Mal grimmig, mal schwarzhumorig - Filme über Ausbeutung im PANORAMA und FORUM
63. BERLINALE
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Wo Nadelstiche schmerzen – oder scheitern
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Die Globalisierung und der Aufstieg so genannter Schwellenländer hatte zur Folge, dass sich ein unappetitliches Phänomen wieder ausbreiten konnte, das aus europäischer Perspektive schon fast als überwunden galt: die massenhafte, systematische Ausbeutung von Arbeitern. Große, internationale Rohstoff-, Lebensmittel-, Textil- oder Elektronikkonzerne lassen ihre Waren oft für Hungerlöhne von Menschen in unterentwickelten Ländern fertigen. Kann dagegen nur noch die Strategie subtiler Nadelstiche anstelle des organisierten Protestes helfen?
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Workers beim PANORAMA der 63. Berlinale - Foto (C) Berlinale
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Zwei parallel erzählte Geschichten in der mexikanisch-deutschen Koproduktion mit dem bezeichnenden Titel Workers im PANORAMA-Programm suggerieren dies: Da ist zum einen der duldsame Rafael, ein in äußerster Bescheidenheit alleine in einem Wohnwagen lebender Mann Anfang 60, der seit 30 Jahren in einer mexikanischen Glühbirnenfabrik Reinigungsdienste versieht. Ähnlich routiniert, unauffällig und spurenlos, wie Rafael seine Arbeit tagein, tagaus verrichtet, vollzieht sich sein gesamtes Leben. Sein berechtigter Wunsch nach einer angemessenen Rente zerschlägt sich, als der junge Manager der Firma entdeckt, dass Rafael sich offiziell noch immer illegal in Mexiko aufhält und damit zur Weiterarbeit gezwungen werden kann. Rafael reagiert für seine Verhältnisse heftig: Er zieht seine Brille hoch. Bei dieser Regung bleibt es indes nicht, was aber weder der Manager, noch die Zuschauer gleich bemerken können. Jedenfalls stellt sich heraus, dass der äußerlich harmlose Rafael bei der Durchsetzung seiner Ansprüche genauso viel Geduld und Zielstrebigkeit mobilisiert wie beim Erlernen des Lesens und Schreibens.
Auch in der zweiten Geschichte geht es um eine besonnene, in sich ruhende Figur, die ihre Skrupel überwinden und sogar Gesetzesverstöße begehen muss, um ihrem Glück auf die Sprünge zu helfen. Der salvadorianische Kinderbuchautor José Luis Valle entwickelt die sozialkritische Aussage in seinem Filmdebüt in langen, bedächtig inszenierten Szenen mit sparsamer Handlung und wenig Dialog. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Filmen auf diesem Festival wirkt sein Film selten langweilig oder steif, weil sich die Geschichten unvorhersehbar entwickeln und eine untergründige, vibrierende Spannung aufgebaut wird. Der Zuschauer muss vieles selbst weiterdenken oder ergänzen und wird mit einer hintersinnigen Farce belohnt, in der die Geknechteten den Reichen und Mächtigen mit unauffälligen, aber effektiven Mitteln ein Schnippchen schlagen. Der Film wurde vom World Cinema Fund mitfinanziert, mit dem die Berlinale und die Kulturstiftung des Bundes (KSB) Filmprojekte in Regionen Lateinamerikas, Afrikas, dem Mittleren Osten, dem Kaukasus, Zentral- und Südostasien unterstützen.
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Za Marksa... | For Marx... beim FORUM der 63. Berlinale - Foto (C) Berlinale
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Im russischen Film Für Marx, der im FORUM gezeigt wird, geht es explizit um gestandene Proletarier, die ihre verbrieften Rechte auch wirklich wahrnehmen und keine faulen Kompromisse eingehen wollen. Doch die Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft in einer maroden Metallfabrik wird von den arroganten Jungmanagern alsbald mit brachialer Gewalt unterbunden. Regisseurin Svetlana Baskova rechnet mit ihrem neuen Film scharf mit den sozialen, aber auch psychosozialen Verhältnissen im heutigen Russland ab: Die Industriemanager sind von Macht- und Geldgier moralisch enthemmt und setzen aus purem Eigennutz auf eine Ausbeutung im frühkapitalistischen Stil. Vor allem aber erscheint die vermeintliche Wirtschaftselite als dümmlich-ignorant, während die Arbeiterschaft wieder ein Klassenbewusstsein mit aufklärerischen Idealen entwickelt. Die Gewerkschaftler begreifen Kultur nicht als Dekoration, sondern als einen ethischen Wert und unterhalten sich über Gogol und Godard – bevor sie hinterrücks liquidiert werden.
Svetlana Baskova meint, dass die Arbeiter in Russland, "wie überhaupt das Volk", gerade erst beginnen, "die neuen ökonomischen Beziehungen zu begreifen und sich von der Infantilität der sozialistischen Epoche zu befreien." Sie ist überzeugt, dass man "mit Massenbewegungen den Herrschenden Furcht einjagen muss", um sie zum Nachdenken zu zwingen – woran die Gewerkschaftler in ihrem Film tragisch scheitern. So bleibt für die in Für Marx geschilderte Gesellschaft, in der nicht etwa die Einflussreichen, Skrupellosen und Korrupten, sondern ausschließlich die Einflussreichsten, Skrupellosesten und Korruptesten ihre Interessen durchsetzen können, als einziger Trost die Tatsache, dass solche Filme zu drehen noch möglich ist.
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Max-Peter Heyne - 7. Februar 2013 (3) ID 6545
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de
Post an Max-Peter Heyne
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