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Midnight Special |
Já, Olga Hepnarová



Midnight Special – Die Dämonischen (USA 2015)
Regie und Drehbuch: Jeff Nichols | Darsteller: Michael Shannon, Joel Edgerton, Kirsten Dunst, Jaeden Lieberher, Adam Driver

Auch das US-amerikanische Science-Fiction-Drama Midnight Special war [wie Hail, Caesar!] kein runder, in jeder Hinsicht überzeugender Beitrag am ersten "richtigen" Tag des Berlinale-Wettbewerbs.

Es fängt durchaus vielversprechend an: Zwei Männer und ein Junge, den sie vielleicht entführt haben, werden gejagt. Eine fundamentalistisch-christliche Sekte im amerikanischen Hinterland, aber auch das FBI, ist ihnen auf den Fersen, weil der achtjährige Junge offensichtlich über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt. Leider enthüllt Regisseur Jeff Nichols etwas schnell, was den Jungen auszeichnet. Es folgt zwar ein beachtlich gefilmter, veritabler Knalleffekt. Aber nach rund 30 Minuten lässt Nichols seine Geschichte nur noch in den bekannten Bahnen des Verfolgungsthrillers entlanglaufen. Eine gewisse Grundspannung kann Nichols zwar aufrecht erhalten. Aber seine surrealen Effekte und Momente wollen sich nicht harmonisch in die Actionszenen einfügen.

Wie Nichols in der anschliessenden Pressekonferenz berichtete, haben ihn als Junge Science-Fiction-Filme wie Spielbergs E.T. und Die unheimliche Begegnung der Dritten Art sowie Starman von Fantasy-Spezi John Carpenter (der 1984 noch schöne A-Pictures inszenierte) stark beeinflusst. So gesellt sich zu den Coens am Tag zwei der Berlinale gleich noch ein weiterer amerikanischer Kollege, dem so sehr an einer Reminiszenz an frühere Filmepochen gelegen war, dass er darüber vergessen hat, die alten Konzepte ausreichend mit neuem Leben zu erfüllen. Immerhin: Midnight Special ist zur Abwechslung mal ein glasklarer, unterhaltsamer Genrefilm im Wettbewerb.





Midnight Special | © 2016 Warner Bros Entertainment Inc. and Ratpac-Dune Entertainment LLC


*


Já, Olga Hepnarová (I, Olga Hepnarova) (CZ/PL/SK/F 2016)
Buch und Regie: Petr Kazda, Tomas Weinreb | Darsteller: Michalina Olszanska, Martin Pechlat, Klara Meliskova, Marika Soposka, Juraj Nvota

An deutschen Regisseuren bzw. Regisseurinnen, die sich gerne in den Familien- und Psychokrams ihrer gefährdeten Hauptfiguren hineinknien, können sich von dieser tschechischen Produktion eine dicke Scheibe abschneiden: I, Olga Hepnarova, ist nämlich ein unterkühltes, langsam und in strengen Szenenkompositionen erzähltes, hochstilisiertes Drama über eine an Schizophrenie erkrankte, junge Frau. Eine, die mit ihrem missmutigen und einzelgängerischen Verhalten die Familie überfordert und ihre Freunde und Freundinnen – sofern sie denn welche findet – permanent vor den Kopf stößt. Und trotzdem zieht die Geschichte den Zuschauer bis zum bitteren Ende in Bann.

Das ist eine besondere, um nicht zu sagen außergewöhnliche Leistung – wenn man noch bedenkt, dass kaum gesprochen und in kargem Schwarz-Weiß gedreht wurde. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer trotz unattraktiver Ausgangslage am Köcheln zu halten, lernt man vermutlich an keiner Filmhochschule. Dafür bedarf es einem psychoanalytischen Interesse (und Fingerspitzengefühl), die innere Verzweiflung und Trotzigkeit einer verwirrten Seele als interessante Gegenwelt zu der unseren zu begreifen und entsprechend vermitteln zu wollen. Natürlich sind gestörte Psychen schon immer ein Quell künstlerischer Werke gewesen, nicht nur im Film (und nicht nur in drittklassigen Horrorfilmen). Aber nur selten – und kaum bei Frauen – wirkte Schizophrenie so eindringlich authentisch wie in diesem nüchternen, dialogarmen Film.

Die Strenge der schnörkellosen, wie ein Uhrwerk in Richtung Katastrophe laufenden Dramaturgie ist gewollt. Denn sie ergänzt adäquat die unerbittliche Strenge, von der die Hauptfigur Olga erfüllt ist. Die zarte, ja, zerbrechlich wirkende Hauptdarstellerin Michalina Olszanska trägt die Last, die historisch verbürgte Amokläuferin Olga Hepnarova authentisch zu verkörpern und dabei nicht völlig verrückt oder abstoßend wirken zu lassen, mit Bravour. Permanent rauchend und hinter ihrem Pony lauernde Blicke verschießend, ist die Film-Olga von der ersten Szene an eine eher bemitleidens- als verachtenswerte Figur.

Die Autoren belassen es bei einem Monolog anhand von vorgelesenen Selbstdokumenten Hepnarovas zu Beginn und am Ende des Films, um hinreichend kenntlich zu machen, welcher Fremd- und Selbsthass in der zierlichen Frau tobt. Hepnarova wusste, dass sie ein wandelndes Pulverfass war und nahm sich vor, die Gesellschaft in einer Form aufzurütteln. Auch die Todesstrafe – die letzte, die im sozialistischen Tschechien verhängt wurde – strebte sie an. Ihr versierter Pflichtverteidiger konnte gegen Hepnarovas eigene und die Wut der Justiz trotz guter Gründe für ein psychologisch ausgerichtetes Urteil nicht ausrichten.

Ich musste nach dem Film an den unglückseligen Täter denken, der kürzlich ganz in der Nähe meines Wohnortes eine junge Studentin vor eine U-Bahn geschubst hat. Die Parallelen zum Hepnarova-Fall erzeugten zusätzliche Gänsehaut.



Max-Peter Heyne - 13. Februar 2016 (2)
ID 9137
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de


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