BERLINALE SPECIAL
Good Luck To You Leo Grande
The Outfit
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Bewertung:
Unter den Galavorführungen der diesjährigen BERLINALE, die pandemiebedingt auf dem Roten Teppich etwas weniger glamourös ausfallen müssen als sonst, befinden sich zwei intensive, spannende Kammerspiele, die fast ausschließlich in einem Raum spielen.
In der britischen Tragikomödie Good Luck To You, Leo Grande von Regisseurin (und Drehbuchautorin?) Sophie Hyde bestellt sich die generell, aber insbesondere sexuell frustrierte, pensionierte Lehrerin Nacy (Emma Thompson) den jungen, durchtrainierten Callboy Leo Grande auf ihr Zimmer. Nancy, die in ihrem Leben nur mit ihrem verstorbenen Ehemann Sex hatte und noch nie in den Genuss eines Orgasmus hatte, ist hypernervös. Der routinierte Leo Grande versucht einigermaßen erfolgreich, Nancy die Angst zu nehmen und muss dazu nicht einmal auf allzu viel Alkohol zurückgreifen. Stattdessen erweist sich der muskulöse Beau als eloquenter, um keine zielgerichteten Worte und Gesten verlegene Verführungsprofi. Und der elegante Daryl McCormack ist dafür eine Idealbesetzung, der an der Seite der wie immer brillanten Emma Thompson ein beachtliches Repertoire darstellerischer Nuancen abfeuern kann.
Natürlich bleibt es in einem um Mehrwert zielenden Film wie diesem zwischen der altjüngferlichen Klientin und ihrem smarten Lover nicht bei oberflächlichem Geplänkel und Gevögel – das mit größtmöglicher Delikatesse ausgeklammert wird. In insgesamt vier Begegnungen muss vor allem Nancy eine neue Leichtigkeit und Offenheit erlernen, die sich gleichsam zwangsläufig durch die Intimität ergibt.
Leider neigt sie dabei schnell zur Übertreibung und drängt Leo in eine defensive Position. So bedarf es bei beiden zu einem gehörigen Sprung über den eigenen Schatten, um das anfangs mit viel Respekt gesättigte Zusammentreffen nicht in Bitternis eskalieren zu lassen. Und natürlich offenbart sich das ungleiche Gespann das eine oder andere Geheimnis, das ihnen neue Perspektiven auf ihr Leben schenkt.
Dass diese Entwicklung von den Zuschauer*innen früh vorausgesehen wird, trübt weder das Vergnügen an den pointierten, mit englischem Witz gewürzten Dialogen, noch den schauspielerischen Leistungen. Beides ist absolut kinotauglich und wird von der konzentrierten Regie Sophie Hydes unterstützt, die die unglückliche, von ihren Emotionen entfremdete Nancy trotz ihrer Schrullen zu einer wirkungsvollen Identifikationsfigur für das Publikum aufbaut.
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Good Luck To You Leo Grand von Sophie Hyde | (C) Nick Wall
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Winter 1956 in Chicago: Al Capone ist zwar schon einige Jahre tot, aber sein Erbe – der Kampf verschiedener mafiöser Familien um den größten Einfluss auf das organisierte Verbrechen – lebt weiter. Ausgerechnet der aus London emigrierte Schneider von Maßanzügen Leonard (brillant: Mark Rylance) gerät eines Tages zwischen die Fronten, obwohl er die feste Absicht hat, sich aus den Machenschaften seiner Klientel, die nur rein äußerlich wie Gentlemen wirken, herauszuhalten.
Erstaunlicherweise basiert die an überraschenden Wendungen reiche und daher stets kurzweilige Geschichte nicht auf einem Theaterstück wie zum Beispiel der ähnlich konstruierte Spielfilm American Buffalo mit Dustin Hofmann von 1996, der fast nur in einem Geschäft während eines Tages und abends spielt. Auch in The Outfit wechselt der Schauplatz nicht, die wenigen Charaktere betreten und verlassen die Schneiderwerkstatt Leonards, genannt "Mr. English" und liefern sich zunehmend dramatische Dialoge, d.h. auch wesentliche Handlungsmomente sind nicht zu sehen. Es wird lediglich darüber gesprochen.
Die reduzierte Action ist kein Manko, denn die steigende Intensität des Katz-und-Maus-Spiels zwischen dem Maßschneider, seiner Assistentin (Zoey Deutch) und seiner Mafia-Kundschaft benötigt diese Elemente nicht, die heutzutage in Krimis und Thrillern oft unnötig dominieren. Regisseur Graham Moore, der sich auf sein kleines, großartiges Ensemble verlassen kann – allen voran ein meisterlich konzentrierter Mark Rylance – setzt die Story-Twists effektiv ein und steigernd kontinuierlich die Spannung.
Selbst wer einige der Entwicklungen antizipiert, wird bis zum Schluss überrascht werden, da auch die sympathischen, scheinbar harmlosen Figuren beinahe buchstäblich noch Leichen im Keller haben. Natürlich sieht man dem Film sein vergleichsweise geringes Budget an, der das Chicago der 50er Jahre fast nur über Kostüme und die Sprechweisen vermitteln kann. Doch die teils flirrende Spannung, die sich aus der Frage ergibt, wie es dem Maßschneider gelingen kann, sich und seine junge Assistentin aus der Bedrohung durch die in einen Bandenkrieg geratene Mafiafamilie herauszuwinden, trägt den Film.
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The Outfit von Graham Moore | (C) Nick Wall / Focus Features
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Max-Peter Heyne - 16. Februar 2022 ID 13461
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de
Post an Max-Peter Heyne
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