WETTBEWERB
Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste
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Bewertung:
Ingeborg Bachmann und Max Frisch gelten als das Liebespaar der deutschsprachigen Literatur, und trotzdem könnten die beiden unterschiedlicher kaum sein. Die österreichische Lyrikerin ist Mitte der 1950 Jahre der weibliche Star des deutschen Literaturbetriebs und schafft es sogar auf die Titelseite des Spiegels, was dem Schweizer Dramatiker und Schriftsteller Max Frisch schon ein Jahr vor ihr gelang. Er wird aufmerksam auf sie nach der Veröffentlichung des 1958 entstanden Hörspiels Der gute Gott von Manhattan und lädt sie zu einem Treffen nach Paris ein, wo sein Theaterstück Biedermann und die Brandstifter aufgeführt wird. Statt zur Premiere zu gehen, ziehen sie einen Abend durch Pariser Lokale. Ein Treffen auf Augenhöge möchte man meinen. Der Film Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste von Margarethe von Trotta belehrt einen eines Besseren.
Mit diesem Film ist Margarethe von Trotta nach 40 Jahren mal wieder im Wettbewerb der BERLINALE. Filme über Ingeborg Bachmann und Max Frisch gab es auf der Berlinale auch schon zu sehen. 2016 lief im Forum Die Geträumten, eine Verfilmung des Briefwechsels von Ingeborg Bachmann und Paul Celan durch die österreichische Regisseurin Ruth Beckermann. 2017 zeigte Volker Schlöndorff im Wettbewerb den von Frischs autobiografischer Novelle Montauk inspirierten Spielfilm Return to Montauk. In Montauk nahm Frisch auch Bezug auf die Beziehung zu Ingeborg Bachmann. Der Briefwechsel der beiden ist im Herbst 2022 erstmals erschienen. Er lag der Regisseurin für ihren Film noch nicht vor. Nur der Briefwechsel mit Celan, mit dem Bachmann ebenfalls eine tragische Liebesbeziehung verband, und der mit dem befreundeten Komponisten Hans Werner Henze, der Frisch schon mal einen Schweizer Biedermann nannte. So warnt Henze (Basil Eidenbenz) die Bachmann auch im Film vor Frisch, als sie dem guten Freund von ihrer Verliebtheit berichtet.
Die Hauptrollen sind besetzt mit Vicky Krieps, die 2022 in Marie Kreutzers feministischem Film Corsage als österreichische Kaiserin Sisi brillierte, und Ronald Zehrfeld, der sich für die Rolle einen mächtigen Bauch zugelegt hat. Mit Brille, Pfeife und auch in der Gestik ist er ganz Max Frisch. Ein Mann, der mit einem Finger auf die Schreibmaschine einhämmert, als gelte es das Gerät zu besiegen. Die Bachmann lebt da schon mit Frisch in dessen Zürcher Haus und ist genervt von seiner lautstarken Produktivität, während sie unter einer Schreibblockade leidet. Da gibt oft ein Wort das andere. Bei zwei so starken Künstler-Egos kann keines zurückstecken. Bachmann sehnt sich nach ihrer Herzensstadt Rom, wo sie mit Henze an der gemeinsamen Oper Der Prinz von Homburg, arbeitet. Frisch möchte lieber mal was Vernünftiges zum Abendessen und ist auch sonst nicht mehr so galant wie beim ersten Treffen in Paris. Dennoch setzt sich die Bachmann durch und schleppt den zunehmend Eifersüchtigen nach Rom und verpasst ihm sogar einen hellen Leinen-Anzug.
Gerahmt wird der Film durch eine Reise Ingeborg Bachmanns mit dem jungen österreichischen Schriftsteller Adolf Opel (Tobias Resch) nach Ägypten, wo sie hofft in der Wüste ihre Depression nach der gescheiterten Beziehung zu Frisch zu überwinden. Hier lebt die Bachmann auch immer mehr auf. Lässt sich in den Wüstensand eingraben, um die Enge und anschließende Befreiung zu spüren, flirtet mit jungen Arabern und genießt eine Liebesnacht mit gleich drei Männern. Dem gegenüber stehen Albträume von Frisch als höhnisch ins Telefon Lachendem und bissigem Hund Max. Das sind Zitate aus den sogenannten Traumnotaten der Bachmann, 2017 erschienen im ersten Band der Gesamtausgabe ihrer Werke mit dem Titel Male oscuro - Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit.
Gemeint ist damit die Zeit nach dem Ende der Beziehung, die die Bachmann als persönliche Niederlage verbucht. Bereits in helleren Tagen in Rom taucht im Film die Nachfolgerin auf. Marlene (Luna Wedler), die spätere Frau Frischs. Da noch in Begleitung des jungen Tankred Dorst (Marc Limpach), der ein Stipendium der Villa Massimo hat und dringend schreiben muss. Bachmann bietet Frisch als Fremdenführer für die junge Frau an. Das deckt die These, sie hätte ihre Nachfolgerin selbst ausgewählt. Der Bruch ist hart. Die Bachmann verbrennt eines der Tagebücher von Frisch und wirft ihm vor, ein Vampir zu sein. Tatsächlich hat Frisch immer Privates zu Literatur verarbeitet. Bei der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden 1959 an die Bachmann kommt ihm Idee für den Roman Mein Name sei Gantenbein, in dem sich die Bachmann als Schauspielerin Lila wiedererkennt.
Der Film setzt hier noch eine Eifersuchtsszene Frischs mit Blumenstrauß drauf. Sie revanchiert sich später mit dem Roman Malina. „Es war Mord“ ist auch im Film das enttäuschte Fazit der Bachmann.
Ihre Tablettenabhängigkeit ist am Ende deutlich sichtbar. Vicky Krieps wirkt zunehmend blasser, manchmal fast weggetreten. Die Zigarette in der Hand immer kurz vorm Kippen. Ein Verweis auf das tragische Ende der Dichterin. Soweit kommt es im Film nicht. Frisch erscheint noch einmal am Krankenbett. Auch hier fragt er wieder nach den Blumen. Die Bachmann in der Rechtfertigungsschleife eines manisch Eifersüchtigen. Zu den römischen Affären der Dichterin schweigt sich der Film dezent aus. Von der Ausstattung her ist er aber ganz großes Kino. Ansonsten bleibt einem noch die Lust am Zitate-Raten. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Aber wirklich Neues erfährt man zum Scheitern dieser, wie man heute sagen würde, toxischen Beziehung nicht.
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Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste | (C) Wolfgang Ennenbach
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Stefan Bock - 23. Februar 2023 ID 14058
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de
Post an Stefan Bock
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