Georg Büchner/Robert Wilson/Tom Waits: WOYZECK (Berliner Ensemble)
Als Robert Wilson in den siebziger Jahren seine Arbeiten einer größeren Öffentlichkeit vorstellte, vermeinten Kritiker, daß das Theater neu erfunden worden war. Das mag zwar übertrieben gewesen sein aber unzweifelhaft hat Wilson einen wieder erkennbaren Stil, der Theatergeschichte geschrieben und unzählige Theaterschaffende beeindruckt und beeinflußt hat. Er trat einen unvergleichlichen Siegeszug durch die Welt (und insbesondere Europa) an, inszenierte Opern, Schauspiele, Performances etc. Mitte der neunziger Jahre mußte er dann erleben, was alle einstigen Helden erfahren: Seine Arbeiten galten plötzlich als langweilig, vorhersehbar, selbst plagiiert. Wilson war out. Seine einstmals so gerühmten Bilder, die Langsamkeit, die differenzierte Beleuchtung schienen willkürlich aneinander gereiht, das System Wilson warf Standards aus der Schublade, kassierte horrende Gagen und ging in die nächste Stadt. So also kam er nach Kopenhagen, ins Betty Nansen Teatret, wo er Georg Büchners Woyzeck inszenierte. An seiner Seite Tom Waits, mit dem er schon den kolossalen Welterfolg THE BLACK RIDER geschaffen hatte. Sollte hier ein Erfolgsrezept wiederholt werden?
WOYZECK ist eine dramaturgisch stimmig erzählte Geschichte, eben die des Soldaten Woyzeck, der gedemütigt und erniedrigt seine Freundin Marie ersticht. Büchner schrieb das Schicksal Franz Woyzecks nach einer wahren Begebenheit auf und schuf damit ein Stück Theater, daß zum Standardrepertoire der deutschen Bühnen gehört und dessen vielfältige Interpretationsmöglichkeiten immer neue Versuche hervor bringen.
Jens Jørn Spottag & Kaya Brüel
Woyzeck at Betty Nansen Teatret / Photo: ©The Ocular One, 23/11/00
Wilson bebildert die Geschichte im typischen Bühnenraum: Opera hinten, präzise Farb- und Lichtwechsel, bizarre Objekte auf der Bühne, Gazevorhänge mit geometrischen Mustern. Die Schauspieler bewegen sich wie Uhrwerke, mechanisch, stilisiert. Die Kostüme sind zeitlos-futuristisch, die Gesichter weiß geschminkt. Soweit, so typisch. Auch die Musik von Tom Waits (in Zusammenarbeit mit dessen Frau Kathleen Brennan) ist so unverkennbar stilsicher (oder sich selbst wiederholend), wie die Fans es sich wünschen.
Das Ganze aber ist mehr als die Summe seiner Teile. Dicht, wie lang nicht mehr in Wilsons Arbeiten, verzahnen sich Dramaturgie, Figuren, Bilder, Musik und erschaffen somit einen ungemein faszinierenden, in Form und Inhalt großartigen und berührenden Theaterabend. Die internationale Presse war sich einig: Diese Inszenierung wird einen Triumphzug auf Europas Bühnen erleben und die Stückfassung wurde gar mit der Dreigroschenoper (Brecht/Weill) verglichen. Ob Woyzeck in dieser Form nachgespielt wird, wird die Zukunft erweisen. Daß dieser Abend in des Kritikers Top Ten der besten Inszenierungen aller Zeiten aufgenommen wird, steht außer Frage.
Sven Lange / 8. September 2001
Regie, Bühne, Licht: Robert Wilson
Co-Regie: Ann-Christin Rommen
Musik und Songtexte: Tom Waits und Kathleen Brennan
Kostüme: Jaques Reynaud
Fotos unter: www.bettynansen.dk/gallery/woyzeck/index.htm |
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