Rettet den
Dinosaurier!
Ein Fazit
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Die Vergabe der Bären durch die internationale Jury ist in diesem Jahr sehr gerecht und erwartbar ausgefallen (außer vielleicht der Preis für die beste Darstellerin an Undine Paula Beer). Lesen Sie das bitte unter u.g. URL nach – es gibt diesmal absolut nichts an den Entscheidungen auszusetzen, denn die Jury hatte auch gar keine andere, ernstzunehmende Wahl. Die Gesamtqualität des Wettbewerbs war auf so bescheidenem Niveau, dass Filme, die in vergangenen Jahren als „ganz okay“ durchgegangen wären, in diesem Jahr wie Perlen wirkten. Wie also lässt sich ein Fazit formulieren, dass nicht komplett wie nöliges Gemecker klingt? Vielleicht so:
Im 70. Jahr wandte sich die BERLINALE wieder verstärkt an Kritiker, nachdem es lange überwiegend als Publikumsfestival galt. Vor allem wohl an solche, die den angestrengt moralisierenden, radikal subjektiven, die Grenzen des Experimentalfilms überschreitenden Autorenfilm schätzen. Sei es aus nostalgischen Gründen, weil sie als Ü-60er damit sozialisiert wurden, oder sei es aus Überzeugung, weil sie sich zur letzten Bastion gegen die Exzesse der nunmehr digitalisierten Kulturindustrie zählen. Die parallel zum Festival stattfindende „Woche der Kritik“ hat im neuen künstlerischen Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian, jedenfalls keinen Antagonisten mehr, an dem sie sich abarbeiten kann. Manche der Wettbewerbsbeiträge wirkten mit ihrer Ablehnung dramaturgischer Konventionen wie mit einer Zeitmaschine aus den 1970er Jahren ins Heute katapultiert. Sogar jene, die sich trotz des allgegenwärtigen Trends zur Geschlechtergleichheit ein Faible für die ranzige, selbstbezogene Attitüde des chauvinistischen Männerkinos von früher bewahrt haben, kamen mit Filmen wie Le sel des armes und Siberia auf ihre Kosten.
Für Zuschauer, die sich im Kino gerne von klassisch erzählten Geschichten mit handlungstreibender Dramaturgie, kraftvollen Charakteren und vielleicht sogar Ironie oder Humor inspirieren oder verzaubern lassen, bot das Hauptprogramm hingegen wenig. Und wenn, wurde es als „Berlinale Special“, „Gala“ oder bei den „Series“ und im Panorama-Programm präsentiert, um den vom U-Faktor weitgehend desinfizierten Wettbewerb nicht mit dem epidemischen Virus der kommerziellen Verwertungsketten anzustecken. Ein Filmfestival muss die oft zum Mainstream tendierenden Interessen und Sehgewohnheiten eines jüngeren Publikums nicht zwanghaft bedienen, darf und soll auch sperrig inszenierte Filme mit randständigen Themen präsentieren. Doch erstens hat die BERLINALE abseits des Wettbewerbs dafür bereits eigene Reihen etabliert (es sei denn, das Forum würde abgeschafft), und zweitens müssen die ausgewählten Autorenfilme dann auch innovatives Potential entfalten und dürfen sich nicht in Obskurantismus und Banalitäten verlieren.
Das Skandalpotential z.B. von Schmuddelsex à la Bahnhofskino – hier innerhalb des mehrstündigen russischen Filmessays DAU. Natasha – wurde von den Medienvertretern kaum aufgegriffen, die auf den Treppen und in den Sitzen oft seltsam ungerührt wirkten. Das liegt hoffentlich nicht nur an der inzwischen doch schmerzhaft sichtbaren Überalterung bei den Presseakkreditierten, die mehr noch als andere Zielgruppen bereits jetzt auf eine barrierefreie BERLINALE angewiesen sind. Das ist keineswegs ironisch oder gar spöttisch gemeint, sondern verweist auf ein generelles Problem: Jüngere KritikerInnen werden schon deshalb immer weniger, weil sie im Printbereich nicht mehr gebraucht werden und über die digitalen Medien zu wenig verdienen. Ob ausgerechnet ein auf den Look und Feel der 1970er Jahre ausgerichteter Wettbewerb die jüngere Zielgruppe zu überzeugen vermag, für die schon normale Kinobesuche keine feste Gewohnheit mehr sind? Früher gab es für uns Filmverrückte nichts Aufregenderes und Schöneres als die BERLINALE. Manchmal beschlich den Rezensenten das ungute Gefühl, dass zunehmend jene Generation angelockt wird, die so alt wie die Berlinale selbst.
Dazu passte der Umstand, dass der Potsdamer Platz mehr denn je wie von einer Blase umhüllt schien, weil die meisten Läden und Lokale in der Umgebung wegen einer Neustrukturierung der Passage geschlossen waren. Manche Sektionen waren in die City West (Zoo) oder Ost (Alex) verlagert. Schon die Eröffnung ließ Aufbruchstimmung vermissen. Zu Samuel Finzis Auftritt passt das Bonmot, dass Confrencier oder Moderator nicht umsonst einen eigenen Beruf bezeichnet. Merkwürdig auch, dass auf Höflicheitsstandards verzichtet wurde: Die Filmteams durften sich lediglich beklatschen lassen, aber nicht auf der Bühne verbeugen oder das Publikum begrüßen. Blumensträuße wenigstens für die weiblichen Gäste? Fehlanzeige.
Vor allem wurden die bisherigen strukturellen Probleme der BERLINALE auch mit den Änderungen, die das neue Führungsteam durchgesetzt hatte, nicht gelöst, sondern noch verschärft: Die Profile der diversen Reihen konnten nicht geschärft werden. Viele Wettbewerbsfilme waren dem Inszenierungsstil nach eigentlich Forums-Beiträge bzw. vertrugen die riesige Leinwand nicht. Die neue Reihe mit ungewöhnlichen Nachwuchsfilmen „Encounters“ machte sowohl dem Forum, dem Panorama als auch dem Wettbewerb Konkurrenz. Die „Berlinale Specials“ waren fast durchgehend überzeugender als die meisten Wettbewerbsfilme, wurden also degradiert – selbst wenn es Weltpremieren waren, mit denen man nach Außen hätte glänzen können.
Die BERLINALE ist nach ihrem 70. Jubiläum eine größere Baustelle als vorher.
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Keveh Farnam, Baran Rasoulof und Farzad Pak (v.l.n.r.) bei der Preisverleihung des Goldenen Bären für den iranischen Episodenfilm Es gibt kein Böses | (C) Berlinale
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Max-Peter Heyne - 2. März 2020 ID 12050
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de/
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