Wenigstens Sex *)
war schön. Versuch
einer Bilanz
*) Sex von Dag Johan Haugerud lief als Weltpremiere in der Sektion "Panorama"
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Es ist bedauerlich und unfair, dass der scheidende künstlerische Leiter der Berliner Filmfestspiele Carlo Chatrian ganz am Ende der 74. Ausgabe noch mit einem vermeintlichen Skandal konfrontiert wurde, nämlich dass die Preisverleihung als Plattform für antisemitische Parolen missbraucht wurde. Inwieweit die coram publicum geäußerten Meinungen prämierter (!) Filmschaffender – die neben ihren israelischen bzw. vermutlich jüdischen Kollegen und Mitstreitern standen (!) – tatsächlich im strafrechtlichen Sinne hetzerisch und nicht nur übertrieben, einseitig oder falsch waren, will die Kulturstaatsministerin Claudia Roth nun aufklären. Ich erinnere mich nicht an Angriffe, die ganz allgemein Juden oder dem israelischen oder jüdischen Volk galten, sondern "nur" an harte Kritik an der israelischen Staatsführung, ihrem Militär und ihrer militärischen Spezialoperation in Gaza. Derlei Vorwürfe äußern selbst viele deutsche Politiker und stehen in Artikeln in angesehen Qualitätsmedien wie dem „Spiegel“.
Aber es ist gut, dass andere deutsche Politiker auf Differenzierungen und Vorsicht drängen, denn sie befürchten zu Recht, dass bei vielen Zuhörern und Zuhörerinnen sich das eine mit dem anderen unzulässig vermischt. Aber warum sollte die BERLINALE als Deutschlands größte Kulturveranstaltung von diesem gefährlichen, hochkomplexen Schlamassel verschont bleiben, wenn sich propalästinensische Demonstrationen, bei denen volksverhetzende Parolen fallen, derzeit fast täglich auf deutschen Straßen und Hochschulen abspielen?
Jedenfalls kann man dem oft glücklos agierenden Carlo Chatrian vieles vorwerfen. Aber Vorwürfe, dass die Festivalleitung Rassismus oder Antisemitismus dulden würde, sind Unsinn. Natürlich kann man ihm vorhalten, nicht sofort auf die Bühne gesprungen zu sein, als ein Regisseur mit Palästinensertuch dort auftauchte. Aber selbst einer Ministerin traut man so viel Spontaneität nicht zu – und sie tat es ja auch nicht.
Vielleicht erleichtern die ärgerlichen Misstöne Chatrian seine Demission, die von Claudia Roth vor ein paar Monaten nicht gerade mit Fingerspitzengefühl angeschoben wurde. Seine an Glanzlichtern armen Wettbewerbsprogramme und seine zurückhaltende Art mögen nicht überzeugt haben. Aber immerhin haben er und seine Ko-Direktorin Mariette Rissenbeek (Management, Finanzen) das Festival durch die sehr schwere Corona-Zeit geführt. Leider hat sich aber bestätigt, was viele Skeptiker bereits am Anfang vermutet haben: Die Doppelspitze der BERLINALE war nach der überwiegend schwungvollen Zeit von Dieter Kosslick eine Übergangslösung.
Wer Chatrians Moderationen von Filmen mit schwierigen, schweren Themen erlebt hat, konnte feststellen, welch ein belesener cineastischer Experte dort steht, der viele Informationen vermitteln kann. Aber die Mischung aus „Cineast, Zirkusdirektor und Dompteur“, von der Dieter Kosslick einmal sprach und so idealtypisch verkörpert hat, war Chatrian nie. Entsprechend haben seine Wettbewerbsprogramme in erster Linie die intellektuelle Nische innerhalb der Arthaus-Nische bedient, die im Kinoalltag eine untergeordnete Rolle spielt. Vieles, was die Welt des Films und des Kinos auch noch ausmacht, also Filme mit Schauwerten und einer gefälligeren Dramaturgie für ein größeres Publikum, hat Carlo Chatrian konsequent in die Sonderreihe Berlinale-Special gepackt, die ursprünglich einmal als Sektion für Filme gedacht war, die zwar wettbewerbstauglich, aber keine Weltpremieren sind.
Auch die Profile der vielen verschiedenen Sektionen sind unter Chatrians Ägide zunehmend verwässert worden. Vieles, was im Panorama zu sehen war, hätte gut in den Wettbewerb gepasst. Und Chatrians als eigene Duftmarke gerufene Reihe „Encounters“ war eine unnötige Konkurrenz zum Forum.
Insgesamt wurde der BERLINALE-Wettbewerb mit seiner Intellektualität denen in Locarno (wo Chatrian vorher Kurator war) immer ähnlicher. Ausverkauft war es dennoch fast immer, denn Berlin hat für jedes Thema und jede Art von Film ein Publikum. Allein: Glanz und Schwung waren Mangelware, und in dieser Hinsicht ist Chatrian in Berlin gescheitert, auch wenn sein diesjähriges Programm zumindest sehr abwechslungsreich war. Es gab viele sehenswerte Produktionen, von der an dieser Stelle im Verlauf des Jahres noch zu lesen sein wird.
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Max-Peter Heyne - 27. Februar 2024 ID 14637
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de
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