KÜNSTLERPORTRÄTS:
Angellika Zeller
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Angelika Zeller
Stickereien
HERMANN GÖRING MIT SERVIETTE, auf Küchhandtuch im Rahmen, Durchm. 19 cm. |
"Manchmal ist es besser zu Hause zu bleiben und zu sticken! Wozu in die
Ferne schweifen..."
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Der Nähkasten (I)
Aus: Walter Benjamin, Berliner Kindheit um neunzehnhundert, Fassung
letzter Hand, Suhrkamp Verlag 1987
"...Schneewittchens Mutter näht und draussen schneit es. Je stiller es im
Land wird, desto mehr kommt dieses stillste Hausgeschäft zu Ehren.
Je früher am Tag es dunkel wurde, desto öfter erbaten wir die Schere.
Eine Stunde verbrachten nun auch wir mit unsern Augen der Nadel
folgend, von der ein dicker wollner Faden herunterhing[...] Ohne davon
zu reden hatte jedes sich seine Ausnähsachen vorgenommen[...] Und
während das Papier mit leisem Knacken der Nadel ihre Bahn freimachte,
gab ich hin und wieder der Versuchung nach, mich in das Netzwerk auf der
Hinterseite zu vergaffen, das mit jedem Stich, mit dem ich vorn dem
Ziele näherkam, verworrner wurde."
Walter Benjamin, Seite 73
"Erstochen. Wieviele Sticheleien sind nötig bis Eine zusticht?
"
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MÖRDERIN, ERSTACH IHRE SCHWESETER MIT 17 SCHERENSTICHEN, auf Futterstoff, Durchm. 19 cm.
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ILSE KOCH NACH 7 JAHREN HAFT, alter Mallappen, bestickt, Durchm. 29 cm.
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"Ilse Koch hat es geschafft in der Haft ihren Sohn Uwe zu zeugen! Mit dem
Wärter? Jedenfalls hat das Böse sich fortpflanzen können, auch in
Einzelhaft." |
Gestickte Welt
von Harry Walter
Die gestickte Welt von Angelika Zeller ist naiv und perfid zugleich. In hinterhältigen Schlingen führt sie uns über eine kindliche Bildsprache in die Untiefen der Seele; dorthin, wo falsche Gefühle zu echten Gesichtern werden, und umgekehrt. Doppelbödiges ist hier gleich mehrfach angelegt. Die mit recht biederen Vorstellungen behaftete Praxis geduldigen weiblichen Stickens wird von der Künstlerin fast liebevoll aufgegriffen, um sogleich wieder - Stich für Stich - perforiert und konterkariert zu werden. Der in die "Heimarbeit" investierte Fleiß amortisiert sich hier am Ende auch nicht als dekorativer Zugewinn. Im Gegenteil: In den aus einer Unzahl bunter Fäden zusammengesetzten Porträts kann schon aufgrund der gewählten Technik keine malerische oder graphische Finesse aufkommen, nicht einmal der Duktus einer Handschrift, erst recht keine versöhnliche Ornamentik. Nichts kann sich in diesen verfitzten Porträtlandschaften wirklich zu einem "Bild" abrunden. Die einzelnen Fäden laufen neben- und übereinander her, ohne je miteinander zu verschmelzen: Wenn sie verschwinden, dann auf die andere Seite. Dort führen sie ein konfuses Schattenleben; zum Teil sind sie abgeschnitten, zum Teil führen sie auf abstrus anmutenden Umwegen wieder auf die Bildseite zurück, um dort zu jener speziellen zellerschen Tiefenschärfe beizutragen, deren haptische Qualitäten sich in einigen Fällen zu autonomen dreidimensionalen Objekten steigert. Dann kann ein Kopf zum Sofakissen werden, in das man allerdings nur ungern den eigenen betten würde. Jedenfalls nicht, ohne auf schlechte Träume zu spekulieren.
Harry Walter, 2002
"Mädchen sind wie Blumen. Warum müssen sie gepflückt werden um Freude zu
schenken?"
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DER MÄDCHENMÖRDER RONNY RIEKEN, verstickt mit Stiefmütterchen, Narzisse und Rose auf Röckchen.
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ILSE KOCH KOCHT, die Frau des ehemaligen Kommandanten von Buchenwald. Versponnen als dreidimensionales Objekt, ca. 12 cm x 12 cm x 12 cm.
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"Ilse Bilse, keiner will se! Kam der Koch und nahm se doch!", "Und dann
kam der Mops in die Küche und stahl dem Koch ein Ei."
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"Der Sack ist so leer! Was könnten wir alles hineinfüllen? Bücher,
Bilder, Würste, Schnaps, ein hartgekochtes Ei oder einen
Personalausweiss."
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GÖRING MIT WEIMARANER EROBERT DIE WELT AUF EINER WANDERAUSSTELLUNG.. , gestickt auf Rucksack.
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Der Nähkasten (II)
Aus: Walter Benjamin, Berliner Kindheit um neunzehnhundert, Fassung
letzter Hand, Suhrkamp Verlag 1987
"...Die Spindel kannten wir nicht mehr, die das Dornröschen stach und in
hundertjährigen Schlaf versenkte..."
Walter Benjamin, Seite 71
VERSCHLAFENEN TRAÄUME I-IV, auf Kopfkissen gestickt, Druchm. 60 cm.
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"Dein Traum ist das Einzige nur von Dir gesehene. Du bist ganz allein der
Zuschauer Deiner Träume, nicht nur Regisseur, Schauspieler und Bühne."
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"Das ist ein Unding, ein gestrickter Akt, aber es gibt nichts was es
nicht gibt."
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LEIDENSCHAFT, verschlungenes Stopfgarn, dick wie ein Pullover, ca. 140 cm x 68 cm.
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VIER PORTRÄTS I-IV, aus verschiedenen Fotos zusammengestickt, reliefartige Pölsterchen, ca. 23 cm x 15 cm.
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"Wir sind sehr viele, und wer sind Sie?" Antwort :
a.) "Ich bin Dein Mann."
b.) "Immer der der fragt."
oder c.) Eigene Antwort !
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"Nicht mehr zu halten!"
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ZWEI FLÜCHTLINGE, 75 B.
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Dem Anschein nach - nicht ...
Konsequent mit der Idee des Ready-Made spielend, das auf sich selbst verweist und in seiner Isoliertheit unsere Alltagswelt hinterfragt, wird das in der gestickten Welt von Angelika Zeller verarbeitete Material zu einem Bestandteil der Aussage selbst. Verbunden mit der jahrtausende alten Tradition des Stickens steht aber nicht nur unser Jetzt sondern auch unsere Geschichte, die individuelle und die kollektive, im Zentrum der Reflexion.
Handarbeit als künstlerische Technik hat eine lange Tradition: Geknüpfte Gobelins, die Quilt-Tradition der amerikanischen Siedlerfrauen aber auch das Sticken selbst. Die mindestens über 2.000 Jahre alte Technik der Stickerei, die ihren Namen von den Babyloniern erhalten hatte, wurde schon in Rom als "Malen mit Nadeln" bezeichnet. Ursprünglich von Handwerkern und Mönchen hergestellt und für Verzierungen im zeremoniellen Bereich eingesetzt, die als Zeichen einer Gedanken-, Ideen- und Glaubenswelt gelesen werden können, wurde die Technik mit Beginn einer bürgerlichen Kultur zunehmend zu einer Heimarbeit der Frauen und zu einer Erwerbstätigkeit, die vornehmlich der Herstellung anscheinend rein dekorativer Erzeugnisse diente. Für den beschaulichen Alltag entstanden Sitzbezüge, Bettsteppdecken, Vorhänge, Wandbehänge, Teppiche, Bucheinbände und natürlich Bilder.
Dieser doch sehr grobe historische Abriss deutet schon an, dass sich hinter der sauberen Handarbeit etwas verbirgt, das auf die tieferen Schichten eines fast magischen Aktes des Produzierens verweist. Die männliche Vorstellung heimischen Glücks mit einer in ihre Handarbeit verstrickte Frau übersieht das Geheime. Geschichten und Geschichte werden verarbeitet mit einer durchaus auch aggressiven Tätigkeit: das Durchstechen eines Stoffes mit der Nadel.
Die hervorragenden Arbeiten von Angelika Zeller greifen dieses Motiv des Produzierens und die Ambivalenz dieses Handelns auf. Die Produktion bleibt sichtbar und ein Blick auf die Rückseite sollte zumindest Verdacht erregen, wenn es nicht schon die Motive für sich tun. Mit bissigem Witz spielen die Werke mit einer Oberfläche, die zwischen Tradition und Subversion oszilliert. Wie auch in Märchen die Doppelseitigkeit des Motivs zum Ausgangspunkt von Geschichten wird, die zwischen zwei Welten, der fassbaren und der magischen, vermittelt, so entsteht in der Arbeit von Angelika Zeller weitaus mehr, als dem Anschein nach...
s.p. - red / März 2003
VON LIEBE UND FLEISCH, aus Supermarktwerbepospekten zusammengeflickt, ca 10 cm x 14 cm.
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"Im Supermarkt kommt alles zusammen. Auch was nicht zusammengehört.
Paare, Kinder, Einsame, alle wollen was zusammenkochen oder brauchen
Klopapier. Morgen müssen sie wieder hin..."
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"Das Busenwunder starb laut BILD an einem Pillencocktail. Alles wird
vergehen, nur ihr Busen nicht, denn der ist künstlich."
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BUSENWUNDER, umgarnte Skultpur, ca. 11 cm x 12 cm x 13 cm.
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DIE KÜNSTLICHE NACHRICHTENSPRECHERIN ANANOVA, erstickt in Kunsthaarperücke, ca. 22 cm x 24 cm.
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"Sind die Nachrichten wirklich echt? ist ja auch egal."
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Der Nähkasten (III)
Aus: Walter Benjamin, Berliner Kindheit um neunzehnhundert, Fassung
letzter Hand, Suhrkamp Verlag 1987
"...Ein Zweifel überkam mich, ob der Kasten von Haus aus überhaupt zum
Nähen sei. Dass mich die Zwirn- und Garnrollen darinnen mit einer
verrufenen Lockung quälten, bestärkte ihn [...]
...Neben der oberen Region des Kastens, wo diese Rollen beieinander
lagen, die schwarzen Nadelbücher blinkten, und die Scheren jede in ihrer
Lederscheide steckten, gab es den finstren Untergrund , den Wust, in dem
der aufgelöste Knäuel regierte [...] "
Walter Benjamin, Seite 72
"Wir haben alle etwas zu verbergen, selbst diese Stickerei auf der
Rückseite." |
SZENE AUS HITCHCOCKS VERTIGO, eingefädeltes Spiel zwischen Scottie und Madleleine, auf Bügeltuch, Druchm. 30 cm.
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TRÄUMERLE, verworren auf Puppenkopf, ca. 14 cm x 10 cm x 9 cm.
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"...Und wenn der Traum zu Ende ist stehen wir alle auf und richten uns im
Leben ein! Es gibt Menschen die haben ein Leben und welche die führen
eins, sagt Susan Sonntag.
Manchmal ist es besser man bleibt zu Hause und stickt." |
die ProduzentengalerieBONUS d'escargot
eröffnet am 7. März 2003 um 19.00
mit einer Ausstellung von
Angelika ZELLER
Eröffnung: Udo Goldmann (Kulturbürgermeister der Stadt Esslingen)
Einführung: Andreas Baur (Galerie der Stadt Esslingen)
Im Atelier von Rosy Albrecht
Reutlinger Str. 26/1, 73728 Esslingen
jeweils Sonntags von 15.00-18.00
oder nach telefonischer Vereinbaring.
0162/8665908 oder 07071/650459
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