34. FilmFestival Cottbus | 5. - 10. November 2024
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Festival-Fazit
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Das FilmFestival Cottbus setzte den Fokus zum 34. Mal auf den osteuropäischen Film und zeigte in mehreren Sektionen die ganze Bandbreite des postsozialistischen Filmschaffens. Seitdem Russland wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht mehr am Festival teilnehmen kann, richtet sich der Blick verstärkt auf die ehemaligen und nun schon länger unabhängigen Sowjetrepubliken. In diesem Jahr mit einem CloseUp: Armenia. Aber auch Filme aus Tadschikistan oder Kasachstan konnten überzeugen. Den obligatorischen "Russischen Tag" hat man in Cottbus nun Filmen aus der Ukraine gewidmet. Trotz des Kriegs geht das Filmemachen unverdrossen weiter und dreht sich thematisch nicht nur allein um den Verteidigungskampf gegen den russischen Aggressor.
So konnte sich der zu Kriegsbeginn bereits fast fertiggestellte ukrainische Wettbewerbsfilm U Are The Universe [s. Filmstill unten] nicht nur in die Herzen des Cottbuser Publikums spielen, sondern überzeugte auch die Spielfilm-Jury. Für die Space-Odyssee eines einsamen Weltraumfahrers gab es den Publikumspreis und den Spezialpreis der Jury für die beste Regie. Pavlo Ostrikov schickt seinen Helden wie einst Stanley Kubrick mit einem Bordcomputer auf eine Raumfahrt zum Jupitermond Kallisto, um dort atomaren Mülle von der Erde zu entsorgen. Zwei Jahre hin, zwei zurück. Viel Zeit zum Philosophieren und Witze erzählen, bis Andrij (Volodymyr Kravchuk) plötzlich die Nachricht von der Zerstörung der Erde erreicht. Als einzig übrig gebliebener Mensch geht der Astronaut nun durch ein Wechselbad der Gefühle von Größenwahn bis zu tiefer Verzweiflung. Als sich unvermittelt eine Frauenstimme meldet, fasst Andrij wieder Mut und unterhält sich nun über den Bordfunk mit der französischen Meteorologin Catherine, die auf einer Raumstation in der Nähe des Saturn stationiert ist. Wie die beiden Königskinder, die nicht zueinanderkommen können, plaudern die beiden einsamen Seelen über Millionen von Kilometern miteinander. Eine immer wieder überraschende Sciences-Fiction-Komödie, die Anleihen bei großen Vorbildern nimmt und sich auch nicht vor großem Pathos scheut.
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Wesentlich geerdeter geht es da bei den meisten anderen Wettbewerbsfilmen aus Osteuropa zu. Thematisch ist man hier oft noch mit der Vergangenheitsbewältigung beschäftigt, wie der serbische Hauptpreisträgerfilm When The Telephone Rang. Regisseurin Iva Radivojević erzählt in ihrem Spielfilm, auch aus eigener Erinnerung, über das Trauma eines jungen Mädchens beim Zusammenbruch des Vielvölkerstaats Jugoslawien am Beginn der 1990 Jahre.
Bis in den Zweiten Weltkrieg führt der montenegrinische Wettbewerbsbeitrag The Tower of Strength von Regisseur Nikola Vukević, in dem ein albanischer Familienvater, zerrissen zwischen patriarchalem Ehrenkodex und Vernunft, versucht menschlich zu bleiben. Der Sohn einer von marodierenden SS-Leuten der albanischen Kollaborationsarmee ermordeten christlich-montenegrinischen Familie sucht auf der Flucht Unterschlupf im Haus des sich möglichst neutral verhaltenden ehemaligen Soldaten Doka (Edon Rizvanolli). Dieser steht nun vor der Wahl, seine Familie zu retten und den Schutzbefohlenen den Belagerern seines Hauses auszuliefern oder die Ehre nicht zu verlieren, dafür aber seine Familie zu opfern. Der Film reproduziert dabei trotz guten Willens mit jeder Menge heroischen Pathos fast ungebrochen patriarchale Männlichkeitsriten, die auch der Sohn des Protagonisten verinnerlicht hat. Dessen Opfertod am Ende erscheint dadurch erst recht vollkommen sinnlos.
Erfreulich dagegen, wenn man das beim Ort der Handlung überhaupt sagen kann, ist der armenische Spielfilm Amerikatsi aus der CloseUp-Reihe. Regisseur Michael A. Goorjian geht ebenfalls in die Historie des gerade wieder durch den Krieg mit dem Nachbarstaat Aserbaidschan ins europäische Gedächtnis gelangte Armenien zurück. Ein als Kind vor dem Genozid der Türken an den Armeniern Geretteter (der Regisseur selbst) kehrt nach dem Zweiten Weltkrieg als Repatriierter aus den USA in die nun zur Sowjetunion gehörende Heimat zurück. Statt der erhofften guten Aufnahme und dem Wunsch endlich Land und Leute kennenzulernen, erwartet ihn hier als amerikanischer Spion mit anderen Repatriierten das Straflager. Dort wird er von den brutalen Wärtern nur höhnisch Charlie Chaplin oder der Amerikaner genannt. Dem sibirischen Gulag durch ein Erdbeben entgangen, muss er nun mit den anderen die Lagermauer wieder aufbauen. Die eingestürzte Mauer hat aber auch den Blick nach draußen in die Wohnung eines der Wärter freigegeben. Der fantasiebegabte und humorvolle Charlie sitzt nun jede freie Minute gebannt an seinem Zellenfenster und nimmt teil am Leben des unglücklichen Wärters, den eines Tages auch seine Frau verlässt und den Schlüssel zur Kammer mit den Werken und Malutensilien des früheren Künstlers versteckt. Wie im Stummfilmkino erfindet Charlie für sich die Dialoge zwischen dem armenischen Paar und lässt dem Wärter auch Botschaften über das Versteck des Schlüssels zukommen. Eine traurige Geschichte mit viel Humor und Sinn für Menschlichkeit erzählt dieser Film über eine ungewöhnliche Freundschaft über Mauern hinweg.
Ansonsten arbeiten sich die osteuropäischen Filmschaffenden am postsozialistischen Alltag mit Korruption, Umweltverschmutzung und Armutsmigration ab. Im bulgarischen Wettbewerbsbeitrag The Trap kämpft ein gealterter Jäger und Umweltschützer an der Donau gegen die korrupte Stadtverwaltung, die einem einheimischen Geschäftsmann dabei hilft, einen französischen Investor mit einer illegalen Wildschwein Jagd für den Bau eines Atommülllagers zu gewinnen.
Von migrantischem Elend berichten der kirgisische Spielfilm Deal at the Border und der serbische Spielfilm Dwelling Among the Gods. In Dastan Zhapar Ryskeldis Film wird am kirgisisch-kasachischen Grenzfluss eine aus der Sklaverei entflohene junge Frau erschossen. Ein junger Drogenkurier, der die Frau retten wollte, fühlt sich in der Pflicht, ihre Identität herauszufinden, damit die Tote von den Angehörigen begraben werden kann. Völlig stoisch nimmt er alles in Kauf, selbst von den Drogendealern getötet zu werden, und kauft die Tote aus dem Leichenschauhaus frei, um sie in ihr Heimatdorf zu bringen.
Ähnlich erschütternd ist das Schicksal einer afghanischen Mutter, die im serbischen Belgrad erst um die Identifikation und dann Beerdigung ihres auf der Flucht ertrunkenen Bruders gegen die Bürokratie der Behörden ankämpft. Regisseur Vuk Ršumović erzählt die wahre Geschichte einer Afghanin (Fereshteh Hosseini), in der die Wucht der antiken Antigone-Tragödie steckt. Ein starkes Portrait einer um Selbstbestimmung ringenden Frau und Mutter, das nahe geht.
Wenig Emotionen lässt Filip Peruzović in seinem kroatischen Wettbewerbsbeitrag Good Children zu. Zwei Geschwister um die Fünfzig räumen das Haus der gestorbenen Mutter aus. Während der Sohn (Filip Šovagović) noch an vielen Sachen hängt, will die in Kanada lebende Schwester (Nina Violić) alles so schnell wie möglich abwickeln. Man hat sich nicht mehr viel zu sagen. Die beiden finden trotz der Kindheitserinnerungen, die nun wieder hochkommen, keine gemeinsame Sprache. Ungelöste Konflikte bleiben unter der Decke und kommen nur beim Spiel im Garten unter Alkohol kurz zum Ausbruch. Die gemeinsame Vergangenheit lässt sich nicht so einfach wie die Bettwanzen ausräuchern. Dafür gab es immerhin noch eine lobende Erwähnung der Wettbewerbsjury.
Und auch der tschechische Film ist wieder zurück in Cottbus. Ihm wurde mit „Der weibliche Blick: Neue Filme aus der Tschechischen Republik“ sogar eine eigene Sektion gewidmet. Darin zeichnete die Regisseurin Natálie Císařovská mit Her Body ein weiteres außergewöhnliches Frauenportrait. Der Film erzählt die wahre Geschichte der jungen Turmspringerin Andrea Absolonová (Natália Germáni), die nach einem Wirbelsäulenverletzung kurz vor den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta, nicht mehr antreten konnte und wenig später eine Karriere als Pornodarstellerin Lea De Mae startete. Der Fokus liegt hier auf der Sicht der Protagonistin auf ihren eigenen Körper, den sie für den Erfolg weder im Sport noch in der Filmbranche schont, und natürlich auch auf dem Blick der Gesellschaft und Familie auf ihre zwei Karrieren, die so unterschiedlich doch viel von der Ausbeutung des Körpers leben.
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U Are The Universe beim 34. FilmFestival in Cottbus | (C) FFC
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Stefan Bock - 12. Oktober 2024 ID 15008
https://www.filmfestivalcottbus.de/de/
Post an Stefan Bock
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