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Opernkritik

György Ligeti: LE GRAND MACABRE (Theater der Stadt Heidelberg)

Breughelland - eine opernhafte Provinz Ligetis

György Ligeti, ein echter Kosmopolit, wurde 1923 als Sohn ungarisch-jüdischer Eltern in Siebenbürgen geboren. Politisch unruhige Zeiten des letzten Jahrhunderts schärften seine Wachsamkeit gegenüber jeder Art totalitärer Systeme und trieben den Emigranten 1956 nach Österreich. Seine Musiker-Profession führte ihn anschließend nach Deutschland.
Auch in seinem Kopf hat der polyglotte Komponist früh Grenzen überwunden.
Im immer wieder überraschenden Oeuvre, das sich nie beschränkend einer Avantgarde oder Postmoderne zurechnen ließ, ist die Grenzenlosigkeit ein auffälliges Merkmal. Stets war Ligetis künstlerisches Ringen eine Auseinandersetzung mit der Tradition, die jedoch trotz der konventionellen Musizierhaltung in überraschende und eigenwillige Klangräume führte.
Ende der Sechziger Jahre verwendete Stanley Kubrick, der für seinen legendären Zukunfts-Film "2001- Odyssee im Weltraum" eine "unerhörte" Musik benötigte, ungefragt fremdartige Sphärenklänge des Komponisten. Diese Musikkunst schien der Zeit voraus.
Selbst wenn der hellsichtige Weltbürger nie wirklich innerhalb einer Landesgrenze heimisch geworden ist, so ist in Kenntnis seiner Äußerungen und Werke eine Heimatlosigkeit klar zu verneinen.

Zu den Prinzipien Ligetis geistiger Heimat gehört offensichtlich, immer das zu tun, was am wenigsten von ihm erwartet wird.
Darum verwundert es rückblickend nicht, dass sich Ligeti mit der Gattung Oper zu einer Zeit befasste, als Pierre Boulez mit der Kampfansage, Opernhäuser in die Luft zu sprengen zu wollen, Furore machte.
Ligetis einzige Oper bereichert die Opernliteratur um einen originellen Beitrag. Mit der für ihn typischen Ironie formte er für das Musiktheater in verblüffender Weise, durch handwerklich meisterliche Modifikation musikalischer Ausdrucksweisen und Klangtypen verschiedenster Epochen der Musikgeschichte einen eigenen Sprachduktus.

2001 - Breughelland ist überall und immerfort

Die Frage, wie frisch das Werk mehr als 20 Jahre nach der Uraufführung klingen kann, beantwortet die phantasievolle Inszenierung der Städtischen Bühnen Heidelberg mit einer überzeugenden Ensemble-Leistung. Ob die grelle Geschichte, die vom Sensenmann und dem um das Ende der Menschheit bangende "Breughelvolk" erzählt, noch funktioniert, darauf gibt Regisseur Wolf Widder eine positive Antwort.
Quäkende Autohupen als Ouvertüre signalisieren gleich zu Beginn, dass die Verzerrung ein wichtiges Stilmittel im musikalischen Breughelland ist. Die Regiearbeit lässt sich spielerisch auf die Vorlage ein und hebt das Bühnengeschehen einfallsreich auf das vom Werk geforderte Niveau.
Die Bühnengestaltung von Sibylle Schmalbrock entspricht mit einer herrlich kitschigen Ausführung, die dem Format eines Jeff Koons in nichts nachsteht, der köstlichen Vielfarbigkeit des plakativen Spektakels.
Sie platziert das Orchester statt im Graben direkt auf der Bühne. Dafür sind die Musiker zunächst von einem großen himmelblau durchscheinenden Vorhang verdeckt. Die Bühne wird mittig von einem schräg angesetzten breiten "Laufsteg" geteilt, auf dem das Liebespaar Amanda und Amando (Steffi Sieber und Kirsten Obelgönner !!!) wie im Siebten Himmel ihre Liebe besingen, um sich anschließend in einer Grabkammer zum ungestörten Liebesspiel zurückziehen.
Damit entziehen sie sich den Spannerblicken des Trunkenboldes Piet vom Faß (überzeugend versoffen und "erdig-derb": Winfried Mikus), der als erster dem heruntergekommenen und vollmundigen Nekrotzar (geheimnisvoll-bizarr: Theodor Carlson) begegnet. Eva Maria Weber hat den Figuren Bekleidung aus der Entstehungszeit des Opernwerks zugedacht, die aus heutiger Sicht eine gewisse Rückständigkeit der Charaktere suggeriert und zugleich den Kitsch und die Künstlichkeit der Atmosphäre unterstreicht.
Diese Wahl ist auch insofern ein guter Griff, als die Modetrends der Siebziger heutzutage, wenn auch weniger abgewetzt, wieder aktuell sind. Somit erscheinen uns die Bühnengestalten gar nicht so weit hergeholt, und die dumpfen Denk- und Verhaltensstrukturen aus Breughelland sind ohne Schwierigkeiten auf aktuelle Verhältnisse übertragbar.
Die Darstellungsfreude der Akteure wirkt so konzentriert und lebendig, dass man gespannt den absurden Bildern folgt, ohne die Musiker, die nach wie vor im Blickfeld sind, zu sehen. Dies spricht durchaus für die hohe Qualität der Ausführenden, die unter der Leitung von Thomas Kalb die gebotene Form- und Ausdruckskraft entfalten. So folgt man amüsiert den drastisch herben Szenen einer Ehe (Carolyn Frank als sadistische und liebestolle Mescalina, Heinz Feldhoff als ihr Leid geplagter Ehemann Astradamors), die mit cartoonmäßiger Überzeichnung ein Beispiel von Auswüchsen der Macht und Opferschicksal im privaten Bereich geben.
Die Fragwürdigkeit von Machtmechanismen auf politischer Ebene, verkörpert durch den schwuchtelig-naiven Fürst Go-Go (Gerson Luiz Sales) und seinen korrupten Ministern (Uwe Stickert und Werner Volker Meyer) sowie einem zwielichtigen Chef der Geheimpolizei (Maraile Lichdi) geben der Heidelberger Inszenierung Gelegenheit, im Wortspiel einige aktuelle Politikernamen einzuflechten.
Nachdem sich die unlauteren Mächtigen bereichert haben und im allgemeinen Chaos die Szenerie verlassen wollen wie Ratten das sinkende Schiff, kann sich das Publikum als Teil des Breughelvolkes fühlen. Denn die gespenstisch aufgeheizte Stimmung der angesichts des Weltuntergangs in Panik versetzten "Breughelländer" wird durch Mitglieder des Chors und der Statisterie verstärkt, die inmitten des Zuschauerraumes sitzen und sich in bester Stimm- und Spiellaune melden. Dadurch erfüllt die Massenhysterie den gesamten Theaterraum und steigert sich bis zur tumultartigen Endzeit-Stimmung.
Die Vergnügungssüchtigen auf der Bühne fügen sich angemessen in ihr vermeintliches Schicksal und versacken mitsamt ihrem Unheilsverkünder in einer surrealen Orgie.
Doch die Menschheitskatastrophe bleibt aus. Nach dem Rausch bleibt alles beim alten.
Die profane Logik der sich tot geglaubten Überlebenden Fürst, Piet und des Astradamors erreicht einen zeitlosen makabren Standard, der höchstens durch Äußerungen von Containerbewohnern zu unterbieten ist:
"Wir haben Durst, also leben wir!"

v. - red / 10.02.2001

Le Grand Macabre

Oper in vier Bildern von György Ligeti
Libretto von Michael Meschke und György Ligeti
frei nach Michel de Ghelderodes Schauspiel
"La Balade du Grand Macabre"
Revidierte Version 1996

Premiere 4.2.2001, Städtische Bühne Heidelberg

Musikalische Leitung: Thomas Kalb
Inszenierung: Wolf Widder
Bühne: Sibylle Schmalbrock
Kostüme: Eva Maria Weber
Lichtgestaltung: Ewin Jutz
Chor: Heike Kiefner
Dramaturgie: Stephan Kopf
mit:
Maraile Lichdi, Steffi Sieber, Kirsten Obelgönner,
Gerson Luiz Sales, Carolyn Frank, Winfried Mikus,
Theodor Carlson, Heinz Feldhoff, Uwe Stickert,
Werner Volker Meyer, Alexander Bächle,
Albrecht-Peter Zahner, Mario Withalm
Opernchor des Theaters der Stadt Heidelberg
Philharmonisches Orchester der Stadt Heidelberg
Statisterie des Theaters der Stadt Heidelberg
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