Theaterkritik
Peter Eötvös: Drei Schwestern (Freiburger Theater)
Oper in drei Sequenzen von Peter Eötvös, Text nach Anton Tschechow von Claus Henneberg
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Peter Eötvös: Drei Schwestern (Freiburger Theater)
Oper in drei Sequenzen von Peter Eötvös, Text nach Anton Tschechow von Claus Henneberg
Die Erfolgsgeschichte der ersten Oper von Peter Eötvös ist bemerkenswert. Nach der vielbeachteten und hochgelobten Uraufführung von "Tri sestri" 1998 in Lyon unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano, folgen in den darauf folgenden Jahren Neuproduktionen in Budapest, Enschede und Düsseldorf (deutsche Erstaufführung in deutscher Sprache).
Der Siegeszug des Opernwerks wird im Herbst 2000 mit einer Premiere in der Hamburger Staatsoper und einer Neuinszenierung des Freiburger Theaters fortgeschrieben.
Indem der Komponist Tschechows lineare Erzählweise bewusst durchbricht und in drei Sequenzen, jeweils aus der Perspektive eines bestimmten Protagonisten, einzelne Momente des Dramas hervorhebt, gelingt ein spannendes Musiktheater, das innerhalb der Gattung der Literaturoper eine herausragende Stellung einnimmt.
Mit der inhaltlich durchdachten Konstruktion werden Spannungsfelder von Dreiecksverhältnissen einzelner Figuren untereinander oder zu anderen Personengruppen transparent. Dabei dienen konkrete Vorgänge, die sich zum Teil in jeder Sequenz wiederholt ereignen, der Orientierung des zeitlichen Ablaufs.
Gleichzeitig gewinnen die Charaktere durch Zuordnung eines "eigenen" Instruments eine individuelle Klangzeichnung und entsprechen damit dem Interesse des Komponisten an den psychologischen Dimensionen des Stoffes.
Seine Erfahrungen als Dirigent nutzend, erzielt Eötvös durch eine spezielle Anordnung der Klangkörper im traditionellen Orchestergraben und dem großen 50-köpfigen Hauptorchester hinter Bühne eine wichtige Raumwirkung, die erlaubt, dem theatralischen Situationen mit der optimalen Lautstärke zu folgen oder entsprechende Akzente zu setzen.
Freiburg: "Hier ist das schönste Kind geboren."
Im Anschluss an die Freiburger Premiere der Oper "Drei Schwestern" lobte der Komponist die Inszenierung und die Leistung aller Beteiligten. Unter Hinweis darauf, dass die Freiburger Inszenierung die sechste Produktion seiner Oper ist (in Lyon und in der holländischen Inszenierung mit Countertenören; in Düsseldorf und Budapest mit Sängerinnen), erklärte der Klangmeister, dass er seine Auffassung über die Inszenierungsweise anläßlich der aktuellen Seh- und Hörerfahrung ändern müsse. Ursprünglich gab Eötvös der Besetzung mit Countertenören in den Frauenrollen den Vorzug, wobei er in Kenntnis der Eigenheiten eines Repertoire-Theaters auch die Fassung für ein Ensemble mit Sängerinnen gelten ließ. Bis zum Zeitpunkt der Freiburger Produktion war ihm wichtig, durch Einsatz von Countertenören die Inhalte der Oper nicht zu sehr auf die Frau-Mann-Beziehung zuzuspitzen.
In Freiburg zog Regisseur Gerd Heinz die Variante ohne Countertenöre vor und besetzte die Rollen der Schwestern und der Schwägerin Natascha tatsächlich mit Sängerinnen.
Diese Darstellung überzeugte Eötvös, denn - anders als in der Variante mit Countertenören - ist hierbei eine konkrete Spielweise geboten. Handlungsweisen wie das sich gegenseitige Berühren, Umarmen oder an den Händen fassen würden bei mit Männern besetzten Frauenrollen irritieren, weil es nicht im Entferntesten Ansatz des Stoffes ist.
Das sparsame Bühnenbild des Freiburger Theaters folgt inhaltlichen Vorgaben. Regisseur Heinz hat die Gefahr einer einseitig gezeichneten frostigen Endzeitstimmung erkannt und läßt die Szenerie durch ein warmes Licht unaufdringlich bereichern. Es geht ja nicht nur um die Einführung in eine trostlose Lebenssituation der Figuren, sondern auch um die Beleuchtung der Seelenzustände, die in der dargebotenen hohen Gesangskunst eine große Bandbreite von Gefühlen eröffnet.
Das musikalische Ziel individueller Figurenzeichnung wird durch die Kostüme unterstützt: so beispielsweise in der farblichen Abstufung der grünen Kleider, die auf den Altersunterschied der drei Schwestern weist.
Die Inszenierung vereint die Künste zu einem vollwertigen Bühnenereignis. Die einzelnen Elemente werden nicht als bloßes Werkzeug für ein stilvolles Ergebnis missbraucht. So wie maßvoll eingesetzte schauspielerische Momente im Geiste Tschechows dienen alle Reize für Aug und Ohr einem Werk, das unsere Herzen öffnet und auf Seelennöte deutet und ganz konkret die Tragik der Figuren aufzeigt, nämlich die Unfähigkeit, sich aus einer Lethargie der Untätigkeit und Hilflosigkeit zu befreien oder befreien zu lassen.
In ihrer Unzulänglichkeit bleiben den Schwestern offensichtlich nur die Träume von anderen Orten, oder im Fall des Doktors die Flucht in einen alkoholisierten Dämmerzustand des Vergessens . Im Fall des Andrej bleiben diesem nur Fluchtgedanken, weg von einem Menschen, dem man selbstgenügsam seine Träume opfern wollte und dann erkennen muss, dass man sich getäuscht hat.
Kwamé Ryan und Peter Eötvös nach der Premiere / Foto v. - red
Unter Leitung des souveränen Kwamé Ryan, der als ehemaliger Schüler des Peter Eötvös ein genaues Gespür für die Intentionen des Komponisten hat, zelebriert das philharmonische Orchester der Stadt Freiburg eine großartige plastische Wirkung des Orchesterklanges und im Spiel der schönen und beseelten Stimmen ein tadelloses Opernfest.
Die bisherigen Produktionen der Oper beweisen, dass der große Wurf eines zeitgenössischen Komponisten in vielen Spielarten bestehen kann. Es sind jedoch die Freiburger Akteure, die den Maßstab setzen und überzeugend demonstrieren, wie eine Gefühlswelt in Klängen und mit den Mitteln der Opernkunst für die Zeitgenossen erfahrbar wird. Kein Wunder also, dass das Publikum genau wie der Komponist von dieser Inszenierung berührt ist.
v. - red / 9.11.2000
Premiere: 8.10.2000, Freiburger Theater, Städtische Bühnen, Großes Haus
Libretto von Claus H. Henneberg (gesungen in russischer Sprache)
Musikalische Leitung: Kwamé Ryan (Ensemble) und Errico Fresis (Orchester)
Regie: Gerd Heinz
Bühne u. Kostüme: Stefanie Seitz
Dramaturgie: Sonja Blickensdorfer
mit dem Philharmonischen Orchester der Stadt Freiburg,
Susan Davis-Holmes, Sigrun Schell, Rosemary Nencheck, Teresa Erbe, Gregor Dalal, Riccardo Lombardi, Wolfgang Newerla, Dariusz Niemirowicz, Roderic Keating, Luiz Molz, Joke Kramer, René Veláquez Díaz, Patrick Jones
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