Die BERLINALE bleibt toll – aber der nunmehr beständig qualitativ schwache Wettbewerb bereitet Sorgen
63. BERLINALE
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Das Positive vorweg: Die achtköpfige internationale Jury unter Vorsitz des chinesischen Regisseurs Wong Kar Wai (In The Mood For Love) hat sehr kluge Entscheidungen getroffen: Alle Wettbewerbsbeiträge des Festivals, die sehenswert waren, haben etwas abbekommen – auch diejenigen, die als gänzlich unglamouröse, sperrige Low-Budget-Filme sonst eher in der Sektion FORUM zu finden sind. Dass die BERLINALE damit wichtige Akzente setzt, die man sich auf den anderen großen Festivals mit A-Status (Cannes, Venedig) in dieser Prägnanz nicht trauen würde, wurde von den Juroren (darunter Regisseur Andreas Dresen und seine dänische Kollegin Susanne Bier) zu Recht belohnt.
So freut man sich zusammen mit der bettelarmen Roma-Familie aus Bosnien, dass ihr vom Regisseur Danis Tanovic mit einfachsten Dogma-Mitteln nacherzähltes Schicksal in Epizoda u Zivotu beraca zeljeza (Eine Episode aus dem Leben eines Eisensammlers) gleich zwei Preise bekam. Wenn der Mut der Menschen damit belohnt und ihre Armut damit gelindert werden kann, sind zwei Bären nicht zu viel. Denn wozu sollte der Berlinale-Wettbewerb sonst gut sein? Die Preise interessieren außerhalb der Branche immer weniger.
Insbesondere für diejenigen, die für gutes Kino im Alltag kämpfen und rackern, ist es traurig, mitanzusehen, dass der BERLINALE-Wettbewerb seit nunmehr schon vier Jahren immer belangloser wird. Insbesondere Berliner Kollegen, die den Potsdamer Platz bequem per S- und U-Bahn erreichen, vertraten die wohlwollende Meinung, dass die künstlerische Talfahrt in 2012 unterbrochen worden war. Ich konnte das angesichts etlicher uninspirierter Filme ebenso wenig nachvollziehen wie viele ausländische Kollegen, die eine weite Reise für die BERLINALE auf sich nehmen und schon deswegen auf besondere Filmerlebnisse hoffen, die man als großes Kino bezeichnen kann und deren Wirkung über die Zeit des Festivals hinausreichen.
Es gab sie auch diesmal – siehe Before Midnight, Nachtzug nach Lissabon, The Best Offeroder Dark Blood –, aber sie alle liefen wieder außerhalb der Konkurrenz oder als Specials. Entweder, weil sie bereits eine internationale Premiere hatten oder rechtliche Gründe im Wege standen. Heißt dass, Kosslick und Konsorten haben nicht genug um die Exklusivität dieser Filme gekämpft? Viele US-Produktionen fallen als potentielle Berlin-Beiträge weg, weil ein Film, der noch für die bevorstehende „Oscar“-Verleihung im Rennen sein will, im Dezember des Vorjahres in einigen Kinos der USA starten muss, so z.B. Lincoln, Zero Dark Thirty und Life of Pi.
Außerdem sind für den nordamerikanischen Markt inzwischen die Festivals in Toronto (Kanada) und Sundance (Colorado, USA) wichtiger als ein europäisches Festival. Regisseur Richard Linklater konnte den Regie-Bären für den ersten Teil seiner Before…-Trilogie vor siebzehn Jahren, also am Beginn seiner Karriere, sicher gut gebrauchen. Mit Teil 3 war er zuerst in Sundance, was nur zwei Wochen vor Berlin stattfindet. Und die westlichen Filmemacher spekulieren sowieso auf eine Teilnahme in Cannes. Der Chef eines deutschen Filmverleihs sagte in einer Diskussion am Rande der BERLINALE ernüchtert, dass ein Goldener Bär mittlerweile keine Hilfe mehr ist, einen Film ins Kino zu befördern – eher im Gegenteil! Ob verdient oder nicht: Der letzte Gewinnerfilm, Cäsar muss sterben, hatte bisher exakt 6705 zahlende deutsche Kinozuschauer!
So entwickelt sich die BERLINALE immer mehr zu einer Rampe für osteuropäische Filme – die bisher oft vernachlässigt wurden – und Low-Budget-Independent-Beiträge – was durchaus Charme hat, wenn da nicht noch die vielen anderen Sektionen des Festivals wären. Sie sind eigentlich für solche Filme gedacht und hatten auch in diesem Jahr einige Filme in ihren Programmen, die ästhetisch interessanter und politisch bzw. gesellschaftspolitisch brisanter waren als die des Wettbewerbs: Dazu gehört die serbisch-deutsche Produktion Circles (FORUM), aber auch Inch’Allah aus Kanada (PANORAMA) und Soguk (Kälte) aus der Türkei (PANORAMA). Eine doppelte Gefahr: Dadurch, dass alle alles zeigen, wird das Profil der Sektionen verwässert und der Wettbewerb weiter geschwächt. Außerdem bleibt unverständlich, warum die oben genannten Dramen nicht gleich für den Wettbewerb nominiert wurden. Ihre Anwesenheit zeigt: Alternativen zum belanglosen Hauptprogramm gab es.
Fazit: Die BERLINALE war auch in diesem Jahr ein Festival, bei dem Quantität vor Qualität kommt: In allen Sektionen muss man die Rosinen im Brei suchen. Aber da die Publikumsnachfrage noch immer steigt, werden die Macher am Festivalumfang nichts ändern. Mit der Begründung, einen möglichst breiten Überblick über das globale Filmschaffen zu bieten, verzichten die Sektionsleiter und ihre Mitstreiter von PANORAMA, FORUM, PERSPEKTIVE DEUTSCHES KINO und GENERATION auf eine noch strengere Auswahl. Denn von über 6.800 eingereichten Filmen wurden ohnehin nur 404 ausgewählt. Die BERLINALE ist mit über 180.000 verkauften Tickets das größte Publikumsfestival der Welt, das auf einen Wettbewerb gut und gerne verzichtet könnte. Aber da dieser nun einmal das Kernstück des Janzen ist – warum muss dann er ausgerechnet das schwächste Glied in der Kette sein?
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Der kanadische Spielfilm Inch'Allah hatte das Format für den Wettbewerb, durfte aber wegen seiner Voraufführung auf arabischen Festivals 'nur' im Panorama-Programm laufen - Foto (C) BERLINALE
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Max-Peter Heyne - 21. Februar 2013 (2) ID 6586
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de
Post an Max-Peter Heyne
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