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BERLINALE 2018

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The Silence Of Others



Spanien, das sonnenverwöhnte Land, in dem Millionen von Deutsche ihren Urlaub verbringen, das auf vielfältige Weise in die Europäische Union und andere internationale Organisationen eingebunden ist und also deren rechtsstaatliche und humanistische Ziele offiziell mitträgt, hat seit dem Tod des Diktators Francisco Franco 1975 ein Problem: Keine demokratisch gewählte Regierung hat seitdem die Verbrechen der spanischen Faschisten umfassend aufzuklären oder die noch lebenden Opfer und Hinterbliebenen von Opfern von Bürgerkrieg und Diktatur zu entschädigen versucht. Im Gegenteil: Es wird aktiv Verdrängung und Verharmlosung betrieben; die meisten Repräsentanten des Staates (und vielleicht auch der Bürger) wollen die Verbrechen lieber auf den Müllhaufen der Geschichte werfen.

Ohne hochnäsig klingen zu wollen: Gemessen an dem Wirbel, den z.B. die Affären um den ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim oder den ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger und ihre Rolle während des Nationalsozialismus (zu Recht) verursacht haben, geschah in Spanien beschämend wenig. Sogar Straßen und Plätze in Madrid und anderen spanischen Städten, die man nach Franco und kriegsverbrecherischen Generälen benannte, wurden erst vor wenigen Jahren umbenannt.

Die Abstimmung im zuständigen Ausschuss des spanischen Parlamentes über diesen symbolischen Akt – den die regierende konservative Partei ablehnte – ist eine der vielen bewegenden Szenen des Dokumentarfilms The Silence of Others (Das Schweigen der Anderen) des Regieduos Almudena Carracedo (Spanien/USA) und Robert Baha (USA). Die Filmschaffenden haben sechs Jahre lang eine Gruppe spanischer Bürgerrechtler und Opferverbände bei ihrem Kampf gegen die Verdrängung und für Aufklärung und Gerechtigkeit mit der Kamera begleitet. Der Kampf wurde lange mit ungleichen Mitteln geführt, da die spanischen Justizbehörden und politische Institutionen Klagen wegen der Gräueltaten, die während des Franco-Regimes begangen wurden, nicht akzeptiert und bearbeitet haben.

Die Menschenrechtsanwälte mussten buchstäblich lange Umwege in Kauf nehmen, um doch noch Gerichtsverfahren gegen die noch lebenden Folterer und Generäle anzustrengen, die sich in Spanien wegen Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig machten: Sie wandten sich an eine argentinische Staatsanwältin. Denn Menschenrechtsverletzungen im Sinne der Vereinten Nationen können in jedem Land, das sich der UN-Menschenrechtserklärung angeschlossen hat, geahndet werden. So entstand vor einigen Jahren die höchst absurde Situation, dass Staatsanwälte in den ehemaligen südamerikanischen Diktaturen wie Argentinien und Chile Klagen spanischer Bürger juristisch bearbeiten, die in Spanien selbst ignoriert wurden bzw. werden.

Die umstrittenen Amnestiegesetze, die nach dem Ende der Diktaturen – auch in Spanien – parlamentarisch beschlossen wurden, haben letztlich nur den Folterern und Mördern genutzt, weswegen sie in Südamerika schon vor Jahren wieder abgeschafft wurden. Nur das EU-Land Spanien lässt die Mörder in seinen Reihen (und damit sind leider auch die Reihen im Parlament und in Behörden gemeint) lieber ungeschoren davonkommen – die Amnestie von 1977 gilt weiterhin.

Der eindrucksvolle Dokumentarfilm über das große Schweigen innerhalb der spanischen Gesellschaft zeigt mutige Bürgerrechtler, die teils selbst in Francos Gefängnissen gefoltert wurden, aber sich trotz schwerster erlittener Traumata nicht zu blindem Zorn haben hinreißen lassen, sondern auf geschichtliche Aufklärung setzen. Einige der sehr alten Bürger, deren Väter und Mütter während des spanischen Bürgerkrieges von Faschisten exekutiert oder ins Gefängnis geworfen wurden, sind über den juristisch-bürokratischen Hürdenlauf und die Dreharbeiten hinweggestorben.

Ein paar Ziele der Bürgerrechtler konnten erreicht werden, zeigen die Regisseure: Massengräber wurden ausgehoben, und sterbliche Überreste konnten den Namen der Ermordeten zugeordnet werden. Einige Folterer sind von Argentinien aus wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt worden. Plätze, die dem „großen Führer“ gewidmet waren, wurden umbenannt. Die Hartnäckigkeit der Beteiligten, die ihre Bewegung vom Küchentisch aus in Gang gebracht haben, wurde also zum Teil belohnt.

Dennoch bleibt die Verdrängung der Untaten und der geschichtlichen Fakten eine schwärende Wunde innerhalb der spanischen Gesellschaft, die mehrheitlich nur die Zukunft im Blick hat, die ohne geschichtlichen Ballast und Vergangenheitsbewältigung scheinbar besser aussieht. Das gesammelte Material – insbesondere jene Szenen, in denen es um die Verbrechen und die Massengräber geht – erzeugt viele intensive emotionale Momente, die zu Tränen rühren. Fassungslos fragt sich insbesondere ein deutscher Zuschauer, wie es einer offen faschistischen, antidemokratischen Partei bzw. Bewegung gestattet ist, in der spanischen Hauptstadt an markanter Stelle Aufmärsche zu veranstalten, bei denen per faschistischem Gruß unverhohlen dem verstorbenen Diktator gehuldigt wird (2016!).

Ich vermute, die Verdrängung hat sehr viel mit Scham zu tun – schließlich musste der Diktator erst sterben; aus eigenem Antrieb konnten die Spanier ihn nicht loswerden. Ein packender, aufwühlender Film, den Starregisseur Pedro Almodovar mit produziert hat und der in Spanien hoffentlich weitere Debatten um den Umgang mit der Landesgeschichte auslösen wird.

Bewertung:    



The Silence Of Others | (C) Almudena Carracedo

Max-Peter Heyne - 19. Februar 2018
ID 10530
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinale.de


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