Eisenstein in Guanajuato (NL/B/MEX/FIN 2014)
von Peter Greeneway
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Bewertung:
Ein visuelles Fest der Sinne begeht Peter Greenaway in seinem Biopic Eisenstein in Guanajuato, das am Mittwoch auf der Berlinale seine Weltpremiere im Wettbewerb feierte. Der Regiealtmeister würzt bei seinem Berlinale-Debut kinematografische Historie mit einem deftigen Schuss Fiktion. Verbürgt ist zumindest die Reise des russischen Kultfilmers Sergei Eisenstein 1931 nach Mexiko. Der Regisseur von so berühmten Werken der sowjet-revolutionären Stummfilmära wie Panzerkreuzer Potemkin und Oktober wollte dort einen vom US-amerikanischen Schriftsteller Upton Sinclair finanzierten Dokumentarfilm mit dem Titel ¡Que viva México! drehen. Es kamen immerhin 400 km Filmmaterial zusammen, das Eisenstein allerdings nie fertig schneiden sollte. Wie im Untertitel zu Oktober, mit dem zum 10. Jahrestag der Oktoberrevolution filmisch nachgestellten Sturm auf das Petersburger Winterpalais, ging es für ihn in Guanajuato dennoch recht stürmisch zu. Nicht gerade Zehn Tage, die die Welt erschütterten, dafür aber das Leben des Regisseurs umso mehr.
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Um das Leben geht es dann auch im Allgemeinen, und im Speziellen um Liebe und Tod, Eros und Thanatos. Für Greenaways Filme mindestens so bedeutend wie für das Werk Eisensteins. Der Regisseur opulenter Cineastenkost wie Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber, Der Kontrakt des Zeichners oder Prosperos Bücher vollzieht hier eine bedeutungsschwangere, bildlich stark auskomponierte Zusammenführung von miteinander korrespondierenden Gegensätzen. Mexiko als Land, in dem sich Liebe und Tod fast lustvoll freundschaftlich umgarnen. Umschwärmt von Fliegen, in seinen Augen stalinistische Spione, kommt Eisenstein (grandios: Elmer Bäck) froh den entbehrungsreichen sowjetischen Verhältnissen für kurze Zeit entkommen zu sein, voll Tatendrang in Mexiko an. Beargwöhnt von mexikanischen Pistoleros, begrüßt von Frida Kahlo und Diego Rivera, schwebt auch spürbar der berühmte Eispickel des russischen Diktators über ihm. Eisenstein lässt sich gefangen nehmen vom katholischen Totenkult mit Knochenmännern und jeder Menge mythischem Mummenschanz. Dazu läutet ein tauber und blinder Azteke die Kirchenglocken.
Sichtlich erfreut über luxuriöse Bäder und große Betten ergeht sich Eisenstein beim Warmduschen in aufschneiderischen Posen und Zwiegesprächen mit seinem besten Stück, das er zwecks Frustgewinn zum besseren Kreativoutput wohl seit längerem nur zum Pinkeln gebraucht hat. Dem zügellosen Lustgewinn argwöhnt der libidinös unterversorgte und leicht verklemmte Clown im jungfräulichen Weiß. Beim Coming Out steht Eisenstein dann ein gutaussehender mexikanischer Begleiter in Schwarz zur Seite. Luis Alberti macht sowohl als Religionslehrer wie Anthropologe und natürlich auch als echter Latin-Lover eine äußerst gute Figur. Die Deflorierung des Regisseurs des roten Oktobers findet als eine Art Eindringen der neuen in die alte Welt durch die Hintertür statt. Ein durchaus doppeldeutig zu verstehender kolonisatorischer Rollback zum Jahrestag der großen Revolution inklusive Hissen der roten Fahne im verlängerten Rückenteil.
Zum Glück für ihn und die Zuschauer nimmt Greenaway das große Vorbild nicht allzu ernst, es darf ausgiebig gelacht werden. Daneben gibt es noch eine Hommage an alte, längst verstorbene Filmgrößen, einen Seitenhieb auf Hollywood und Schwarz-Weiß-Einblendungen historischer Szenen aus Eisensteins Filmen. Greenaway benutzt hier auch ganz bewusst digitale Tricks, Überblendungen, Dreifachteilungen (wie in sakralen Triptychen), großzügige Weitwinkelaufnahmen und rasante Kamerafahrten im Kreis, bis einem auch schon mal ganz schwindelig vor Augen wird. Und selbstverständlich untermalt Greenaway seine farbenprächtigen Bilder wie immer mit viel pathetisch klassischer Musik und hier natürlich vor allem der des von Eisenstein geschätzten Komponisten Sergei Prokofjew.
Irgendwie verliert der Film dabei aber auch etwas sein Ziel und Zentrum. Beide Regisseure erliegen sichtlich erschöpft dem katastrophenartigen Regen und den fremden, morbiden Reizen Mexikos. Letztendlich geht es neben Sex und Selbstfindung, auch um Macht und Geld. Denn nicht nur seinem mexikanischen Führer in erotischen Dingen gibt sich Eisenstein hin, er muss auch vor der dumpfen Macht seines Financiers kapitulieren, verkörpert durch die abgesandten bigotten Vertreter Upton Sinclairs, die dem überdrehten Regisseur in Gestalt der snobistischen Ehefrau des großen Schriftstellers und ihres noch verständnisloseren Bankiers mangels verwertbarer Ergebnisse einfach den Geldhahn zudrehen.
Sichtlich frustriert fährt Eisenstein am Ende wieder seinem ungewissen Schicksal in der Sowjetunion entgegen, das für schwule, jüdische Künstler nicht besonders rosig aussieht. Parallelen zum heutigen Russland drängen sich auf. Hier platziert Greenaway nicht nur eine bildgewaltige Pointe auf die unheilige Verflechtung von Kunst und Geld, in der sich die Protagonisten in slalomartigen Zick-Zack-Bewegungen durch den Set eines weitläufigen, mit Säulen ausgestatteten Cafés schlängeln. Er gibt zu guter Letzt auch einen zwar ironischen, aber wenig optimistischen Ausblick auf das Ende des großen Regisseurs, der mit seinem Werk die Filmwelt revolutionierte, und dennoch 1948 - just beim Erstellen einer Chronik des sowjetischen Films - trotz Hämmern an der Heizung ungehört von den Nachbarn einem Herzinfarkt erlag. Der Klempner lässt grüßen.
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Stefan Bock - 13. Februar 2015 ID 8430
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de
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