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75. BERLINALE

Kontinental ´25

von Radu Jude


Bewertung:    



Ein alter Bekannter im BERLINALE-Wettbewerb ist Radu Jude. Der rumänische Regisseur hat bereits 2021 mit Bad Luck Banging or Loony Porn den Goldenen Bären und 2015 mit Aferim! den Silbernen Bären für die beste Regie erhalten. Auch sein neuer Spielfilm Kontinental ’25 wurde wieder von der Wettbewerbsjury berücksichtigt und mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch ausgezeichnet. Radu Judes Filme zeigen auf schwarzhumorige Weise den offenen Rassismus in Rumänien gegen die Roma, Juden und andere Minderheiten. Vor allem die Geschichtsvergessenheit der Rumänen gegenüber ihrer Vergangenheit z.B. während des Zweiten Weltkriegs ist immer wieder Thema seiner Filme. Aber auch soziale, durch Kapitalismus und Gentrifizierung verursachte Probleme sowie die Korruption von politischen Eliten und die Scheinheiligkeit des bürgerlichen Mittelstands nimmt der Regisseur regelmäßig in recht bissigen und politisch ziemlich inkorrekten Dialogen aufs Korn.

So auch im lediglich mit einer Handykamera in der geschichtsträchtigen Stadt Cluj (Klausenburg) in Siebenbürgen gedrehten Film Kontinental ’25. Cluj ist eines der wichtigsten kulturellen und wissenschaftlichen Zentren Rumäniens und verfügt über eine multiethnische und -religiöse Bevölkerung mit hohem Anteil an ungarisch-stämmigen Einwohnern. Nach dem Beitritt Rumäniens 2004 zur EU wurde viel in die Stadt investiert, und es kam zum wirtschaftlichen Aufschwung. Das historische Cluj mit seiner römischen, deutschen, ungarischen und habsburgischen Vergangenheit zieht vermehrt auch Touristen an. Radu Jude kontrastiert zu Beginn die deutlich im Stadtbild erkennbaren Zeichen des Aufschwungs, indem er fast dokumentarisch mit der Kamera einem stetig fluchenden und sich auch sonst danebenbenehmenden Obdachlosen beim Sammeln von Pfandflaschen in einem grotesk surrealen Dinopark und beim Betteln in den Fußgängerzonen folgt.

Jener Obdachloser Ion (Gabriel Spahiu) wohnt in einem Heizungskeller eines zum Abriss stehenden Wohnhauses, das dem Bau eines Luxushotels namens Kontinental weichen soll. Die erfolgreiche Klage auf Räumung der sich K.u.K. nennenden Investitionsfirma muss von der Gerichtsvollzieherin Orsolya (Eszter Tompa) durchgesetzt werden. Sie rückt eines Tages mit dem Hausmeister und drei vermummten Gendarmen an. Schon das allein ist eine Farce. Der arme überrumpelte Obdachlose, einst erfolgreicher rumänischer Leichtathlet, erbittet sich einige Minuten zum Zusammenräumen seiner Habseligkeiten und erhängt sich, während das Räumkommando auf einer Parkbank philosophierend eine Kaffeepause macht, mit einem Draht am Heizkörper.

Im Weiteren zeigt der Film die ungarisch-stämmige Gerichtsvollzieherin, die nun, von schrecklichen Gewissensbissen geplagt, bei Kollegen, Freunden und Familie um Rechtfertigung ringt und nach Absolution sucht. Scheinbar traumatisiert schickt sie ihren Mann und die Kinder allein in den Urlaub nach Griechenland und gibt sich ihrem liberalbürgerlichen Weltschmerz hin. Sie trifft eine Freundin (Oana Mardare), die ihr ebenfalls von einem stinkenden Obdachlosen in einer Garage hinter ihrem Haus erzählt. Spenden per Handy-Vertrag ist hier der moderne Ablass. Der Besuch bei Orsolyas ungarisch-nationalen, Orban verherrlichenden Mutter (Annamária Biluska) endet im Streit. Irgendwann versucht es Orsolya schließlich doch mit der Religion. Das Gespräch mit einem Bibelsprüche klopfenden Popen (Șerban Pavlu), der ansonsten wenig Feingefühl besitzt, ist ein weiterer Hinweis dafür, wie egal Gott und dem Klerus vermutlich die Menschen sind.

Locker wird Orsolya erst bei der zufälligen Begegnung mit einem ehemaligen Jurastudenten und Schüler von ihr. Die spontane Verabredung mit Fred (Adonis Tanța), der nun für einen Lieferservice Rad fährt und sich auf seine Box auf dem Rücken „Ich bin Rumäne“ in Leuchtbuchstaben geklebt hat, um nicht von Ausländer hassenden Rumänen angefahren zu werden, ist ein herrlich schräges mit zenphilosophischen Anekdoten gespicktes Besäufnis, das in einem betrunkenen Quickie im Gebüsch des nächtlichen Parks endet. Radu Jude spickt seine absurden Dialoge wie immer mit vielen Zitaten u.a. von Brecht oder verweist auf Filme wie Perfect Day von Wim Wenders. Kontinental ’25 spielt nicht nur im Titel auf Roberto Rossellinis Europa ’51 an. Der Versuch, die Menschheit mit guten Taten zu retten, scheitert hier an der allgemeinen Ignoranz. Die Heiligsprechung bleibt aus.

Der Film erzählt das in der typisch skurrilen und rücksichtslos entlarvenden Art des Regisseurs, als wäre es gerade eben hinimprovisiert den Hirnen der Darstellenden entsprungen. Genau das ist die recht wirkungsvolle Masche Judes, der damit auf die Selbstverständlichkeit von Dummheit, Hass und Rassismus in Rumänien hinweist. Etwas, was auch in Deutschland keine Seltenheit mehr ist.



Kontinental '25 | (C) Raluca Munteanu

Stefan Bock - 24. Februar 2025
ID 15162
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de


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Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal

 


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