10. ACHTUNG BERLIN - new berlin film award
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Hauptrolle Berlin
Weitere Wettbewerbsfilme
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Als coole Film-Location steht Berlin immer wieder auch ganz bewusst im Mittelpunkt von Geschichten, mit denen Filmemacher das ganz spezielle Lebensgefühl in dieser Stadt beschreiben wollen. Ob nun Kiezkultur, Soziotop oder angesagte Kunstmetropole, Berlin hat von allem etwas zu bieten. Das ACHTUNG BERLIN Filmfestival veranstaltete in diesem Jahr sogar eine Videobustour zum Thema „Filmstadt Berlin - Das rollende Festival“ und zeigte zu Ausschnitten von Filmen deren wahre Entstehungsorte. Berlin ist bereits seit langem der Ort für Kreative jeglicher Couleur. Neue Galerien schießen hier nach wie vor aus dem Boden und buhlen um die Gunst von Kunstliebhabern oder Leuten, die Werke angesagter Künstler als Geldanlage betrachten. Daneben gibt es einen unüberschaubaren Pool von Künstlern, die noch mehr oder minder erfolgreich ihre Existenz am Rande des etablierten Kunstbetriebs fristen, auf der Straße performen, bei Vernissagen oder in Cafés rumhängen und auf Entdeckung bzw. Förderer warten.
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Reality creates Art
Den Art Girls im gleichnamigen Wettbewerbsbeitrag von Regisseur Robert Bramkamp geht es da ganz ähnlich. Gedreht wurde in der alten Bötzow Brauerei im Prenzlauer Berg und den Galerien der schicken Berlin-Mitte-Kunstszene. Objektkünstlerin Nikita (Inga Busch) geht langsam das Geld aus. Der Kühlschrank ist leer, der Freund weg und die Inspirationen sind in der ganzen Wohnung verstreut. Behalten oder aus dem Fenster werfen? Alles liegt bei allem, wie bei den richtigen Kreativen. Freundin und Videokünstlerin Una (Megan Gay) fehlt ebenfalls ein Sponsor für eine neue Installation. Ihr Galerist und Lover setzt jedenfalls lieber auf leicht verkäufliche Kunst. Gemeinsam versucht man nun neue Wege zur „Kunst die wirkt“ zu beschreiten. Die Lösung des Problems kommt dann plötzlich in Gestalt des geheimnisvollen Kurators Peter (Peter Lohmeyer) im Rollstuhl daher gefahren. Er legt den Frauen - zu den beiden stößt noch die leicht aggressive Raumdesignerin Fiona (Jana Schulz) - 10.000 Euro zur freien Verfügung auf den Tisch.
Peter ist der experimentierfreudige Teil eines erfolglosen Wissenschaftler-Zwillingspaars und hat sich bei einem Selbstversuch Beine und Männlichkeit aufgeweicht. Die beiden Brüder wollten für eine Biotech-Firma mittels einer lebendigen Software biosynchronisierte Wesen kreieren. Was später auf den Menschen übertragen werden soll, haben sie bisher erfolglos mit fliegenden Fröschen getestet. Leider fehlt es noch an einer stabilen Strahlungsquelle und einem geeigneten Verstärker. In der Berliner Kunstszene mit ihrer speziellen kreativen Ausstrahlung will Peter fündig werden. Und in Nikita findet er schließlich auch das ideale Medium mit einem besonders ausgeprägten Strahlungssignal. Fasziniert wühlt Peter in Nikitas Kreativmüll, und nach wiedererlangter Manneskraft besiegelt eine Runde Sex mit dem Kurator den Kontrakt.
Das erinnert ein wenig an den Pakt zwischen Faust und Mephisto, nur dass hier statt Blut andere Körpersäfte fließen und Energien übertragen werden. Das Ergebnis der Übertragung überrascht zunächst Künstlerinnen wie Kurator gleichermaßen. Die Kunstfiguren der Art Girls beginnen zu leben, die Sonne färbt sich blau, und es kriechen bunte Regenwürmer auf der Erde herum. Draußen wird wirklich, was wir drinnen machen, stellen Nikita und Una fasziniert fest. Alles Reale verbindet sich mit dem Fiktiven, was auch entsprechend wahrgenommen und in der Stadtbevölkerung breit rezipiert wird. Absolut wirkungsvolle Kunst, der Traum eines jeden Künstlers.
Der Einbruch der Natur in die Kunst bleibt natürlich nicht ohne Negativ-Folgen. Fiona verschwindet bei einer Performance am Berliner Fernsehturm, der dabei auch noch kunstvoll in die Knie geht. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Eine Versuchsgruppe gleichgeschalteter Biosyncs gerät wie einst die fliegenden Frösche aus dem Gleichgewicht und die Welt bald vollends aus den Fugen. Ein total synchronisierter Kunstalbtraum ergreift von der Menschheit Besitz. Una wechselt die Seiten und macht mit Peters geschäftstüchtiger Zwillingsbruder Laurens gemeinsame Sache. Der will den Evolutionssprung in die kollektive Wir-Intelligenz profitabel ausnutzen. Nur durch ein von Nikita geschaffenes Tor kann der Eingang in die neue Welt wieder stabilisiert werden.
Wer hier noch nicht den Faden verloren hat, bekommt vermutlich am Ausgang des Kinos ein Diplom. Was zunächst noch wie eine ironische Zustandsbeschreibung des elitären Berliner Kunstbetriebs aussieht, entpuppt sich bald als eine Mischung aus Kunstdesign and Science Fiction. In seiner Retro-Ästhetik der 80er und 90er Jahre kommt dieser Film aber mindestens zwei Dekaden zu spät. Er erinnert an Experimentalfilmversuche wie Conceiving Ada von der Videokünstlerin Lynn Herschman-Leeson, in dem bereits 1998 Tilda Swinton die Rolle einer nach künstlichem Leben forschenden Wissenschaftlerin spielte.
Trotz schmalem Budget ziehen Regisseur Robert Bramkamp und Produzentin Susanne Weirich in Art Girls die Geschichte nur noch wesentlich größer und phantastischer auf. Dabei geht einem leider ziemlich bald das ganze pseudowissenschaftliche Gedöns auf die Nerven. Und was die Kunstwirkung betrifft, mit den stylischen Kostümen der Art Girls und den dauernden Video-, Computer- und Animationseffekten beginnt das Filmteam irgendwann den Größenwahn und die Schnelllebigkeit der Kunstszene, die sie kritisieren wollen, selbst zu reproduzieren. Der ziemlich überambitionierte Film geht sich somit in die eigene Falle.
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Art Girls (C) achtung berlin 2014
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Bewertung:
Kunst oder Knast - Jedes Wort ist Waffe
Ein ganz spezielles Bild vom Berliner Kreativ-Prekariat vermittelt der neue Film Kein großes Ding von Kultregisseur Klaus Lemke. Er zeigt den Typus des Kreativen, der das Wort Prekariat vermutlich nie in den Mund nehmen würde, uneingeschränkt an sich selbst glaubt und nie auf die Idee käme, das ihm irgendetwas fehlen würde, schon gar nicht das nötige Talent. Ein Musterbeispiel dieses Typs einsamer, unverstandener Künstler ist Mahmoud (Thomas Mahmoud). Ein Nerd mit ganz eigenem Style und der selbstermächtigte, einzig legitime Erbe von fuckin' Sex Machine James Brown. Immer unterwegs, immer erfolglos, ein verhinderter Glücksritter in eigener Sache.
In Sachen Kult-DVDs versteht der ehemalige Filmvorführer jedenfalls keinen Spaß. Für sein alternatives Vertriebsmodel im großen Stil hat er sogar zwei Jahre gesessen. Wieder draußen, versucht es Mahmoud nun selbst mit dem Videodreh. Seine auserkorene Hauptdarstellerin Tini (Tini Bönig) ist allerdings die lebende Antithese von dem, was er künstlerisch vermitteln will. Sie findet, er sieht aus wie ein Provinz-Honk und zieht ihr weißes Kleidchen vom Trödel lieber für einen großen polnischen Schnauzbart mit Cowboyhut (Gregor Biermann) an und aus. Für Mahmoud ist Berlin voll von laufenden Fakes, die in sein Leben eindringen. Umso deutlicher grenzt er sich dagegen ab und ist stets gewappnet gegen die Bakterien der Ansteckung, wenn es sein muss mit Desinfektionsspray. Zuviel Nähe bedeutet Gefahr für die Schärfe und korrumpiert den eigenen Kreativvorrat.
Trotz all dem läuft Mahmoud irgendwann der schlaksige Streuner Henning (Henning Gronkowski) zu und fortan hinterher. Der Ex-Grower hat keinen Bock mehr auf das dunkle Shit-Bergwerk des Holländers Tom (Tom Laterveer) und will lieber im Scheinwerferlicht des Wild at Heart als Strip-Tänzer reüssieren. Um Mahmoud zu seinem ersten Auftritt zu verhelfen, übernimmt er einfach ungefragt dessen Management, um ihn ebenfalls groß raus zu bringen. Sein unumstößliches Credo: Wenn du ihn noch nicht verstanden hast, dann kommt das später. Allerdings hält die Chefin im Burlesk-Club (Hanni Bergesch) den Eigenbrötler mit Netto-Tüte voll für assi. Mit ihm, das geht gar nicht, sagt ihr das professionelle Kennerauge, und so muss nach gescheitertem Debüt an der Seite von Busenwunder Leila Lowfire zunächst der Frauenschwarm und gute Schlecker Henning das Duo wieder über Wasser halten.
Seine Methoden sind unorthodox und 5.000 Euro Vorschuss für das aufwendige Equipment einer Keller-Marihuana-Plantage werden spontan für Designerklamotten ausgegeben, mit denen er den völlig konsternierten Mahmoud beschenkt. Doch der hat seine festen Prinzipien. Der unfreiwillige Sponsor Tom darf sich anschließend seine Kohle an den Mülltonnen im Hof wieder abholen. Als selbst Spontanität und aller Einfallsreichtum nicht den gewünschten Durchbruch bringen, ergreift Mahmoud wieder die Initiative der notwendigen Geldbeschaffung. Diesmal muss es klappen, schließlich hatte er schon mal zwei Jahre Zeit sich das zu überlegen.
Regisseur Klaus Lemke lässt seine unglaublichen Protagonisten hier völlig ohne Leine durch Friedrichshain-Kreuzberg mit seinen Szene-Cafés, Clubs und Späties laufen. Immer auf der Suche nach dem Glück und selbst bei miesestem Wetter stets mit einem coolen Spruch auf den Lippen. Zwei liebenswerte Originale wie sie die Straßen und Casting-Alleen der Hauptstadt zu Hauf bevölkern, gleichermaßen sympathisch wie durchgeknallt. Die Jury des ACHTUNG BERLIN new berlin film awards wird wohl bei der morgigen Preisverleihung schwerlich an Klaus Lemkes Kiez-Komödie vorbei kommen. Obwohl dem Film auch ohne Preisehren der Kultstatus bereits sicher sein dürfte.
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Kein großes Ding (C) achtung berlin 2014
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Bewertung:
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Stefan Bock - 15. April 2014 ID 7754
Weitere Infos siehe auch: http://achtungberlin.de
Post an Stefan Bock
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