Resümée (2)
zum PANORAMA und zu Dokumentarfilmen
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Wer sich während der Berlinale quer durch alle 12 Programmreihen wuselt, muss immer wieder erstaunt feststellen, dass es unter den zeitgenössischen Filmemachern einen unseligen Hang zur – leider oft unnötigen – Überlänge gibt. Umso erfrischender, wenn Regisseure und Drehbuchautoren ökonomisch mit dem Faktor Zeit umgehen können. Im Panorama gehörten dazu die Independent-Produktionen Petting Zoo von Micah Magee – ein leises Pubertätsdrama um eine 17jährige – und der neue Film von Kultregisseur Hal Hartley, der nach Jahren im Berliner Exil wieder in die USA zurückgekehrt ist: Ned Rifle. Beide Filme erzählen ihre "kleinen" Geschichten um junge, nach Orientierung und einen Platz im Leben suchende Amerikaner mit äußerster Lakonie, als wären sie eher zufällige Zeugen des Geschehens.
Magee, der seinen Film mithilfe der Berliner Filmhochschule an der US-Westküste inszenierte, konzentriert sich ganz auf den schläfrigen Charme seiner Hauptdarstellerin Devon Keller, die als sonambul und phlegmatisch durch ihr Leben schlingernde Teenagerin eine der schauspielerischen Entdeckungen des Festivals war. Sie spielte eine von mehreren Frauenfiguren im Berlinale-Programm, die an einer Fehlgeburt elaboriert (merkwürdiger Zufall). Keller ließ die untergründige Verzweiflung ihrer Figur durch passive Aggressivität durchscheinen, was beim Zuschauen Impulse auslöste, sie kräftig durchzuschütteln, damit sie sich der Realität endlich einmal stellen möge. Hal Hartleys Hauptfiguren – ein seltsames Pärchen von Mitzwanzigern, die sich auf Rachetrips begeben, die von vorneherein wenig konsequent durchdacht sind – waren von ähnlicher Unbeholfenheit und Naivität geprägt. Im US-Independentfilm ist die amerikanische Jugend nicht gerade mit Weitblick gesegnet.
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Überraschend kohärent und wie aus einem Guss wirkte der neue Film des österreichischen Autorenfilmers Peter Kern, Der letzte Sommer der Reichen. Kern erzählt eine mit satirischen Seitenhieben gespickte Fabel über eine junge, ebenso attraktive wie gerissene Frau, die in eine offensichtlich tief korrupte Alpenrepublik zurückkehrt, um den Konzern ihres todkranken Vaters – einem früheren Nazi und Menschenschinder – zu übernehmen. Das zu erwartende große Erbe lässt sie vollends zur gewissenlosen Domina mutieren, die sich an Praktikantinnen vergreift und einzig mit einer Nonne ihre Liebessehnsucht auszuleben vermag – wenn da nicht Killer im Garten lauerten. Klingt haarsträubend, und ist es auch, aber die Chuzpe, mit der Kern seine krude Farce als Mischung aus hochemotionaler Oper und schrillem Edgar-Wallace-Krimi präsentiert, war einer der unterhaltsamsten Beiträge im Panorama.
Kerns österreichischer Schauspiel- und Regiekollege Karl Markovics bewies mit seinem neuen Film Superwelt, dass der spitzzüngige und schwarze Humor unserer südlichen Nachbarn auch dann eine beachtliche Wirkung haben kann, wenn er weniger deftig angerührt ist, sondern auf leisen Sohlen daherkommt. Die Geschichte einer kleinbürgerlichen Frau, die meint, dass Gott persönlich zu ihr spricht und die darüber ihr spießiges Familienidyll auf den Kopf stellt, war ein hintersinniges Vergnügen.
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Besonderes Lob gilt der vorzüglichen Auswahl an Dokumentarfilmen, sei es der verblüffende Rückblick auf die erstaunliche Persönlichkeit und Karriere des Regiewunderkinds Rainer Werner Fassbinder (mit nie zuvor gezeigtem Interviewmaterial), Fassbinder – Lieben ohne zu fordern, des dänischen Regisseurs Christian Brad Thomsen, oder das aufschlussreiche Porträt über die Tänzerin, Choreografin und Performancekünstlerin Yvonne Rainer, Feelings Are Facts von US-Regisseur Jack Walsh. Auch die beinahe dreistündige Familiensaga Iraqi Odyssey wirkte emotional intensiver als mancher Spielfilm, da man merkte, wie sehr Dokumentarfilmer Samir das Schicksal der eigenen Familie dramaturgisch geschickt aufbereitet hat. Das ließ sich über fast jeden Dokumentarfilm, aber leider nicht jeden Spielfilm in den Berlinale-Hauptprogrammen sagen.
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Der wohl wirkungsvollste, eindringlichste Dokumentarfilm, der den 30. Friedensfilmpreis erhielt, war The Look of Silence vom Autorenfilmer Joshua Oppenheimer, der als Berlinale-Special gezeigt wurde. In der Begründung der Jury heißt es: „Mehr als eine Million Menschen wurden in Indonesien nach dem Militärputsch von 1965 grausam und willkürlich umgebracht. Verbrechen, die nie aufgearbeitet noch geahndet wurden. Über die Täter drehte Joshua Oppenheimer bereits den preisgekrönten Dokumentarfilm The Act of Killing. In seinem neuen Film The Look of Silence wechselt Oppenheimer die Perspektive. Adi, der Bruder eines der Ermordeten, sucht den Kontakt mit den Tätern und befragt sie zu ihren Taten. Oppenheimer gelingt es auf ergreifende Weise, ein gesellschaftliches Tabu aufzubrechen. Entstanden ist ein Film über die Abgründe menschlicher Grausamkeit und über die hoffentlich ebenso große Fähigkeit zur Versöhnung. Die tödliche Stille lässt sich durch Nachfragen überwinden. Das öffnet Opfern und Tätern die Chance zum Weiterleben in einer versöhnten Welt. Das ist eine einfache, aber so sehr wichtige Botschaft des Films.“
Laut Regisseur Oppenheimer haben seine beiden Filme, für die er Jahrzehnte recherchiert hat, zum gegenseitigen Dialog und einer Annäherung beigetragen. Die Filme werden in Indonesien häufig gezeigt. 60 Crewmitglieder und auch die genaue Herkunft des Protagonisten Adi müssen aus Sicherheitsgründen anonym bleiben. Die Opfer werden noch heute stigmatisiert. In Ergänzung zu The Act of Killing bricht Joshua Oppenheimer mit seinem Protagonisten Adi erneut das Schweigen, indem der Optiker Adi mutig seine Patienten, aber auch die Täter befragt, die im selben Dorf leben und immer noch an der Macht sind. Wie im ersten Film zeigen die Täter keine Reue und genießen sichtlich das Nachspielen ihres Blutrausches und ihrer bestialischen Massaker, die Todeskommandos 1965 im Auftrag der Militärs auf Jagd nach angeblichen sogenannten Kommunisten begingen. Der schonungslose Dokumentarfilm konzentriert sich auf Adi und seine Familie, auf der Suche nach einem Dialog mit den Mördern seines Bruders, der auf sadistischste Weise hingemetzelt wurde.
Gerade solche, schwer auszuhaltene Filme verleihen der Berlinale ihre Bedeutung.
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Max-Peter Heyne & Gabriele Leidloff - 17. Februar 2015 ID 8444
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de
Post an Max-Peter Heyne
Post an Gabriele Leidloff
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