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Uraufführung

3. Mai 2014 - Schauspiel Leipzig

FASCHING

von Gerhard Fritsch


Fasching am Schauspiel Leipzig - Foto (C) Uwe Arnold


Eine "Art Dürrenmatts Besuch der alten Dame unter anderen Vorzeichen", nannte 2012 die österreichische Tageszeitung Der Kurier in einer Besprechung den 1967 veröffentlichten Roman Fasching von Gerhard Fritsch. Die beiden Werke sind natürlich nur bedingt miteinander vergleichbar. Bei Fritsch kehrt keine reiche Dame in die Stadt ihrer Jugend zurück, um sich für die erlittenen Demütigungen zu rächen. Der Protagonist ist männlich, und die Vorzeichen in Fasching stehen zunächst auf Krieg. Der 17jährige Felix Golub (Mathis Reinhardt) desertiert kurz vor Kriegsende aus der deutschen Wehrmacht und versteckt sich zunächst bei dem älteren, homosexuellen Fotografen Raimund Wazurak (Tilo Krügel), der in der Not den Einfall hat, dem jungen Mann eine neue Identität bei der Baronin Vittoria Pisani (Henriette Cejpek) zu verschaffen. Einer wohlhabenden Witwe und Miederwarenfabrikantin mit religiösem Tick und Hang zu skurrilen Spielchen.

Worum es aber bei Fritsch wie auch bei Dürrenmatt geht, sind Bigotterie, Opportunismus gepaart mit dem Drang zur Geschichtsklitterung und die Freude an der Demütigung. Sei es die eigene oder die der anderen. Bevorzugt natürlich von Menschen, die mit ihrem Wesen und Verhalten außerhalb der Gesellschaft stehen. Das hat auch Gerhard Fritsch selbst erfahren müssen. Mit 45 Jahren schied der Wegbereiter von Schriftstellern wie Thomas Bernhardt und Peter Handke unverstanden aus dem Leben. Sein Fahnenflüchtiger Felix ist in den Augen der angepassten bürgerlichen Gesellschaft der Feigling, der in Frauenkleider gesteckt gehört. Der Deserteur hat in dieser Situation nicht mehr die Wahl der Verkleidung. Er überlebt nur in den Kleidern der Pisani, die ihn zum eigen Vergnügen in der Rolle der Dienstmagd und als willfährigen Geliebten zurichten will. Die Reitpeitsche ist dabei ihr wichtigstes Requisit, assistiert von den beiden als Zofen kostümierten Zwillingen Pia und Mia (Klara Deutschmann und Sina Martens).

Willentlich zugerichtet von der Baronin wurde auch Fotograf Raimund Wazurak, Tilo Krügel gibt ihn meist devot gebückt. Auch er ist der schwarzgelackten Miedermamsell bedingungslos ergeben. Der Clou des Romans aber ist, dass Felix nicht nur einfach in Frauenkleidern überlebt, sondern zum lebenden Spiegelbild der lüsternen, unzüchtigen Gemeinschaft wird. Der kommandierende SS-Major des Städtchens, Lois Lubitz (Hartmut Neuber in noch mehreren anderen Uniformrollen), verliebt sich in Felix' angenommene Identität der Magd Charlotte. Felix kann sich ihm nur mit vorgehaltener Pistole erwehren und zwingt den feschen Kriegshelden, den Russen die Stadt mit runtergelassenen Hosen kampflos zu übergeben. Den Retter erwartet nicht etwa der Dank der Einwohner, sondern die Denunziation bei den Russen und Lagerhaft in Sibirien.

Nach 12 Jahren kehrt Felix an den Ort seiner Demütigung zurück. Auf Wunsch von Raimund wird er das Fotogeschäft von ihm übernehmen. Für eine passende Ehefrau ist auch schon gesorgt. Annett Sawallisch spielt die in ein enges Dirndl-Korsett gezwängte vorn ausstaffierte Hilga Pengg, wie auch die ehemalige polnische Zwangsarbeiterin und Geliebte von Felix Fela Pomorska. Vorab verlangt die Kommission der Stadt, in der dieselben Leute wie damals immer noch das Sagen haben, wiederrum seine Anpassung. Beim sogenannten „Heimkehrerball“ soll Felix richtig eingenordet werden. Der alte Korpsgeist funktioniert hier noch immer, bis auch der letzte Wehrmachtssoldat mit dem Rollstuhl aus Russland eingefahren ist. Eine befohlene Uniformierung, der sich der um Ausgleich Bemühte Felix kaum zu entziehen vermag. Als die honorige Bürgerschaft auch noch den vollkommenen Persilschein für ihre Vergangenheit verlangt - inklusive der Versicherung, dass Felix nichts mit den merkwürdigen Umständen zur Errettung der Stadt zu tun hat - rührt sich endlich doch so etwas wie Widerstand in ihm. Ein vergebliches Unterfangen, wie er erkennen muss. Die sich kompromittiert fühlenden Kleinbürger greifen nun ihrerseits zu Spott und Erpressung.

Regisseurin Eva Lange und Dramaturg Matthias Huber nähern sich forsch aber auch immer wieder nachdenklich dem schweren Stoff. Ein toller Mathis Reinhardt in der Rolle des Felix ist hier immer präsent. Die ganzen fast 2 ½ Stunden steht er im Mittelpunkt des etwas überdreht wirkenden Spiels - unterbrochen nur durch gelegentliche einsam reflektierende Monologe. Die Inszenierung springt in den Zeiten und Bühnenebenen, gespielt wird auf einem hohen, die Hinterbühne umspannenden Laufsteg um das Publikum herum oder direkt davor. Als Felix wieder in Frauenkleider gezwängt und zur Faschingsprinzessin gewählt werden soll, öffnet sich die Stegkonstruktion und gibt eine kleine Bühne mit Flittervorhang frei. Hier gerät die Inszenierung tatsächlich zur bitter-bösen Kostümfarce mit Blaskapelle und Konfettikanone. Die Korsagen der Baronin Pisani sind das Bild einer rückgratlosen, verlogenen Gesellschaft von Biedermännern und Anpassern, die schon Raimund bis zur totalen Selbstverleugnung und Rückkehr in den Schoß der Kirche getrieben haben. Da ihnen das bei Felix nicht gelingen will, schlägt das Maskenvolk beim Faschingsball erbarmungslos zurück.




Fasching am Schauspiel Leipzig - Foto (C) Uwe Arnold



Bewertung:    



Stefan Bock - 6. Mai 2014
ID 7803
FASCHING (Hinterbühne Schauspielhaus, 03.05.2014) 
Regie: Eva Lange
Bühne und Kostüme: Carolin Mittler
Musik: Katharina Hoffmann
Dramaturgie: Matthias Huber
Mit: Henriette Cejpek, Klara Deutschmann, Tilo Krügel, Sina Martens, Hartmut Neuber, Mathis Reinhardt, Annett Sawallisch und Statisterie
Musiker: Sebastian Taubert, Julia Nagel, Michael Förster und Manfred Beckers
Uraufführung war am 3. Mai 2014
Weitere Termine: 9., 14., 30. 5. / 13., 26. 6. 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel-leipzig.de


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