Chrieg (CH 2014)
von Simon Jaquemet
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Bewertung:
Der diesjährige Max-Ophüls-Preisträgerfilm Chrieg hat es in sich. Wucht, Klarheit und Authentizität bescheinigte die Jury in Saarbrücken dem Debutfilm des Schweizers Simon Jaquemet in der Preisbegründung. Und er ist nicht nur visuell ein Schlag in die Magengrube, wie es der 37jährige Regisseur seinem Film vorrausschickt. Die Bilder und Handlung von Chrieg verstören nachhaltig. Nicht dass Filme über ungezügelte Jugendgewalt neu wären, aber Simon Jaquemet erzählt hier eine ungeschönte Geschichte vom völligen Scheitern der Institutionen Familie und Staat, ohne jemanden direkt mit erhobenen Zeigefinger in die Verantwortung zu nehmen. Die Gründe für den Ausbruch der Gewalt, die uns immer wieder durch Pressemeldungen erschüttert, bleiben so rätselhaft wie die Story des Films insgesamt.
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Der 15jährige Matteo ist seinen Eltern ein Rätsel. Der stille Einzelgänger passt sich nicht an, dealt mit Drogen und bringt, um seinem Vater zu imponieren, auch schon mal eine Prostituierte mit nach Hause. Der Vater geht mit harter Hand gegen die Opposition des Sohnes vor. Die Mutter hat nur Augen für das neue Baby. Da ist kein Platz für Matteo, der sich allen institutionellen Erziehungsmaßnahmen widersetzt. Letzte Hoffnung für die Eltern ist ein sogenanntes Bootcamp in den Schweizer Alpen. Bei Nacht und Nebel dahin verschleppt, gerät der Junge in die Mühlen eines aus dem Ruder gelaufenen Experiments. Die Jungen Anton, Deon und das Mädchen Ali haben den versoffenen Almbauern Hanspeter entmachtet und das Regime auf dem Hof übernommen. Der Neuankömmling wird einer entwürdigenden Initiation mit anschließender Mutprobe unterzogen und in die Gruppe integriert.
Lange weiß man nicht, ob dies alles nicht einem perfiden Erziehungsplan entspringt. Man ist wie Matteo selbst den sich für ihn zunächst kaum erklärenden Vorgängen ausgesetzt. Fast wie ein Spiel zelebriert die Gruppe ihre Art von Krieg. Die Kamera ist immer hart an den Protagonisten dran, so dass sich ein dynamisch dichter Spannungsbogen aufbaut, der sich immer wieder in Szenen der Gewalt entlädt. Das ist letztendlich auch die Stärke des Films, ein Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Der Film zeigt und baut Wut auf, ohne sie zu erklären, verklärt sie aber auch nicht als unumgänglich. In den wenigen Szenen der Ruhe kann man kleine Rückzugsgebiete, Wünsche und Hoffnungen der Protagonisten ausmachen. Die zum größten Teil noch filmisch unbeleckten Darsteller, allen voran Benjamin Lutzke als Matteo, überzeugen in jeder Minute.
Die unkontrollierte Bande nimmt den Jungen dann aber bald mit auf ihre Fahrten in die Stadt. Sie rauben brutal potenzielle Drogenkäufer aus, stehlen Autos, mischen eine Großraumdisco auf und verwüsten das Elternhaus der wohlstandsverwahrlosten Ali. Bis auf den schon mal im Knast gewesenen Anton, der das Kommando führt und unter keinen Umständen wieder zurück will, haben die anderen zumindest einen halbwegs nachvollziehbaren familiären Hintergrund. Der Serbe Deon sehnt sich nach seiner Großmutter, hat aber Angst vor einer Abschiebung; Ali, die sich als Junge in der Gruppe akzeptiert fühlt, fehlt Zuneigung, die sie hier aber vergeblich sucht. Der Gruppendruck verlangt bedingungslose Unterordnung, bis die freilaufende Dynamik die Gewalt eskalieren lässt.
Matteo will sich an seinem verhassten Vater rächen, dem der Regisseur und Drehbuchautor hier noch zusätzlich ein dunkles Geheimnis anheftet, das Matteos Vaterbild endgültig zerstört. Nach vollendeter Tat zieht sich die Truppe in ihr Lager zurück. Die eingeschworene Gemeinschaft scheint in Auflösung und wie gelähmt vor der Erwartung der Strafe. Die Taten bleiben für Matteo zwar ungesühnt, allerdings ist er am Ende inmitten der schroffen Bergwelt noch einsamer als zuvor.
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Simon Jaquemet wollte einen Film über bestimmte Konstellationen, in denen es zu Gewalt kommen kann, machen. Das Vorhaben ist ihm in Teilen gelungen. Dass sich die angestaute Wut Jugendlicher ohne angemessenes Ventil in ziellose Zerstörung entlädt, resultiert aber nicht nur aus unlösbaren Generationenkonflikten. Die gesellschaftliche Komponente wird im Film nur in Ansätzen deutlich. Die Ratlosigkeit des Regisseurs überträgt sich somit auch aufs Publikum. Trotz fehlender Unterfütterung der Story und ihrer Charaktere mit etwas mehr Hintergrund, stehen die ungelösten Fragen aber weiter zur Diskussion im Raum.
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Stefan Bock - 16. Februar 2015 ID 8442
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de
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