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72. BERLINALE

ERÖFFNUNG | WETTBEWERB

Peter von Kant


Bewertung:    



Es ist wieder BERLINALE. Und das ist gut so. Jede Diskussion darüber, ob es verantwortbar ist, inmitten der Omikronwelle ein Filmfestival abzuhalten, wirkt fast schon abstrus angesichts offener Shoppingmalls, die man fast wieder unkontrolliert besuchen darf. Kinos und Theater sind in Deutschland größtenteils im 2G+-Modus besuchbar. Warum sollte also ein gemeinsames Kinoerlebnis unter dem doch sehr restriktiven Hygienekonzept der BERLINALE nicht möglich sein? Man muss nicht Kulturstaatsministerin sein, um sich das nicht nehmen lassen zu wollen. Ein Zeichen für die Kultur.

*

Ein wenig Glamour vergangener Tage will der französische Regisseur François Ozon mit seiner Fassbinder-Hommage Peter von Kant an den Potsdamer Platz bringen. Sein Film nach dem Klassiker Die bitteren Tränen der Petra von Kant von Rainer Werner Fassbinder eröffnete 50 Jahre nach dessen BERLINALE-Premiere am Donnerstag den Wettbewerb des diesjährige Filmfestival, das etwas verkürzt mit der Preisverleihung bereits am 16. Februar wieder endet und bis 20. Februar noch Wiederholungen aus dem BERLINALE-Programm für das Berliner Publikum bietet.

Ozon ist mittlerweile selbst ein BERLINALE-Klassiker. Für 8 Frauen (2002) und Gelobt sei Gott (2019) heimste der Regisseur Silberne Bären ein. 2012 leitet er sogar die Wettbewerbsjury. Fassbinder ist Ozons großes Vorbild. Mit der Verfilmung von dessen Theaterstück Tropfen auf heiße Steine war Ozon im Jahr 2000 erstmals im Wettbewerb der BERLINALE zu Gast. Nun also Fassbinders wohl persönlichster Film, in dem er sich als nach Liebe gierende Modeschöpferin Petra von Kant selbst in Szene setzte. Margit Carstensen übernahm die Hauptrolle. Hanna Schygulla spielte mit dem jungen Model Karin das Objekt der Begierde. Mit Irm Hermann als stummer Sekretärin Marlene und Eva Mattes als Tochter Gabriele standen zwei weitere große Fassbinder-Darstellerinnen vor der Kamera.

Auch Ozon hat für sein Remake zwei Stars aufzubieten. Neben der französischen Film-Ikone Isabelle Adjani (u.a. in Ein mörderischer Sommer, Camille Claudel) als Sidonie tritt Hanna Schygulla in der Rolle der Mutter von Kant auf. Mehr Verbeugung vor Fassbinder und seiner ehemaligen Muse geht kaum. Und auch sonst schwelgt der Film in jeder Menge Fassbinder-Zitaten. Ozon hat sich aber erlaubt die Rollen der Petra von Kant, Karin und Marlene männlich zu besetzen, was wohl auch dem Geschlecht der echten Personen aus Fassbinders damaligem Umfeld entspricht. Denis Ménochet ist als Filmregisseur Peter von Kant klar als Fassbinder erkennbar. Er säuft und kokst wie das Original und sieht ihm auch sonst recht ähnlich. Das allein macht natürlich noch keinen Film. Das Biopic zu Fassbinder von Oskar Roehler hatten wir ja gerade erst Ende 2020 gesehen. Ozon geht es mehr um eine Persönlichkeitsstudie möglichst nah an Fassbinder als Mensch im Widerspruch zwischen künstlerischem Anspruch und privater Obsession, was bei Fassbinder kaum trennbar ist.

Khalil Gharbia spielt den jungen Nordafrikaner Amir, der auch bei Ozon in Australien verheirate ist, aber Glück und Karriere in Deutschland sucht. Ozon belässt den Plot in den 1970er Jahren. Der Film spielt in einer Kölner Luxus-Wohnung, die wie im Original mit Nicolas Poussins Gemälde Midas und Bacchus tapeziert ist. Später, als Peter von Kant dem schönen Bacchus Amir verfallen ist, schmücken auch dessen Portraits die Wände und ein Filmplakat mit dem Titel "Tod ist kälter als Liebe", eine Abwandlung des Fassbinder-Films Liebe ist kälter als der Tod. Zu Kognak und Gin-Tonic wird wie im Original Prost gesagt, und zu Beginn tanzen Peter und sein still leidender Assistent Karl (Stéfan Crépon) zu einer deutschen Version von Each Man Kills the Thing He Loves. Ein Chanson von Peer Raben nach dem Gedicht von Oscar Wilde, das Jeanne Moreau im Fassbinder-Film Querelle sang. Im Hintergrund laufen Verhandlungen mit der Bavaria, und Peter von Kant lässt Karl einen Brief an Romy Schneider schreiben, die tatsächlich mal für die Hauptrolle in Fassbinders Die Ehe der Maria Braun vorgesehen war. So reiht sich ein Insider-Joke an den anderen.

Ansonsten bleibt Ozon ziemlich nah am Text des Fassbinder-Films. Darstellerisch ist es durchaus ein Vergnügen dem Ensemble bei dieser Stilübung zuzusehen. Statt überstilisierter Künstlichkeit eines Fassbinders gibt es hier aber auch ironische Anklänge, die den Film mehr und mehr ins tragikomische Fach ziehen. Ménochet überagiert doch etwas und hat in der Adjani eine entsprechende Partnerin. Kunst, Schönheit, Liebe, Eifersucht und Leid, all das gibt es auch in Ozons Fassbinder-Persiflage, in der Peter von Kant an seinem Geburtstag im Liebeskummer-Suff die versammelte Familie mit ungeschönten Wahrheiten vor den Kopf stößt und die Wohnungseinrichtung zerlegt. Hanna Schygullas Auftritt als liebende Mutter, die ihrem Sohn ein Schlafliedchen zur Beruhigung singt, kann das Ganze aber auch nicht mehr wirklich retten. Die künstliche Kälte, die Fassbinder seinen Figuren verordnete, rutscht hier mehr in einen französischen Plauderton.

Wer hier wen ausnutzt, verschwimmt in der Beziehung des aufstrebenden Jungdarstellers Amir zum erfolgreichen Filmregisseur Peter. In einer Art Casting-Szene, in der Amir von seiner Kindheit und dem Tod der Eltern erzählt, hält der Regisseur mit der Kamera nah auf die allzu schnell fließenden Tränen des jungen Manns. Aber die ambivalenten Machtspiele in Fassbinders Film ähneln durchaus heutigen Missbrauchsfällen von Abhängigen in der Film- und Theaterbranche. Ozon vertieft das jedoch nicht weiter, außer man misst dem etwas drastischen Auszug der im Original eigentlich masochistisch veranlagten Figur des Karl, dessen Augen allein Bände sprechen, mehr Bedeutung bei.



Peter von Kant | (C) C. Bethuel - FOZ


Stefan Bock - 12. Februar 2022
ID 13454
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de


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