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Ein Mann der

Widersprüche

Zum Tod von Karl Schwarzenberg (1937-2023)


Karel Schwarzenberg in seiner Amtszeit als tschechischer Außenminister (2007) | Bildquelle: Wikipedia



In unserer Jugend frequentierten wir beide das Hawelka. Er residierte in der Regel vorne an dem Tisch gegenüber dem Eingang und der Telefonzelle (jawohl, es gab ein Leben vor dem Handy!), an dem auch Kurt Moldovan, Hubert Aratym und André Heller saßen, mein Freundeskreis bevorzugte den Tisch rechts hinten unter dem Spiegel. Eines Abends kam er auf mich zu, neigte sich zu meinem Ohr herab und sagte: „Das hätten sich unsere Großväter nicht träumen lassen, dass ein Rothschild und ein Schwarzenberg im selben Café verkehren.“ Ich klärte ihn auf: „Ich muss Sie enttäuschen, ich bin kein echter Rothschild.“ Worauf er, mit jenem näselnden Ton, den man als Klischee verurteilen würde, wenn er nicht die pure Wahrheit wäre: „Macht nichts, macht nichts...“

Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, dass Karl Johannes Nepomuk Josef Norbert Friedrich Antonius Wratislaw Mena Fürst zu Schwarzenberg, von seinen zahlreichen Freunden kurz „der Kari“ genannt, eines Tages Außenminister der Tschechischen Republik werden würde, erstens, weil das Ende der Zweiteilung Europas nicht einmal zu ahnen war, zweitens aber, weil mir in meiner beschränkten republikanischen Sicht nicht in den Sinn kam, dass dieser so typische Österreicher ein Tscheche sein könne. Dass jeder dritte Wiener, ein Teil meiner Familie eingeschlossen, aus Böhmen oder Mähren stammte, war mir wohl bewusst, aber das war Vergangenheit, und dass einer, dessen Name mir als Kind in Form eines Platzes in der Innenstadt geläufig war, lange ehe ich begriff, dass es dazu eine Person gab, ein Land repräsentieren könnte, in das man noch kurz zuvor nur mit einem Visum einreisen konnte, hätte ich nicht für möglich gehalten. Was das Café Hawelka betrifft: wer ahnte vor etwas mehr als hundert Jahren, dass die Herren, die im Zürcher Café Odeon oder im Wiener Café Central die Zeitung lasen, bald darauf unter den Namen Lenin und Trotzki die Welt in Aufruhr versetzen würden?

Karl Schwarzenberg, ein begnadeter Ironiker vor dem Herr'n, hatte dezidierte Meinungen, die interessant, weil oft unkonventionell waren und weil sie auch zum Widerspruch reizten. Ausgesprochen sympathisch ist, dass Schwarzenberg, bei aller Meinungsfreude, in Interviews nicht zögerte, zuzugeben, dass er etwas nicht wisse oder sich einer Sache nicht sicher sei. Vielleicht bedarf es der aristokratischen Erziehung, damit man sich solche Eingeständnisse in der Politik leisten kann. Sie zeugen ja von ausgeprägtem Selbstvertrauen. Es sind die Aufsteiger, die immerfort Unfehlbarkeit vorgaukeln müssen. Bei Carl Sternheim kann man diesen Typus studieren.

Vielleicht verdankt es sich auch dem aristokratischen Selbstbewusstsein, dass Schwarzenbergs Sprache erstaunlich nüchtern, unpathetisch, ja unrhetorisch ist. Er verzichtet weitgehend auf Imponiergesten wie den Hinweis auf berühmte Persönlichkeiten, mit denen er Tee getrunken hat. Mit Bewunderung spricht er von Karl Popper, nicht von Staatsmännern. Dass er auch den einstigen Bundeskanzler Josef Klaus „für einen sehr klugen Mann“ hielt, den er gerne gehabt hat, ist wiederum kaum für jeden Leser nachvollziehbar. Dieses Urteil dürfte doch eher den politischen Vorlieben als der Menschenkenntnis geschuldet sein. Wer wollte Schwarzenberg hingegen widersprechen, wenn er meinte, Heinz-Christian Straches „Stärke ist aber vor allem die Impotenz der großen Parteien, die Schwäche der anderen“?

Schwarzenbergs politische Position könnte man als aufgeklärten Konservatismus bezeichnen. Aber in einzelnen Fragen vertrat er einen Standpunkt, der damit nicht unbedingt harmoniert. Dass er fand, der Staat solle sich in der Wirtschaft „eher zurückhalten“, wird nicht überraschen; dass homosexuelle Partnerschaften nach seiner Meinung gesetzlich unterstützt werden sollen, wohl doch. Bei dem spät berufenen Politiker mischten sich, was man Ideologie oder Grundüberzeugungen nennen kann, mit common sense. Ein Eiferer war Schwarzenberg nicht. Überraschen mag auch, dass er sich als „vorsichtigen Anhänger der parlamentarischen Monarchie“ bezeichnete. So recht scheint das zum von den Grünen vorgeschlagenen Außenminister einer Republik nicht zu passen. Aber was weiß man schon in einer Zeit, in der Österreichs Sozialdemokraten, die sich einst Polizeiknüppel auf die Köpfe schlagen ließen, als sie gegen eine Geburtstagsfeier für Otto von Habsburg im Wiener Konzerthaus protestierten, ihre offiziellen Vertreter zu dessen Totenfeier entsenden und ihm in triefenden Reden nachrufen?

Der Fürst aus dem Hawelka hatte eine reale Chance, als Präsident der Tschechischen Republik, im Schatten von Václav Havels Geist, auf dem Hradschin zu residieren. Er zitiert sich selbst: „Ich bin gespannt, wann ich abstürzen werde.“ Von der Prager Burg kann man tief abstürzen. Tschechischer Präsident ist Karl Schwarzenberg nicht geworden. In der vergangenen Nacht ist er in Wien im Alter von 85 Jahren gestorben.
Thomas Rothschild – 12. November 2023
ID 14468
Weitere Infos siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Karel_Schwarzenberg


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