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PANORAMA
Die Geträumten / Kater
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Wien ist sicher nicht arm an tauglichen Filmsets. Die ehemalige Hauptstadt der Donaumonarchie versprüht den Charme von mehreren Jahrhunderten österreichischer und europäischer Kunst- und Kulturgeschichte. Und auch für die Liebhaber des zeitgenössischen Autorenfilms wird sich immer ein passender Drehort in Wien und Umgebung finden lassen. Bei nicht mehr als einer Handvoll Beiträgen aus Österreich im Programm der Berlinale 2016 verwundert es daher schon, dass gleich zwei Filmteams zum Teil die gleiche Lokation gewählt haben. So spielt das Funkhaus Wien in der Argentinierstraße - 1935 bis 1939 nach Plänen des Architekten Clemens Holzmeister erbaut - in den Filmen Die Geträumten von Regisseurin Ruth Beckermann und Kater von Regisseur Händl Klaus eine nicht unwesentliche Rolle. In beiden Fällen bleibt sogar die Kamera schon im Vorspann an den in blassen, erdigen Tönen gehaltenen Landschafts-Wandbildern in den Tonstudios hängen.
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Ruth Beckermann hat für ihr Kunstfilmprojekt über den langjährigen Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan das Tonstudio 3 im Wiener Funkhaus gewählt, um eine möglichst intime, kammerspielartige Szenerie mit indirektem Blick nach draußen zu schaffen. Sie hat sich nicht für ein Biopic mit Ausflügen zu den Orten des Briefwechsels entschieden, sondern für eine Lesung der Briefe als gespielte Tonaufnahme mit zwei sich gegenüberstehenden Konterparts. Mit der Musikerin Anja Plaschg (Soap&Skin) und dem Theaterschauspieler Laurence Rupp fand Ruth Beckermann ein ziemlich authentisch wirkendes Darstellerpaar als Dichterin und Dichter „aus dem Hause Österreich“, das sich recht gut in den Tonfall der sehr intensiv und direkt geführten Korrespondenz hineinfühlen kann. Und wie Laurence Rupp als Mitglied des Burgtheaterensembles besitzt auch Anja Plaschg schon einiges an Bühnenerfahrung. Sie war die Nico in Werner Fritschs Stück Nico - Sphinx aus Eis und schreibt schon länger Bühnenmusiken für die deutsche Regisseurin Jette Steckel.
Bachmann und Celan hatten sich 1948 in Wien kennengelernt. Der kurzen heftigen Liebesbeziehung folgte ein jahrelanger Austausch von Briefen, in denen man sich intervallartig zueinander wünschte und dann doch immer wieder größtmöglichen Abstand voneinander nahm. Der stetige Wechsel der Kameraeinstellung im Tonstudio von der Nahaufnahme in die Distanz wird dem gesprochenen Text zur kongenialen Entsprechung. Ausdrücke von Begehrlichkeiten, Stolz und Verletzungen wechseln einander in hochpoetischen Worten ab. Und selbst als beide schon in anderen Beziehungen stecken, hören die Bitten nach einer Fortsetzung der Korrespondenz nie ganz auf. Liebesschwüre und erneute Zweifel an den eigenen und den Gefühlen und der Zuneigung des anderen machen den Briefwechsel zu einer bestätig knisternden, spannungsgeladenen Angelegenheit. Dazu kommt, dass Plaschg und Rupp mit Blicken und Diktion der hohen Emotionalität der Worte Ausdruck verleihen können.
Dem Gedicht Köln, Am Hof von Paul Celan für Ingeborg Bachmann sind der titelgebenden Zeilen "Herzzeit, es stehn / die Geträumten für / die Mitternachtsziffer" entlehnt. Bachmann schrieb an Celan: „…ich wollte nichts, als eben ab und zu durch eine Karte von Dir die Bestätigung bekommen, dass ich nicht geträumt habe.“ Mehrmals fällt Plaschg dann auch Rupp ins Wort: „Sind wir wirklich nur die Geträumten?“ Die unterschiedliche Art des Ausdrucks von Emotionalität bei Mann und Frau lässt sich hier wunderbar ablesen. Während Celan oft gekränkt von sich spricht, auch bedingt durch schlechte Kritiken und zum Teil sogar antisemitische Reaktionen auf seine Gedichte, ist Bachmann immer wieder um Ausgleich bemüht.
In improvisierten Pausenszenen erfährt der Briefwechsel eine Reflexion in Gesprächen beim Rauchen und poetische Fortsetzung in Bildern und Tönen. Dabei streift man durch die Gänge des Funkhauses, hört einer Orchesterprobe zu oder macht Lockerungsübungen zu James Browns "It‘s A Man‘s World". Ruth Beckermann gelingt hier eine wunderbare filmische Umsetzung dieser literarisch so wertvollen Dokumentation einer um Worte ringenden Liebe im „Sinnlichen und Geistigen“, die sich nicht verwirklichen kann. Unbedingt sehens- und hörenswert. Zu lesen ist der gesammelte Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan im bei Suhrkamp erschienen Band Herzzeit.
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Die Geträumten | (C) Ruth Beckermann Filmproduktion
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Ebenfalls thematisch ganz gut passt das Tonstudio des Funkhauses Wien zum Beruf des Paars Andreas und Stefan (Phillip Hochmair und Lukas Turtur), das im zweiten Spielfilm des multibegabten österreichischen Schriftstellers, Dramatikers und Filmemachers Händl Klaus eine nicht minder emotionale Liebesbeziehung durchlebt. Stefan ist Hornist im Rundfunkorchester Wien und wohnt mit Freund Andreas, dem Disponenten des Orchesters, in einer alten Villa am Rand der Weinberge Wiens. Es ist ein kleines, privates Paradies mit Garten und Kater Moses, das sich die beiden hier gemeinsam geschaffen haben. Die Liebe ist noch frisch und leidenschaftlich, was man zu coolen Jazzklängen gleich zu Beginn des Films intensiv auslebt. Auch im Beruf und dem Freundeskreis aus Musikern und Nachbarn läuft eigentlich alles ziemlich gut. Das Schwulsein ist hier so normal wie das Gießen der Blumen und das Füttern des Katers, an dem besonders Andreas hängt. Dabei sind Garten, Bilder und Musik nicht nur Metaphern für das Schöne, sondern auch intimer Rückzugsraum für den Einzelnen.
Dem schönen Idyll macht allerdings ein doch etwas an den Katzenhaaren herbeigezogener Gewaltausbruch Stefans ein jähes Ende. Ohne dass es irgendeinen Grund oder vorherige Anzeichen dafür gab, wirft dieser Vorfall das bisherige Leben des Paars komplett aus der Bahn. Nach einem Moment der Fassungslosigkeit und Trauer zieht sich Andreas immer mehr zurück, worauf Stefan mental zusammenzubrechen droht. Händl Klaus macht aus dieser Situation gottseidank kein Fischen im Trüben Freud‘schen Unterbewusstseins, obwohl Stefan auf Anraten Andreas' sogar zum Psychologen geht, sondern zeigt, wie plötzlich Liebe und Gefühle kippen können. Beide verarbeiten das Ganze dabei relativ unterschiedlich. Ständige Ängste, ein schleichender Vertrauensverlust und das plötzliche Schwinden körperlicher Nähe wirken sich nicht nur auf die Psyche der Protagonisten, sondern auf die Beziehung insgesamt aus, die dabei auf eine harte Probe gestellt wird.
Der Regisseur hält die Situation trotz sparsamer Dialoge und langer Kameraeinstellungen äußerst spannungsgeladen und immer in der Schwebe. Eine „hochsensible Studie über Männer ohne Frauen“ beschreibt der Presse-Text den Film. Das klingt zwar etwas merkwürdig, man kann dem jedoch auf rein emotionaler Ebene weitestgehend zustimmen. Getragen wird die Story aber vor allem durch die beiden bühnenerprobten Mimen Lukas Turtur vom Residenztheater München und Philipp Hochmayr, der viel am Thalia Theater Hamburg und Burgtheater Wien beschäftigt ist. Beide liefern den Alltagsszenen und der zunächst sehr intensiv gelebten Sexualität ebenso wie der anschließenden Unsicherheit der Protagonisten große Glaubwürdigkeit. Händl Klaus lässt seinen Film schließlich ins Offene laufen, was vieles unbeantwortet lässt, aber auch Raum für Hoffnung gibt.
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Kater | (C) coop99 Filmproduktion
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Stefan Bock - 18. Februar 2016 ID 9150
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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