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Theaterkritik

Sam Shepard/ Joseph Chaikin: STIMMEN
(p u s h ! theater und DIE KUGEL (Musiker-Ensemble), Köln)

Liebesgrüße aus dem Jenseits - Vier Stimmen suchen einen Regisseur.

Der amerikanische Schriftsteller, Dramatiker und Drehbuchautor Sam Shepard lässt in seinen Werken gerne Menschen zusammentreffen, die unterwegs sind und dabei keine große Worte machen. Wichtiger als das, was die Figuren sagen, ist das, was sie verschweigen. Oftmals bettet er seine Stories in die Landschaft des amerikanischen Westens und beschreibt die davon geprägten emotionalen Landschaften im trockenen Erzählton.
In dem Drama "Stimmen", ein Gemeinschaftsprodukt mit Joseph Chaikin, dem Gründer des "Open Theatre" in New York City, ignoriert der Meister des "Roadmovie" natürliche Grenzen und zeigt den Protagonisten auch nach der letzten Etappe seines Lebensweges. Es ist ein Unstück über die Grenzen von Leben und Tod hinweg.

Ein Mann stirbt. Seine Gedanken, die er in der Todesstunde ausspricht, sind nicht die letzten Worte, die wir von ihm hören. Auch nach seinem Tod reflektiert er voller Verwunderung seine Situation. Der Redefluss wird für ihn zur letzten Verbindung zur Außenwelt. Auch die Hinterbliebenen wissen um die Kommunikationsbrücke, denn solange kommuniziert wird, ist der Mensch nicht gestorben. Mit Worten kann das eigene Gewissen beruhigt und zur Not sogar zugeschüttet werden. Doch - wie im Leben - redet man auch jetzt aneinander vorbei.

Der unerschrockene Regisseur Klaus Findl, der offensichtlich eine Vorliebe für nicht einfach umzusetzende Theaterstücke hat, entwickelt aus der Vorlage einen kuriosen Totentanz. Dabei geht es der Regiearbeit anscheinend nicht um die Frage, welche vielschichtigen Aussagen der Autor mit dem Text verbindet.
Findl reißt den hörspieltauglichen Text aus einer kammerspielartigen Intimität und münzt den Stoff mit Mitteln des Musiktheaters in ein Theater-Experiment um.

Die karge Bühne vermittelt den Eindruck eines Raumes im gerichtsmedizinischen Institut.
Wie eine Girliegroup formieren sich die drei Frauenfiguren in einer Linie vor ihren Mikrofonständern, um ihre Stimmen und Stimmungen an das Publikum richten. Der Protagonist begibt sich in den hinteren Teil der Bühne, wo sich bereits auf Tischen aufgebahrte und abgedeckte Leichen befinden.
Zu den zäh fließenden Monologen und Dialogen und der mit der Dauer fast schon tödlich langweiligen elegischen Bühnensituation bilden atmosphärische Geräusche elektronisch aufgemotzter Musik, präparierte Klavierklänge, scheppernd umfallende Flaschen und eine schöne zarte Flötenstimme einen wichtigen Kontrapunkt.
Das Musiker-Ensemble, das größtenteils bei seiner Arbeit auf der Bühne zu sehen ist und zusätzlich die schauspielerische Aufgabe von Pausenclowns erfüllt, nennt sich "DIE KUGEL". Passend zum Thema kreieren die Musiker einen zeitgemäßen, eigenwillig-theatralischen TripHop. Allerdings könnten die Musikanten aufgrund der monströsen Lautstärke auch den Namen "Einstürzende Mausoleen" führen.

Trotz der Aktionen an den Mikrofonständern und einiger heftiger Zuckungen der Akteure bleibt die Sprache einer merkwürdigen Körperlosigkeit verhaftet. Damit verwirklicht Klaus Findl die Vorstellung des Autors Shepard, der sich Stimmen aus verschiedenen Quellen wünschte und keine klassische Strukturen mit der Möglichkeit jede Stimme erklären oder rechtfertigen zu wollen.
Die Darsteller sind selbst bloße Lautsprecher für die Stimmen, die Gedanken und Gefühle auf den ungewissen Weg schicken und die Unerbittlichkeit des Todes ahnen.
Da das Autorengespann nur eine trostlose Einbahnstraße beschreibt und keine Persönlichkeiten und Geschichten entwickelt, erscheinen die Figuren weit entfernt. Fraglich, was die Darsteller dem Publikum davon nahe bringen können.

Zwar erlaubt die Regie im letzten Teil des Stücks einen Bruch (sehr spät kommt dieser Einschnitt, um uns trotz der brachialen Lautstärke der Musik am Einlullen zu hindern!), doch die improvisierte Szene, mit dem vorsichtigen Ansatz, das Publikum einzubeziehen, hat mehr den Effekt, die Regiearbeit einer gewissen Sorglosigkeit zu überführen. Zu augenscheinlich das Motto: "So, locker machen. Jetzt muss irgendwie mal was anderes kommen."
Zum Thema "Grenzerfahrungen mit dem Tod" gehört für den Regisseur offensichtlich auch, dass die Figuren "im lebendigen wie im toten Zustand" Teerstoffe inhalieren. Leider fehlt im Programmheft der Hinweis des Gesundheitsministeriums.

Was soll die Produktion aufzeigen? War es lediglich eine Fingerübung, Richtung "Experimentelles Theater"?
Das Publikum bekommt ein Hörspiel geboten, welches zum Performance-Ereignis hochgezüchtet ist.
Wenn aber die Inhalte nicht für 90 Minuten tragfähig sind, so mag das Experiment alleine, in einer Zeit, in der längst schon alles geht, nur wenig bewirken.
Das Premierenpublikum applaudierte wohlwollend, was als klares Signal an die junge Generation von Regisseuren gewertet werden kann. Bei aller Experimentierfreude sollte in Abwandlung eines Werbeslogans beherzigt werden: "Auch der Inhalt zählt."

v. - red / 20.12.2000



Eine Produktion des p u s h ! theater und "DIE KUGEL"
Premiere 16.12.2000 im Kulturbunker Köln-Mülheim,
Berliner Str. 20
Regie: Klaus Hans Findl
Bühne: Susanne Ellinghaus
Kostüme: Thea Ulbricht, Susanne Ellinghaus
Licht: Oliver Feddersen-Clausen
Maske: Daniela Hinschberger
Stimmen:
Heike Huhmann
Jana Thies
Claudia Wiesemes
Marco Aurel
Musik:
Dorothee Haddenbruch
Josef Rebbe
Manfred Rücker
Simon Rummel
Weitere Informationen über Kulturbunker, Tel.: 0221/616926; Mülheimer Bücherstube, Tel.: 0221/614249
siehe auch / Theater
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