigen Rauminstallationen offen. Gerade seine Plakate - zwischen 1977 und 1997 entstehen fast 180 Plakate, die er in neodadaistischen Art und Weise als Fotomontagen arrangiert hat, geben viel von der Persönlichkeit Kippenbergers preis. Sie zeigen besonders deutlich seinen anarchischen Wortwitz und zählen für mich persönlich zu den absoluten Highlights dieser Ausstellung.
Bei aller Offenheit hielt er sich jedoch von den neuesten technischen Errungenschaften fern. Mit Videokunst oder interaktiver Computerkunst konnte er nichts anfangen. Vielleicht wollte er einfach die Kontrolle über sein Tun behalten, als sich einer ihm unbekannten Technik auszuliefern. Hingegen delegierte er rein handwerkliche Tätigkeiten durchaus gerne an andere, was seine industriell gefertigten Multiples oder die 1981 entstandene Serie "Lieber Maler, male mir..." belegen.

Bei all den schrillen und wohl wahren Anekdoten, die über Kippenberger erzählt werden, steht er jedoch durchaus innerhalb einer künstlerischen Tradition.
Nach seinem abgebrochenen Studium an der HfBK in Hamburg machte er sich nach Italien auf, um sich an einem so (kunst)geschichtsträchtigen Ort wie Florenz niederzulassen. Die Farben des Südens haben ihn gewiss inspiriert, sie treten jedoch nicht in der dort entstandenen Bild-Serie "Uno di voi, un tedesco in Firenze" in Erscheinung. Die gleichformatigen Ölbilder (50 x 60 cm) wurden von Kippenberger vollständig in schwarz-weiß ausgeführt und geben Veduten, Personen, florentinische Wappen, Vespas und andere städtische Interieurs wieder. Die Lichtfülle Italiens schlägt sich allein in den starken Kontrasten nieder - die Vorlagen für diese Serie - Fotoschnappschüsse und Postkarten - werden durch die willkürlich gewählten Ausschnitte und die teilweise wie durch Zufall beschnittenen Gesichter deutlich. Übereinandergestapelt sollten die Bilder der Serie Kippenbergers Körpermaß von 1,89 m erreichen, was dann bis auf zehn fehlende Zentimeter auch gelingen sollte.


Martin Kippenberger, Uno di voi, un tedesco in Firenze

Wieder zurückgekommen in Berlin übergab Kippenberger 1979 die Serie dem Besitzer der "Paris Bar", Martin Würthle, als Dauerleihgabe und erhielt dafür freies Essen und Getränke auf Lebenszeit.
Ein Jahr zuvor leitete Kippenberger das inzwischen legendär gewordene S.O. 36 in Berlin Kreuzberg. Er organisierte Punkkonzerte und gründete seine eigene Punkband: "Die Grugas". Als der Eintritt eines Konzerts von mehreren jugendlichen Punks als zu teuer empfunden wurde, schlagen sie ihn krankenhausreif. Abschließend malt er nach einem Foto seines zerschundenen Gesichts ein Bild, das er "Dialog mit der Jugend" nennt.

Die Ausstellung zeigt alle wichtigen Werkphasen des Künstlers, der gut zwei Jahrzehnte aktiv gewirkt hat und dessen Werk von Brüchen, Stil- und Materialwechseln, aber ebenso durch umfängliche Bild-Serien und übergreifende Themen geprägt ist.
Die Ausstellung ist in der Tat ein spannendes Experiment. Sofern man wie ich zur Babyboomer-Generation gehört, reflektiert sie außer Kippenbergers schillernder Persönlichkeit die gesellschaftliche Stimmungen der Nach-68er-Zeit sehr deutlich, wie z.B. seine Plakate, die deutliche Bezüge zu zeitgenössischer Ikonografie und Werbeästhetik aufweisen. Vom Pril-Blümchen-Stil der 70er bis zur kühlen Körper-Ästhetik der 90er sind hier verschiedenste Einflüsse erkennbar. Auch in anderen Zusammenhängen, wie zum Beispiel bei der Rauminstallation "Spiderman Atelier" tauchen diese Zeiterscheinungen immer wieder auf.


Martin Kippenberger, Das Spiderman Atelier

Einige Plakate gestaltete Kippenberger für eine Reihe befreundeter Musikredakteure, wie z.B. Diedrich Diederichsen oder Jutta Koether. Sie schrieben damals für die sehr einflussreiche Kölner Musikzeitschrift Spex. Von Diederichsen und Koether ließ sich Kippenberger zum damaligen Zeitpunkt - Anfang der 90er - bevorzugt interviewen. Popkultur wurde von Spex nicht nur einseitig auf Musik hin definiert, sondern betraf nach Ansicht von Diederichsen und Koether alle gesellschaftlichen Bereiche. Befreundeten Künstlern der Zeitschrift wie Martin Kippenberger, Werner Büttner und Albert Oehlen wurde dadurch eine Plattform gegeben, die ihre Arbeiten auch einem kunstuninteressierten Publikum näher brachte.

In der nachfolgenden Zeit entstehen u.a. stark reliefhafte Bilder (Ende der 80er) bei denen Kippenberger Latex anstatt Farbe verwendet hat (heute an dem etwas strengen Geruch erkennbar), Rauminstallationen wie die "Hamburger Hängung", die "Tankstelle Martin Bormann" oder der mehrteilige Komplex "Tiefes Kehlchen", den Kippenberger 1991 eigens für die Wiener Festwochen konzipiert hat.
Konzeptionell ausgerichtete Projekte wie das "METRO-Net" und das Museumsprojekt "MOMAS" auf der griechischen Insel Syros werden ebenfalls ausführlich in Modellen, Fotos und durch die Einbindung plastischer Werke lebendig präsentiert.
Für das Jahr 1997 hatte Kippenberger nach Aussage seiner Schwester große Pläne, als er dann unerwartet heftig erkrankte und vier Wochen später im Krankenhaus verstarb.

k.s. - red / 21. März 2003
Die Ausstellung findet noch bis 27.04.2003 im Museum für Neue Kunst | ZKM Karlsruhe statt.
Öffnungszeiten: Mi 10 - 20 Uhr, Do - So 10 - 18 Uhr.
Öffentliche Führungen: Mi 18:30 Uhr, Fr. 12:30, Sa 16 Uhr, So 11:30 und 16 Uhr.
Besonders möchte ich noch auf den Vortrag von Diedrich Diederichsen: "Martin Kippenberger - der Selbstdarsteller" hinweisen, der am 2.4. um 18:30 Uhr stattfindet.

In Überschneidung mit der Karlsruher Ausstellung wird von 12.04. bis 22.06.2003 in der Kunsthalle Tübingen das zeichnerische Werk von Martin Kippenberger ausgestellt.


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