PERSPEKTIVE
Back for Good
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Eine besonders wilde Maus gibt’s in dem etwas sperrig titulierten Beitrag Back for Good (schwer wörtlich zu übersetzen, also lasse ich’s) zu sehen: Angie ist eine wasserstoffblondierte, mit Silikon, Nail- und Hair-Extensions aufgepimpte Trash-TV-Tussi, die mit Ende zwanzig bereits den Zenit ihrer zweifelhaften Karriere überschritten hat. Schweren Herzens muss die C-Celebrity (Kim Riedle) nach einem Kokainentzug in ihr spießiges Heimatkaff und das Haus ihrer Mutter (Juliane Köhler) zurück. Hier erwartet Angie die parfümierte Hölle einer kleinherzigen, kleinbürgerlichen Kleinstadtidylle – und ihre jüngere Schwester Kiki (Leonie Wesselow), die von der resoluten Mutter ebenso sehr verhätschelt wie kontrolliert wird. Schlagartig gewinnt die flatterhafte, oberflächliche Angie beim Zuschauer an Sympathie. Denn wer würde nicht alle seine oder ihre zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um dieser bedrückenden Atmosphäre aus Tupperwaren- und American-Line-Dance-Events zu entfliehen?
Angie will denn auch alsbald wieder ihre Potentiale als Skandalnudel und Seite3-Beauty abrufen, um in die Schlagzeilen der Boulevardpresse zu kommen. Allein, auch dies geht nicht auf Knopfdruck – der Skandal muss gut ausgedacht, gescriptet und inszeniert werden. Angie muss sich aber nach einem Herzanfall ihrer Mutter um Kiki kümmern, die an Epilepsie leidet. Kleine und große Katastrophen sind vorprogrammiert. Die alten Konflikte zwischen Mutter und Tochter, die sich gegenseitig superpeinlich sind, brechen auf und fördern unangenehme Geheimnisse zutage.
Eine unterhaltsame, hintergründige Tragikomödie par excellence, in der – selten genug – wirklich jedes Wort stimmt und jeder Einfall passt! Ich muss schwer an mich halten, um über die Nachwuchsregisseurin Mia Spengler (Jahrgang 1986 und Absolventin der Filmakademie Baden-Württemberg) und ihre hervorragende Damen-Darstellerriege nicht eine wahre Hymne anzustimmen. Diese Frauenschicksale sind jedenfalls so wunderbar ersonnen, dramaturgisch aufgefächert und gespielt, dass viele Premierengäste traurig waren, dass nach 90 Minuten schon Schluss war. Immerhin handelt die Story von einer Sexy-Hexy aus der untertesten Promi-Schublade – arme, Scheinwerfer-süchtige Wesen, die sich vor Gerichten oder im Dschungel zum Affen machen. Eine solche Frau charakterlich zu durchleuchten und zur Heldin zu machen, ohne in Küchenpsychologie zu verfallen oder die Niederungen der Klamotte abzurutschen, ist an sich schon eine beachtliche Leistung der Autorin und Regisseurin. Gut, Juliane Köhler zu haben ist schon mal ein Hauptgewinn. Aber Mia Spengler trumpft ja noch mit zwei weiteren Assen auf, nämlich mit der erst 19-jährigen Leonie Wesselow und der 35-jährigen Kim Riedle, die sich bisher in TV-Serien getummelt hat (eine Hölle ohne Tupperware). Ein geniales Casting, dass den Film zusammen mit dem einfallsreichen Drehbuch und der stilsicheren Regie über den Durchschnitt katapultiert.
Vor allem Riedles Tour de Tussi veredelt dieses verblüffende Spielfilmdebüt. Eine Figur, die unintelligenter, geschmacksverirrter und ordinärer ist als man selbst, glaubhaft zu verkörpern, also ohne ein übertriebenes Wort oder eine aufgesetzte Geste – das erfordert wahrhaftige Schauspielkunst, die weit über handwerkliche Versiertheit hinausgeht. Neben Robert Carlyle als Begbie in T2 Trainspotting liefert nun Kim Riedle als Angie eine weibliche Variante einer verpeilten Anti-Heldin, die das Wort Scham nur aus dem Lexikon kennt. Wie es Kim Riedle mit Unterstützung der pointierten, treffsicheren Dialoge des Drehbuchs gelingt, ihre zwiespältige Figur mit komplexen Emotionen auszufüllen, sodass sie den Zuschauern nicht mehr fremd ist, sondern in jeder Szene zur Identifikation anregt, ist eine herausragende schauspielerische Leistung, die im Wettbewerb eines Silbernen Bären würdig wäre. Die Casting-Beauftragten deutscher Produktionen mögen sich den Namen Kim Riedle bitte ganz dick und in Rot über ihre Kalenderseiten schreiben! Sie war schon eine Zeit lang in den USA und in Australien – lasst sie nicht wieder weg! Also liken, liken, liken!
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Back for Good | (C) Zum Goldenen Lamm
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Max-Peter Heyne - 13. Februar 2017 ID 9836
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de
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