PANORAMA
Genesis / Marilyn
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Zwei gesellschaftskritsiche Dramen mit einem Bekenntnis zu humanen Grundsätzen zeigen die Bandbreite an Stilen im Panorama-Programm. Der ungarische Film Genesis ist so ein typisches, komplex gestricktes Drama, auf das man sich als ZuschauerIn einlassen muss, um zumindest einen intellektuellen, geschweige denn emotionalen Gewinn daraus zu ziehen. Denn im Grunde erzählt Regisseur Árpád Bogdán nicht einen Film, sondern drei unterschiedliche Episoden, die miteinander verwoben sind. Fixpunkt aller gezeigten Schicksale – das eines kleinen Jungen, das einer jungen Frau und das einer Anwältin Anfang 30 – ist ein Überfall von rechtsradikalen auf eine Roma-Siedlung in der ungarischen Provinz.
Der Anschlag wird ganz aus der Perspektive des neunjährigen Ricsi (aufregend: Milán Csordás) geschildert, der seine Mutter verliert und daher zu seinen Großeltern bzw. in ein Heim kommt. Dort setzen sich die Anfeindungen fort, die ihn beinahe zu einer eigenen Bluttat verleiten. In der zweiten Story liegt eine schwerhörige Schülerin, die eine begabte Athletin im Bogenschießen ist, mit ihrer Mutter im permanenten Streit. Virág (Enikő Anna Illési) sucht deshalb Halt in der Beziehung zu einem hundezüchtenden, etwas älteren Mann, der allerdings sehr zwiespältige Kontakte zu rechten Kreisen unterhält. Als diese Verbindung zu einer Frage von Leben und Tod wird, muss sich Hanna als starke Persönlichkeit – und Bogenschützin – beweisen.
In der dritten und letzten Episode muss die junge, aufstrebende Anwältin Hanna (Anna Marie Cseh) die Verteidigung des verhafteten Freundes von Virág übernehmen, was für sie auch emotional eine Herausforderung ist. Dass der Angeklagte mit dem ungarischen Verfassungsschutz zu tun hatte, spielt dabei eine Rolle, ebenso aber die persönliche Familiengeschichte Hannas. Sie muss sich wie die beiden anderen Protagonisten entscheiden, welche Prioritäten sie wählt und welchen Weg sie langfristig einschlagen möchte, um ein besseres Leben als das bisherige zu führen.
Die Geschichten hat Árpád Bogdán außerordentlich geschickt miteinander verwoben, was für einige Überraschungsmomente sorgt. Doch bis es soweit ist, sorgt die sperrige, zum Teil länger als nötig schlingernde Dramaturgie für emotionale Distanz. Auch die artifizielle Art der Kameraführung trägt nicht zu einer starken Suggestivität bei, die bei diesem Thema gerechtfertigt, ja, sogar nötig gewesen wäre. Die starken Schauspieler und etliche gelungene Einzelszenen tragen aber dazu bei, dass der Film sehenswert ist.
Bewertung:
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Genesis | (C) Genesis Production
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Das Wort Schwulendrama wirkt inzwischen fast banal und aufgebraucht. Aber solange Homosexualität in vielen Ländern der Erde gesellschaftlich missbilligt oder gar politisch verfolgt wird, finden sich Filme im Programm des Panoramas, die dieses Etikett mit Recht tragen. Der nicht uninteressante argentinische Beitrag des Regisseurs Martín Rodríguez Redondo [Marilyn] bietet thematisch-dramaturgisch leider überhaupt nichts Neues, nur der Schauplatz ist noch nicht so abgenudelt: Provinz als Ort geistiger Enge ist überall schrecklich, so auch in Argentinien. Dort lebt der junge Marcos (eine Entdeckung: Walter Rodríguez) mit seiner Familie, die traditionelle Ansichten pflegt und ein entbehrungsreiches Landleben führt.
Marcos schafft sich im Alltag immer wieder kleine Inseln der Freiheit: Er schminkt sich heimlich sein fast noch kindliches Gesicht oder schlüpft hinter verschlossener Tür in bunte Kleider, die er offenkundig nicht nur für den bevorstehenden Karneval ausprobiert. Wenn er seiner femininen Seite nachgeben kann, wird der schüchterne, fast keine Silbe sprechende Marcos ein anderer Mensch, der zu Sambaklängen so gekonnt die Hüften kreisen lässt, dass akute Verwechslungsgefahr mit dem anderen Geschlecht besteht. Leider muss Marcos erleben, dass die anderen schwulen Männer im Dorf ihre Neigungen nicht offen zeigen, sondern allenfalls an ihm als Schwächsten gewaltsam ausleben, ohne eine Spur von Reue zu empfinden. So wird Marcos zu einer Art sexuellem Freiwild, der auch noch erleben muss, dass sein Vater eines Tages einfach tot umfällt, ohne dass er das Erbe juristisch einwandfrei geregelt hätte. Viele Konflikte kommen also zusammen, bei denen Marcos erleben muss, dass von ihm verlangt wird, seine Sexualität zu verleugnen und zu verheimlichen, so wie seine Familie sich verleugnet und versteckt, als die fehlenden Papiere und Dokumente zum Problem werden.
Zum Schluss gibt es dann noch einen überraschenden Knalleffekt. Das ist aber bei knapp 85 Minuten viel zu wenig Dramatik, vor allem, wenn man über die Jahre im BERLINALE-Panorama solche ähnlichen Dramen dutzend- bis hundertfach gesehen hat. Schade.
Bewertung:
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Marilyn | (C) Berlinale
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Max-Peter Heyne - 23. Februar 2018 ID 10545
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de
Post an Max-Peter Heyne
BERLINALE
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