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72. BERLINALE

GENERATION

Comedy Queen


Bewertung:    



Die diesjährige Kinderjury hat eine exzellente Wahl getroffen und den Gläsernen Bären für einen sehr emotionalen, zu Herzen gehenden Jugendfilm vergeben: den schwedischen Spielfilm Comedy Queen der Regisseurin Sanna Lenken. Das hervorragend zwischen ernsten und heiteren Tönen ausbalancierte Drehbuch stammt von Linn Gottfridsson nach dem gleichnamigen Roman von Jenny Jägerfeld – der offensichtlich auch sehr lesenswert ist (Verlag Urachhaus).

Mit Verlusten kenne ich mich mehr aus als mir lieb ist - wie wohl jede*r von uns, der oder die gescheiterte Beziehungen überstehen musste und Eltern, Freunde oder Verwandte verloren hat. Aber der Verlust eines Elternteils als Kind oder Jugendlicher muss ein besonders harter Schlag sein, dessen schwierige und langwierige Verarbeitung ich höchstens erahnen kann. Im Film betrifft das die 13-jährige Sascha, eigentlich ein humorvolles und fröhliches Mädchen (erstaunlich treffsicher gespielt von Sigrid Johnson): Ihre schwer erkrankte Mutter hat als Ausweg Suizid gewählt. Nun sind Sascha und ihr bisweilen etwas hilfloser, vom eigenen Kummer überforderter Vater (Oscar Töringe) auf sich allein gestellt. Immerhin hat Sascha noch eine liebe Oma und eine beste Freundin, Märta (Ellen Taure).

Die Drehbuchautorin Gottfridson erzählt sehr sensibel und authentisch von den Phasen des Schmerzes und der Rebellion gegen das Schicksal aus jugendlicher Perspektive: Da gibt es bei Sascha plötzliche Launen, die ihr hinterher leidtun, sich spontan entladende Aggressionen, die alle treffen, die Sascha dumm kommen, aber ungerechterweise auch die verständnisvollen Ansprechpartner Vater und Freundin treffen. Da wechselt bei Sascha der Wunsch nach Alleinsein und Abkehr von dem Rest der Welt mit der Angst, mit dem gramgebeugten Vater allein zu sein. Denn dass der immer wieder heimlich weint und keine Lebensfreude mehr ausstrahlt betrübt Sascha am meisten. Da ist aber auch ein verquerer Neid im Spiel, denn Sascha sagt: „Mama, du hast immer geweint. Und dann bist du gestorben. Jetzt weinen alle anderen. Außer mir. Ich weigere mich zu weinen. Ich will nicht wie du sein. Ich will nicht depressiv sein und sterben.“


In Folge rebellischen, kompromisslosen Eigensinns, wie er für Pubertierende typisch ist, konstruiert sich Sascha eine Liste von Lebenszielen zusammen, die ihr allerdings eher noch mehr Mühe bereiten als das Überleben mit dem Verlust ohnehin schon: sich die langen Haare abzuschneiden nimmt die Umwelt noch als Marotte hin, aber zweitens überhaupt keine Bücher mehr zu lesen und drittens sich niemals mehr um ein lebendiges Wesen zu kümmern ist schon ein ambitioniertes Programm.

Der Film beschreibt schließlich den mutigsten Schritt, den sich Sascha vornimmt: nämlich eine Comedy Queen auf einer Standup-Bühne zu werden, um den Vater wieder zum Lachen zu bringen. Denn Menschen zum Lachen zu bringen ist bekanntermaßen eine der schwersten Künste, erst recht, wenn man erst 13 Jahre ist und von der Welt der Erwachsenen nur einen ungefähren Ausschnitt kennt – woher soll eine Schnittmenge kommen, die das ältere Publikum auch lustig findet?

Sanna Lenkens Film ist eine gekonnt an jugendlichen Interessen und Emotionen entlanginszenierte Tragikomödie. Wichtige dramaturgische Regeln – die Heldin muss Mut fassen, um ihre inneren Widerstände und einige äußere Hindernisse zu überwinden, um ihr Ziel zu erreichen und letztlich auch zu sich selbst zu finden – werden im besten Sinne beherzigt und runden sich zu einer nachdenklichen, aber optimistischen und lebensbejahenden Story.



Comedy Queen von Sanna Lenken | (C) Johan Paulin

Max-Peter Heyne - 18. Februar 2022 (2)
ID 13469
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de


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