Eine Bilanz der Preisvergabe am Ende der BERLINALE
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Das Jahr, in dem Boyhood nicht gewann
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Der mit Abstand bei vielen Kollegen und BERLINALE-Besuchern beliebteste Beitrag des internationalen Wettbewerbs, der US-Independentfilm Boyhood, hat den Hauptpreis, den Goldenen Bären, nicht erhalten. Das ist eine der enttäuschenden Nachrichten am Ende eines BERLINALE-Jahrgangs, der insgesamt doch eher positive Überraschungen bot. Nun mag der chinesische Detektivfilm Schwarze Kohle, dünnes Eis aus dramaturgischen und ästhetischen Gründen ein durchaus würdiger Gewinnerfilm sein, zumal er den Finger in die Wunde einer wuchernden Kriminalität im pseudosozialistischen China legt – was auf ähnliche Weise auch der im letzten Jahr beim Filmfest Venedig preisgekrönte A Touch of Sin schon getan hat.
Aber der Mut und die Verwegenheit des amerikanischen Regisseurs Richard Linklaters, eine Coming-of-Age-Story nicht am Stück, sondern tatsächlich über zwölf Jahre hinweg mit denselben Darstellerinnen und Darstellern zu drehen, ist nicht nur filmgeschichtlich einmalig, sondern war auch so unterhaltsam und reich an Lebensweisheit, dass man der texanischen Indie-Ikone Linklater mehr als "nur" den Silbernen Regie-Bären gegönnt hätte (den er im Übrigen schon einmal für den ersten Teil einer Liebespaar-Trilogie mit Julie Delpy und Ethan Hawke, Before Sunrise [1995] erhalten hat). Die Jury unter Leitung des amerikanischen Produzenten James Schamus (Brokeback Mountain) folgte indes einer BERLINALE-Tradition, nach der eher schwerblütige und (gesellschafts-)politisch relevante Filme mit dem Hauptpreis – gerne aus Fernost oder Exotenländern stammend – prämiert werden.
Vor allem das Filmland China, das mit drei sehr unterschiedlichen Beiträgen neben Deutschland am häufigsten im Wettbewerb vertreten war, wurde vierbärig gewürdigt. Sehr sympathisch, wenn auch ziemlich eigenartig ging der Silberne Bär für die beste Schauspielerin an Haru Kuroki, die im melancholisch-nostalgischen Melodram des 82-Jährigen Altmeisters Yoji Yamada The Little House die Rolle eines Hausmädchens in einem japanischen Haushalt zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt. Kuroki gebührt nicht zuletzt großer Respekt für ihre Leistung, bei der Gala mehrere Sätze fehlerfrei auf Deutsch verlesen zu haben (man stelle sich umgekehrt vor, man müsse dies vor über tausend Zuschauern auf Japanisch in Japan zustande bringen). Aber Kurokis Rolle war weit weniger prägnant als die Frauenfiguren in anderen BERLINALE-Beiträgen.
Das markant vertretene bundesrepublikanische Kino ist mit einem Silbernen Bären an das Geschwisterpaar Dietrich & Anna Brüggemann für ihr Drehbuch über eine minderjährige Katholikenmärtyrerin in Kreuzweg gerecht und gut bedient. Zu den positiven Überraschungen zählte nämlich auch, dass Brüggemann als Spezi für Tragikomödien seinem selbstgewählten Thema Glaubensfanatismus gewachsen war. Nicht alle Regisseure hatten ihre Story so gut im Griff. Leider zählte auch die eigentlich hochbegabte Spanierin Claudia LLosa dazu, die ihr esoterisch angereichertes Mutter-Sohn-Drama Aloft mit dramaturgischen und kameratechnischen Extravaganzen unnötig aufgepumpt hatte. Dass an Dominik Grafs Schiller-Biografie Die geliebten Schwestern und Feo Aladags Afghanistan-Soldatendrama Zwischen Welten insbesondere von deutschen Medienvertretern unverhältnismäßig viel herum gekrittelt wurde, sind wohl Überbleibsel des Erbes früherer BERLINALE-Dekaden, als die deutsche Selbstzerfleischung (damals meist aus guten Gründen) zu den Standartsituationen zählte.
Es war kein schlechter Jahrgang und keine ganz unverständliche Preisvergabe. Erfreulicherweise gab es auch mal Komödien und Genrefilme im Hauptprogramm, sodass der Graben zwischen Kinoalltag und Festival diesmal nicht ganz so tief ausfällt wie früher. Und doch warf Festivalleiter Dieter Kosslick wie der Wettergott über alle Gerechten wie Ungerechten auch wieder viel unnötige Langeweile ab.
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Max-Peter Heyne - 17. Februar 2014 ID 7608
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de
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