10. ACHTUNG BERLIN - new berlin film award
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Preise und Fazit
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Das war es also wiedermal. Eine Woche voller Filme ist schnell vorüber, auch wenn sie mehr als vollgepackt mit fast 100 Dokumentar-, Kurz-, Lang- und mittellangen Spielfilmen war. Die Kinostadt Berlin im Fokus von vier Wettbewerbssektionen, Retrospektive, Spezial und Directors' Cut Screenings. Und was am Ende übrig bleibt, sind nicht nur viele schöne Filmminuten, sondern auch jede Menge Preise, die wie immer am Mittwochabend im Kino Babylon-Mitte verliehen wurden.
Ganze acht Jurys hatten in elf Kategorien Preise zu vergeben, was ihnen auch diesmal nicht leicht gefallen ist, wie alle Mitglieder betonten. Etwas, was bei der Vielzahl der unterschiedlichen Spielarten und Genres eigentlich auch fast unmöglich erscheint, haben sie dennoch zielsicher und professionell gemeistert. Oder wie es Jakob Lass, selbst Regisseur und diesmal auf der anderen Seite in der Kurzfilmjury, betonte, man sah sich einfach genötigt, eine Entscheidung fällen zu müssen.
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Sebastian Brose und Hajo Schäfer, die beiden Festivalleiter von ACHTUNG BERLIN - Foto (C) Stefan Bock
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Und die fiel in einigen Teilen dann auch durchaus überraschend aus. Altmeister Klaus Lemke, der das Festival in diesem Jahr mit seiner unkonventionellen Art und seinen schräg-schillernden Darstellern schmückte, ging leer aus, ebenso wie Filme, die mit einigen schon bekannteren Gesichtern aufwarten konnten. Isabell Šubas' schon im Vorfeld hochgelobte Cannes-Persiflage Männer zeigen Filme und Frauen ihre Brüste konnte lediglich eine lobende Erwähnung aus dem Mund der Deutschen Filmkritiker-Jury einheimsen. Das wachsame Auge der Filmkritik sah sich in erster Linie als Vermittler zwischen Kunst und Publikum und vergab seinen Hauptpreis an ein kleines Familiendrama in der brandenburgischen Provinz.
Mit Antons Fest, seinem Abschlussfilm für die Filmhochschule Ludwigsburg, ist Jungregisseur John Kolya Reichart eine wirkungsvolle Versuchsanordnung gelungen. Auf einem brandenburgischen Gehöft finden sich Freunde, Ex-Geliebte sowie die völlig zerrüttete Familie jenes titelgebenden Anton ein. Wer nicht kommt, ist der Gastgeber selbst. Späte Rache oder heimlicher Therapieversuch, man wird es bis zum Schluss nicht genau erfahren. Die stark problembeladenen Protagonisten müssen ein Wochenende wartend und streitend miteinander verbringen, und so manch verdrängte Emotion, Komplexe oder blanker Frust brechen sich plötzlich Bahn. Die größtenteils improvisierten Dialoge und Spielszenen überzeugen durch Witz, große Gefühle und starke schauspielerische Performance.
Der Dokumentarfilm nahm in diesem Jahr einen besonderen Stellenwert im Festival ein und konnte deutlich preiswürdig zum Spielfilm aufschließen. So gingen der Zitty-Leserpreis mit Holanda del Sol (Regie: Florian Lampersberger, Daniel Abma), der Kamerapreis für Paola Calvo (The Visitor) und der Preis der Ökumenischen Jury für Wiener Ecke Manteuffel (Regie: Florian Schewe) an die Dokumentarsparte. Neben dem Preis der Ökumenischen Jury konnte das eindrucksvoll von Florian Schewe gefilmte Portrait zweier Langzeit-Aidserkrankter in Berlin-Kreuzberg auch den Hauptpreis der Dokumentarfilmjury für sich verbuchen.
Mit großer Spannung wurde, wie in jedem Jahr, die Vergabe der new berlin film awards in den Hauptkategorien der Spielfilmsektion erwartet. Zum Regie- und Hauptpreis für den Besten Film gab es diesmal eine neue Kategorie, den new berlin film award für die Beste Produktion. Und der ging an Die Geschichte vom Astronauten in der Regie von Godehard Gise, was diesen sichtlich freute wie auch überraschte. Die Jury überzeugte die herausragende Bildsprache seines Regiedebuts, in dem die Schriftstellerin Charlotte (Stephanie Petrowitz) mal nicht in Berlin, sondern auf einer kleinen Mittelmeerinsel nach Inspiration für ihren neuen Roman sucht. „Godehard Giese gelingt es in Personalunion als Autor, Regisseur, Produzent und Mitglied des Ensembles, im Programm dieses Festivals einen ruhigen, konsequenten und stilistisch eigenwilligen Film vorzustellen.“ (Begründung der Jury)
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Preisträger-Team (Beste Produktion) von Die Geschichte vom Astronauten - Foto (C) Stefan Bock
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Im letzten Jahr noch Gewinner des Preises für den Besten Spielfilm konnte Nico Sommer für seine Beziehungskomödie im Brandenburgischen mit melancholisch-ironischem Unterton nun den new berlin film award für die Beste Regie einheimsen. In Familienfieber beeindruckte die Spielfilmjury aus Schauspielerin Franziska Petri, Produzent Martin Heisler und Regisseur Edward Berger wie der Regisseur in der Kürze der Zeit (7 Drehtage) das Maximum aus sich und seinem Team herausholte. Das Ergebnis lässt sich tatsächlich sehen und knüpft in seiner unnachahmlich frischen, improvisierten Machart fast nahtlos an den erfolgreichen Erstling Silvi an.
Kaum jemand dürfte aber den Hauptpreisgewinner auf der Rechnung gehabt haben. Etwas überraschend holte sich Regisseur Fabian Möhrke den new berlin film award für den Besten Spielfilm für sein Debut Millionen ab. Hier muss ein Kleinstadtangestellter einen unerwarteten Lottogewinn verdauen und sich gegenüber die großen Verlockungen des plötzlichen Mammons und den Erwartungen aus Familie und Bekanntenkreis positionieren. Geld allein und dazu noch im Überfluss macht bekanntlich nicht nur glücklich.
Die Ambivalenz zwischen Porsche, Edelboutique und seinem alten Leben sowie den Fußballkumpeln machen dem bodenständigen Thorsten arg zu schaffen. Hier spricht die Spielfilmjury zwar von starken noch weitgehend unentdeckten Schauspielern, mit Andreas Döhler in der Hauptrolle verfügt der Film aber über einen am Deutschen Theater bereits seit geraumer Zeit erfolgreich agierenden Theatermimen. Ein Plus, das sich auch im Kinofilm positiv bemerkbar macht. Kinostart ist für Fabian Möhrkes nun preisgekrönten Streifen übrigens bereits am 3. Juli.
Den Abschluss einer spannenden Preisverleihung bildete die Vorführung des vorher in der Kategorie Bester Kurzfilm prämierten surrealen Handwerkeralbtraums Curcuit von Schauspieler und Musiker Robert Gwisdek, der hier einen Elektriker spielt, der in einem leeren Raum zwischen zwei Schwingtüren gefangen scheint. Tür auf, Tür zu - wie in einer Zeitschleife rennt der junge Mann sich förmlich selbst hinterher. Der Ausbruch will nicht gelingen. Eine herrlich skurrile Parabel auf die sinnlos anmutende Qual der alltäglichen Verrichtungen und wohl auch das Leben selbst. Mit Komik und Slapstick rückt Gwisdek dieser Vergeblichkeit zu Leibe. Ein filmischen Kleinod, das der immerwährenden Kinoverrücktheit huldigt und damit dem Achtung Berlin Filmfestival selbst.
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Kurzfilmpreisträger Robert Gwisdek - Foto (C) Stefan Bock
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Stefan Bock - 17. April 2014 ID 7756
Weitere Infos siehe auch: http://achtungberlin.de
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