WETTBEWERB
Helle Nächte / Colo
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Die Krisen von Männern jenseits der Vierzig ziehen sich weiter durch den Wettbewerb der BERLINALE. Ihre Gefühlslagen sind mehr oder weniger gezeichnet durch eine fortschreitende Orientierungs- bzw. Sprachlosigkeit. Letzteres ist dann ja auch eines der Hauptprobleme in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Auslöser dafür sind dabei recht verschieden...
In Helle Nächte, dem ersten deutschen Wettbewerbsbeitrag von Thomas Arslan, hat der Bauingenieur Michael (Georg Friedrich mal wieder in einer ernsteren Charakterrolle) ein doppeltes Vater-Sohn-Problem aufzuarbeiten. Gewohnt beiläufig, ein Stilmerkmal der sogenannten Berliner Schule, erfährt der Zuschauer, dass Michaels Vater, der die letzten Jahre zurückgezogen in Nordnorwegen gelebt hat, gestorben ist. Man stand sich nicht sehr nahe. Das Warum bleibt wie die momentane Gefühlslage Michaels im Dunkeln. Auch in der Beziehung zu seiner Freundin scheint einiges Unausgesprochen zu sein. Dass sie der Karriere wegen ein Jahr als Korrespondentin nach Washington will, ist ein weiterer Schlag für Michael. Das klingt schon sehr nach Beziehungspause.
Wenig später sitzt der wortkarge Grübler schon mit seinem eigenen Sohn im Flieger. Luis (Tristan Göbel, der gerade als Maik in Fatih Akins Tschick-Verfilmung brillierte) lebt bei der Mutter auf dem Land und ist wenig begeistert vom plötzlichen Interesse des Vaters, der sich einige Jahre nicht um ihn gekümmert hat. Michael scheint die Fehler seines Vaters zu wiederholen. Um Maik wieder näher zu kommen, nimmt er ihn mit zum Begräbnis des Großvaters nach Norwegen. Aber Maik lässt Michael ständig spüren, dass er an einer neuerlichen Vertiefung der Beziehung nicht besonders interessiert ist. Und wie die zunächst schweigsame Autofahrt, kommt auch der Film nur recht langsam in die Gänge.
Arslan nutzt die karge zum Teil nebelverhangene Berglandschaft Norwegens, um die quälende Sprachlosigkeit seiner Protagonisten noch zu verstärken. Und doch bietet die Natur auch erste Anknüpfungspunkte. Maik meint, es sehe hier aus wie im Film Herr der Ringe. Allerdings hat Michael nur das Buch gelesen, das Maik langweilig findet, wie auch die etwas älteren Lieblingsfilme seines Vaters. Auf den Mund gefallen ist Luis trotz seiner durch die Handyohrstöpsel bedingten Abwesenheit jedenfalls nicht. Nur findet Michael den Draht zu seinem Sohn ebenso wenig wie den richtigen Weg. Analoges Kartenlesen gegen digitales Navigationsgerät. Autofahren gegen Wandern. Der Generationenkonflikt vermittelt sich hier über kommunikationstötende Technik. Auch der erste Fußmarsch, nachdem das Benzin ausgegangen ist, bringt nicht die erwünschte Erlösung.
Anschluss findet Luis eher zu einer Hardcore liebenden Fee aus Oslo, die der Urlaub mit den Eltern ebenfalls anödet. Der Sohn wehrt alle ungeschickten Annäherungsversuche des Vaters barsch ab. Er solle ihn nicht wie einen Idioten behandeln, schreit ihn Luis an. Zur aufkommenden Aggression gesellt sich Michaels quälende Schlaflosigkeit in den hellen Mitsommernächten. Lost in Landscape. Das Ausgeliefertsein an die endlose Weite der norwegischen Natur setzt bei Michael eine Art Katharsis in Gang. Der Versuch einer Lebensbeichte des Vaters schlägt den Sohn aber erst recht in die Flucht. Ob sich beide am Ende trotzdem dauerhaft wiedergefunden haben, lässt Regisseur Arslan offen wie die zumeist losen Kommunikationsenden. So läuft der Film in langen Einstellungen fast gänzlich ohne Spannungsbögen auch ziemlich ins Leere.
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Helle Nächte | (C) Schramm Film - Marco Krüger
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Wie Berliner Schule auf Portugiesisch fühlt sich Colo, der Wettbewerbsbeitrag von Teresa Villaverde an. Auch hier ein Vater in tiefer Krise und Sprachlosigkeit. „Was ist los, mit unserem Leben?“ fragt den arbeitslosen Mann (João Pedro Vaz) irgendwann seine 17jährige Tochter Marta (Alice Albergaria Borges). Darauf eine adäquate Antwort zu geben, tut sich der Film allerdings 135 Minuten lang recht schwer. Man muss sich schon eine Weile einsehen, um wirklich warm zu werden. Villaverde liefert dann aber doch eine ziemlich eindrückliche Studie einer Mittelstandsfamilie im krisengeschüttelten Portugal, die an der drohenden Existenznot zu zerfallen droht. Notdürftig zusammengehalten wird sie von der berufstätigen Mutter (Beatriz Batarda), die auch noch einen Zweitjob annimmt und dadurch immer müder wird. Den recht schweigsamen Vater plagen Ängste, dass sie die Familie verlassen wird. Er ist tagsüber zu Hause und versucht krampfhaft Leuten hinterher zu telefonieren, die sich auf seine Bewerbungen nicht mehr zurückmelden. Ansonsten steht er viel auf dem Dach des Hochhauses in seiner Plattenbausiedlung am Rande Lissabons und schaut in die Ferne.
Lange Einstellungen und Handlungsarmut machen es auch hier schwer, dem Plot zu folgen. Überhaupt ist der leere Blick nach draußen oder unser Blick von außen in die Fenster der Wohnung beherrschendes Mittel, die Einsamkeit der Protagonisten zu verdeutlichen. Als Sehnsuchtsort und Naturmetapher dient hier der Tejo oder das nahe Meer, zu dem es Marta mit ihrer Freundin und auch den Vater immer wieder zieht. Er spürt seine Nutzlosigkeit und greift sogar einmal zu einer Art Verzweiflungstat, als er einen ehemaligen Schulfreund den Firmenchef entführt, der ihn wegen eines Jobs nicht zurückruft. Seine Depressionen ziehen die gesamte Familie mit in den Abgrund. Marta ritzt sich heimlich und ist eigentlich mit ihrem Liebesleben und der eigenen Identitätssuche beschäftigt.
Ihre Freundin Júlia (Clara Jost) ist schwanger und will nicht mehr zu ihrer ebenfalls zerrütteten Familie, die sie ablehnt, zurück. Die Mädchen schwänzen immer häufiger die Schule. Freude haben sie nur bei nächtlichen Partys mit Rock-Musik und Drogen.
Und dennoch taucht immer mal wieder sowas wie Hoffnung auf. Es sind kurze Momente der Solidarität. Ein Schluck Wasser von Fremden für den Vater. Das gemeinsame Essen bei Kerzenschein in der dunklen Wohnung. Wegen des abgedreht Stroms laden Nachbarn die Handys der Familie auf. Der Zerfall ist dennoch nicht aufzuhalten. Marthas Vogel stirbt wie die eingesperrte Hoffnung auf eine Besserung der Situation. Familien müssen in schweren Zeit wie Krieg oder bei Krankheit zusammenhalten, sagt die Mutter. „Es ist aber kein Krieg“, antwortet Marta trotzig. Es fehlt zwar nicht an Liebe, aber an einer gemeinsamen Zukunft. Die Mutter zieht schließlich aus. Der Vater soll mit Martha zur Großmutter aufs Land, bis wieder genug Geld da ist, um zusammen zu leben. Hier beginnt der Vater erstmals wieder Initiative zu zeigen, als er sich um die suizidgefährdete Júlia kümmert, während sich Marta in einer Hütte am Meer verbarrikadiert. In zweierlei Hinsicht porträtiert Teresa Villaverde ihr Land Portugal als geschlossene und gestörte Gesellschaft.
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Colo | (C) Alce Films
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Stefan Bock - 17. Februar 2017 ID 9844
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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