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BERLINALE

Alles auf Anfang

Eine Bilanz der 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin



Was war der überzeugendste Film der 73. BERLINALE? Der weiße Hai! Kleiner Scherz – der 1976er Klassiker lief als Teil der Retrospektive mit Filmen des diesjährigen Ehrengastes und Ehrenbär-Gewinners Steven Spielberg. Dennoch darf die Frage erlaubt sein, ob von dem, was die inzwischen fast zu alter Größe angeschwollene BERLINALE in 2023 in ihren immerhin zwölf Sektionen geboten hat, wenigstens ein oder zwei Filme das Jaws-Format haben, dass man sich ihrer noch in 25 oder gar 40 oder 50 Jahren erinnert.

Als jemand, der fast 40 Jahre BERLINALE auf dem Buckel hat, schaue ich immer selektiver, und leider ist mir kein Knallerfilm vergönnt gewesen (von denen es in 40 Jahren durchaus einige gab). Aber auch die Kolleginnen und Kollegen, denen ich zufällig begegnet bin, konnten keinen herausragenden Film benennen: Es fühlte sich eher so an wie bei mittelgroßen Festivals, die inzwischen in jeder Ecke der Republik durchgezogen werden: Vieles mit Potential, vieles mit wichtigen Botschaften, vieles, was gut gemeint ist, einige Entdeckungen, aber nichts, das zugleich provozierte und überzeugte. (Am ehesten gelang dies dem temporeichen, authentischen Ghetto-Drama aus deutscher Produktion, Sonne und Beton - Besprechung zum Kinostart folgt).

Eine positive Ergänzung muss gerechterweise erwähnt werden: Wenn etwas herausstach, dann waren es Dokumentarfilme. Insofern nur gerecht, dass auch eine Doku (nun schon zum 3. Mal) den Goldenen Bären gewonnen hat. Dass sich im riesigen Angebot der BERLINALE – rein quantitativ das größte Filmfestival des Globus – immer Beiträge finden, die für Gesprächsstoff sorgen, war diesmal auch wieder so: Sean Penns Ukraine-Doku Superpower zum Beispiel – sicher ein Film mit vielen Schwächen, trotzdem gut, dass er vor dem Jahrestag des Angriffskrieges in Berlin eine Rampe fand. Schön auch, dass nach zwei ausgezehrten BERLINALE-Ausgaben wieder persönliche Treffen möglich waren, ausgelassen gefeiert wurde und viele Weltstars wie Helen Mirren, Cate Blanchett, Anne Hathaway, John Malkovich, Willem Dafoe und sogar der wiederauferstandene Boris Becker den Weg nach Berlin fanden.

Der Veteran Steven Spielberg, der über Jahrzehnte das effektvolle, weltweit publikumswirksame US-Kino verkörperte, wirkte im Kontext der Masse an anspruchsvollen Arthausfilmen der BERLINALE wie ein hineingeschmuggelter Dinosaurier aus dem Paläolithikum des Kinos. Seine Nachfolger werden angesichts der steigenden ökonomischen Bedeutung der Streaming-Plattformen eine solche Morgenröte des Mediums Kinofilm nicht mehr erleben und bedienen können.

Die BERLINALE unter Festivalmanagerin Mariette Rissenbeek und der künstlerische Leiter Carlo Chatrian steuert tapfer dagegen und zelebriert das Kollektiverlebnis Kinobesuch. Allein, Chatrian scheint vor der kommerziellen, rentablen Seite des Mediums eine gewisse Scheu zu haben (oder eine Zurückhaltung zu leben), denn alles, was nur den Hauch eines mass appeals aufwies, wurde konsequent aus dem Wettbewerb in die Sektion „Specials“ verschoben. Man ist versucht zu sagen, gandenlos.

Malkovich als hochnäsiger Philosoph der Antike, den ein brutaler Nachwuchsdiktator den Selbstmord aufnötigt (der in einer quälend langen Sequenz nicht gelingt – Triggerwarnung!) und Helen Mirren als streitbare ehemalige israelische Ministerpräsidentin sind nun nicht gerade Massengeschmack. Auch Seneca und Golda zielen auf ein intellektuelles Liebhaber-Publikum. Aber scheinbar reichen große Namen und ein schlagkräftiger Weltvertrieb aus, dass diese Filme keine Bärenchancen bekommen.

Es scheint, als umgebe sich Chatrian lieber mit Veteranen und Veteraninnen des Kinofilms, deren große Zeit erkennbar vorbei ist (Margarethe von Trotta, Philippe Garrel u.a.) oder filmischen Entdeckungen, die leider ohne besondere dramaturgische Höhepunkte auskommen (wie z.B. der chinesische Animationsfilm Art College 1994, der als nette Geschichte im Studentenmilieu immerhin Humor aufwies, aber im Vergleich mit dem ebenfalls animierten Drama La Sirène im Panorama, der von Menschen im iranisch-irakischen Krieg der 80er Jahre erzählt, belanglos anmutete.

Der zerfledderte, um etliche Lokalitäten reduzierte Potsdamer Platz steht auch nicht gerade auf der Habenseite. Zugegeben, klingt nach Luxusproblem, aber der Atmosphäre eines Neuaufbruchs war das ausgedehnte Hin- und Hergewusel im winterlichen Berliner Sturm wenig zuträglich. Der Platz, das Leben und die BERLINALE sind eine Baustelle – letztere allerdings zurzeit ein bisschen mehr als sonst.



Begegnungen auf der 73. BERLINALE | Foto: Max-Peter Heyne

Max-Peter Heyne - 28. Februar 2023 (4)
ID 14074
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de


Post an Max-Peter Heyne

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