Fehlgeleitete
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(C) ARD
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Bewertung:
Kurz vor anstehenden Wahlen, was man allgemeinhin heiße Phase eines Wahlkampfs nennt, werden die "Stimmungen" des Wahlvolks von seinen zu wählenden oder auch nicht zu wählenden Parteien nochmals konzentrierter aufgesogen als das vor der heißen Phase war. Und kommt dann plötzlich noch so'n unvorhersehbar gewesenes Ereignis (Messerangriff, Terroranschlag) mit dazu, geraten "Stimmungen" des Wahlvolks, und wahrscheinlich vollkommen zurecht, auf einen Siedepunkt, ja und die eine oder andere Partei wird umgehend hieraus einen gewissen Nutzen für sich ziehen oder halt auch nicht.
Seit Solingen (23. August 2024) passierte, kocht es also wieder richtig hoch, und die zu uns Geflüchteten, von denen die meisten (ob zurecht oder zu unrecht, musste/ muss von den Behörden untersucht werden) Asyl begehrten, haben schlechte Karten, denn ihr Hiersein wird von einem Großteil des gewählt oder auch nicht gewählt habenden Wahlvolks, insbesondere von denen, die dann bei den Kandidaten/ Kandidatinnen am rechten Rand ihr Kreuzchen machten, aus dem Bauch 'raus nicht geduldet - "abschieben" oder "zurückweisen" lautet ihr Voksbegehren, und die sie zuvor umgarnt habenden und nunmehr in Größenordnungen gewählten Rechten wollen diese resoluten Themen in die Praxis überführen, spätestens wenn sie dann irgendwie mit irgendwem neue Regierungsmehrheiten anstrebten; und so sind dann freilich auch die großen Wahlverlierer, die vielleicht bisher noch nicht so viel mit "abschieben" oder "zurückweisen" am Hut hatten, in Mitverantwortung, denn ohne sie ginge, rein rechnerisch, nichts in den neuen Landtagen.
Die Bundestagswahl nächstes Jahr lässt grüßen.
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In Anbetracht dessen [s.o.] scheint Informant - Angst über der Stadt, das neue Fernsehserien-Event, das ab dem morgigen Datum auf ARD Mediathek zum Streamen bereitgestellt wird, aktueller denn je zu sein.
Matthias Glasner (Sterben, BERLINALE 2024) hat - nach einer etwas ähnlichen Vorlage der britischen BBC-Serie Informer - das Buch hierzu geschrieben und Regie geführt:
"...hatte ich von Anfang an eine Idee, wie ich daraus etwas Eigenes machen könnte. Im Original geht es in erster Linie um die Arbeit der Polizisten, die einen Terroranschlag verhindern. Meine Grundidee war, dass es nur deshalb zu einer Katastrophe kommt, weil man Angst vor einem Anschlag hat. Ich habe beim Schreiben das Thema der sich selbst erfüllenden Prophezeiung in den Vordergrund gestellt. Ich wollte erzählen, wie die Paranoia des Staates und die Angst vor dem Islam zu einer Eskalation der Lage führen. Und ich fand es psychologisch und politisch spannend, wie die Behörden einen unbescholtenen afghanischen Bürger als Informant benutzen und dessen Familie komplett zerstören. Unser Thriller ist gewissermaßen das trojanische Pferd, mit dem man in die Wohnzimmer der Leute kommt, um ihnen im Grunde etwas anderes zu erzählen: eine Geschichte über den augenblicklichen Zustand unseres Landes." (Quelle: presse.daserste.de)
Und das ist hier ist der Plot:
"Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag auf die Hamburger Elbphilharmonie versetzen die Polizeibehörden in Alarmbereitschaft und lösen im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung eine Kette von Ereignissen aus, die den Anschlag überhaupt erst möglich machen. Im Mittelpunkt: LKA-Mann Gabriel, der die Kontakte zu Informanten aus der breiten arabischen Community hält. Doch zurückliegende Ereignisse aus seiner Zeit als verdeckter Ermittler in der rechten Szene lassen die Führungsstellen an ihm zweifeln – sie stellen ihm die aufstrebende BKA-Beamtin Holly zur Seite.
Eine erste heiße Spur droht schnell zu erkalten, als ein Informant unter ungeklärten Umständen tot aufgefunden wird. Aus der Not heraus rekrutieren Gabriel und Holly den unbescholtenen Raza, der zwar den Toten flüchtig kannte, mit Terror, IS oder organisierter Kriminalität aber nichts am Hut hat. Gabriel und Holly haben Raza jedoch in der Hand, denn dessen Freundin Sadia hält sich ohne legale Papiere in Hamburg auf. Um seine Freundin zu schützen, lässt Raza sich auf die Zusammenarbeit ein. Obwohl seine Familie schnell in Probleme verwickelt wird, muss Raza feststellen, dass er wider Willen Blut leckt: Er wird selbst zum wichtigsten Informanten in einem undurchsichtigen Spiel."
(Quelle: ARD Degeto)
Die Mini-Serie würde sonach in ihren sechs Teilen à 45 Minuten erzählen, "wie die Angst Ungeheuer gebiert; wie eigene Interessen dazu führen, dass entweder zu viel oder zu wenig getan wird – und wie dadurch Menschen und Familien zerstört werden".
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Informant. Angst über der Stadt - Tragen wir nicht alle unsere Narben? Nazir (Alireza Ahmadi) ist fassungslos: Hat sein Bruder Raza sein Auto angezündet? | Bild: NDR
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Dramaturgisch gerahmt wir der Sechsteiler durch die öffentliche Sitzung eines Untersuchungsausschusses, bei dem die Vorsitzende sämtliche ermittelnde Beteiligte des einerseits nicht stattgefunden habenden Anschlags in der Elbphilharmonie und andererseits des infolge der familiären Zerrüttungen im privaten Umfeld des afghanischen Informanten Raza (Ivar Wafaei) erfolgten Amoklaufs von Razas Bruder Nazir (Ali Reza Ahmadi), bei dem Dutzende unschuldige Tote zu beklagen waren, eindringlich befragt.
Und es gibt Rückblenden, und nach und nach wird während all der Rückblenden ein Schriftzug eingeblendet, der besagen soll, wie viele Tage oder Stunden es noch "bis zum Anschlag" sind.
Wir werden Zeuge einer behördlich sich meist gegenseitig behindernden Bürokratie, bei der die Hamburger LKA-Chefin Rose Kuhlenkampf (Gabriela Maria Schmeide) noch die beste Figur macht. Ihr verdeckter Lieblingsermittler Gabriel Bach, im rechten Mileu als "Charlie" bekannt und berüchtigt, wird von Jürgen Vogel mit entwaffnender Authentizität gespielt. Die ihm vom BKA zur Seite gestellte Holly Valentin (Elisa Schlott) wächst dem abgehalfterten Doppel-Agenten peu à peu ans Herz; dass sie letztendlich bei dem Amoklauf zu Tode kommt, wäre wohl für uns Zuschauerinnen und Zuschauer in dieser Tragik so nicht vorstellbar gewesen, schade eigentlich.
Zur Vervollständigung der privaten Beziehungskisten sorgen u.a. Claudia Michelsen (als "Charlies" langjährige Ehefrau Emilia), Katharina Schlothauer (als "Charlies" rechtsnazionalististische Geliebte Marion) und - in der Parallelwelt der nach Deutschland Geflüchteten - Bayan Layla (als Razas Freundin Sadia) oder Majid Bakhtiari (als Razas dauerdepressiver Vater Hanif).
Genial auch die Einbindung der Elbphilharmonie als immer wiederkehrender Zentralschauplatz in diesem Thriller.
Kurzweilig und spannend, vom Anfang bis zum Ende.
Beeindruckender Realitätsbezug.
Mitdenkenswert.
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Bobby King - 10. September 2024 ID 14910
Informant - Angst über der Stadt
6-teilige Fernsehserie
Drehbuch und Regie: Matthias Glasner
Kamera: Friede Clausz, Alex Förderer und Matthias Biber
Schnitt: Andrea Mertens und Falk Peplinski
Kostümbild: Sabine Keller
Maskenbild: Jeanette Kellermann und Karsten Drews
Casting: Anna Kowalski
Szenenbild: Seth Turner
Ton: Benjamin Schubert
Musik: Sven Rossenbach und Florian van Volxem
Produzentinnen: Nikola Bock und Iris Kiefer
Besetzung:
Gabriel Bach ... Jürgen Vogel
Emilia Bach ... Claudia Michelsen
Holly Valentin ... Elisa Schlott
Edgar Braun ... Nico Holonics
Rose Kuhlenkampf ... Gabriela Maria Schmeide
Naheema Triebel ... Sabrina Ceesay
Raza Shaheen ... Ivar Wafaei
Nazir Shaheen ... Ali Reza Ahmadi
Hanif Shareen ... Majid Bakhtiari
Sadia Breshna ... Bayan Layla
Nicky ... Bernd Hölscher
Marion ... Katharina Schlothauer
Dadir Hassan ... Benny O. Arthur
u.v.a.
Erstsendungen: ab 11. September 2024 in der ARD Mediathek
Weitere Infos siehe auch: https://www.ardmediathek.de/
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