Mit der Faust in die Welt schlagen
nach dem Roman von Lukas Rietzschel
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Bewertung:
Mit seinem 2018 erschienenen Romandebüt Mit der Faust in die Welt schlagen wurde der 1994 in Räckelwitz (sächsische Oberlausitz) geborene und in Görlitz lebende Schriftsteller Lukas Rietzschel erstmals bekannt. Wie sein 2021 erschienener zweiter Roman Raumfahrer (Staatstheater Cottbus) wurde das Buch auch für die Bühne (Staatsschauspiel Dresden) bearbeitet. Während der Corona-Pandemie zeigte das Schauspiel Leipzig sein erstes Theaterstück Widerstand online als Theaterfilm. Sein zweites Theaterstück Das beispielhafte Leben des Samuel W. (Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau) über den Aufstieg und Fall eines AfD-Politikers in Görlitz gastierte 2023 bei den Autorentheatertagen im Deutschen Theater Berlin. Rietzschel beschäftigt sich in seinen Werken vorwiegend mit den Erlebnissen der nach der Wiedervereinigung in Sachsen geborenen Jugendlichen. Diese Generation, die keine eigenen DDR-Erfahrungen hat, ist dennoch durch das Erleben der Elterngeneration v.a. während der Wende mit deren Folgen konfrontiert. Rietzschel thematisiert u.a. auch das Abdriften Jugendlicher in den Rechtextremismus und das Erstarken der AfD im Osten.
Nach den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, wo die AfD teilweise über 30 Prozent der Wählerstimmen erlangte, steht die zu Teilen als rechtsextremistisch eingestufte Partei kurz vor der Wahl zum Deutschen Bundestag auch im Bundestrend bei gut 20 Prozent. Es lässt sich darüber streiten, ob da die Thesen von der ostdeutschen Protestpartei und den überwiegend rechts zu verortenden Ostdeutschen noch greift. Auch Rietzschels Texte liefern dazu keine allgemeingültige Aussage.
Die Regisseurin Constanze Klaue, 1985 in Ostberlin geboren, will mit ihrer recht freien Spielfilmadaption des Romans diese vorherrschende Sicht auch nicht unbedingt bestätigen. Im Gegensatz zum literarischen Original, das in der Zeit zwischen 2000 und 2016 in dem Dorf Neschwitz in der sorbischen Oberlausitz spielt und bestimmte historische Ereignisse genau benennt, verlegt die Regisseurin ihren Plot in ein namenloses Dorf in der Lausitz nahe Hoyerswerda. Wer die fremdenfeindlichen, pogromartigen Gewalttaten der 1990er Jahre in dieser Stadt kennt (empfohlen sei hier der dokumentarische Roman Kinder von Hoy - Freiheit, Glück und Terror von Grit Lemke), kann aber schon die Parallelen zur im Jahr 2006 beginnenden Filmhandlung ziehen.
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Wie im Roman erzählt der Film die Geschichte zweier Brüder, dem 12jährigem Philipp (Anton Franke) und dem 9jährigen Tobi (Camille Moltzen) und ihrer Eltern Sabine (Anja Schneider) und Stefan (Christian Näthe), die nach Jahren Selbstbau aus dem dorfnahen Plattenbau endlich in ihr immer noch nicht ganz fertige Eigenheim ziehen. Der Vater ist unter der Woche als Elektriker in Bayern auf Montage, die Mutter arbeitet als Krankenschwester in der nahe gelegenen Klinik. Viel Zeit haben sie nicht für ihre Söhne, die etwas strenge Großmutter (Swetlana Schönfeld) muss hin und wieder im Alltag aushelfen. Wer genau hinsieht, kann hier sehr gut DDR-typische Generationsmuster ausmachen. Ansonsten hält sich die Regisseurin mit üblichen Ost-Klischees wohltuend zurück. Das Moped des rechtsextremen Schulkameraden, um dessen Freundschaft Philipp buhlt, ist aber schon das für die heutige Ostidentität passende Model Simson S51 aus DDR-Produktion in Suhl.
Die Jungs haben ihre Freiheiten, sind viel gemeinsam in der Natur unterwegs. Die beiden Jungdarsteller sind in ihren Rollen wirklich großartig und jederzeit glaubhaft. Was den Brüdern fehlt, ist die Geborgenheit in der Familie, die irgendwie zu funktionieren versucht, aber durch den ständigen Streit der Eltern über fehlendes Geld bis zu Dauermängeln an Haus und Auto, die der Vater nicht reparieren kann, gestört ist. Schließlich fängt er wieder an zu trinken, neigt zu verbalen Ausbrüchen gegen Philipp und beginnt ein Verhältnis mit der Nachbarin. Uwe (Meinhard Neumann), ein ehemaliger Kollege des Vaters, arbeitslos und schwerer Trinker, ist ein Musterbeispiel des Versagens. Der Stasiverdacht und Klagen wegen häuslicher Gewalt machen ihn zum gemiedenen Außenseiter. Er fährt irgendwann mit dem Auto in den Steinbruch. Die Jungs warten auf die Busanbindung in die neue Schule in der Stadt, die alte Schule verfällt so langsam. Die Lehrkräfte (zumeist noch alte DDR-Schule) sind zunehmend überfordert. Eine rechte Clique treibt im Dorf ihr Unwesen, schmiert Hakenkreuze und legt einer türkischen Familie einen Schweinekopf vor die Haustür.
Offene Gewaltszenen vermeidet der Film weitestgehend. Die Gewalt bricht sich hier aber durch das Versagen und Schweigen der Elterngeneration in der Familie Bahn. Der Zusammenhalt der Brüder bricht auseinander wie die Ehe der Eltern. Durch die Beschäftigung mit den eigenen Problemen lassen die Eltern ihre Kinder zunehmend allein. Philipp holt sich schließlich die fehlende Bestätigung bei der rechten Clique. Später, der Film deutet das in einem Epilog zu Beginn der Flüchtlingskrise 2015 an, wird ihm der nun 16jährige Tobi auf diesem Weg folgen. Industrieller Niedergang (hier Schließen eines Eisenbahnwerks) und der tägliche Kampf ums Geld sind die osttypischen Probleme jener Zeit. Die zunehmende Orientierung der Jugendlichen nach rechts ist dadurch sicher nicht schlüssig zu erklären. Das Fehlen anderer Angebote und vorgelebter Werte sind aber immer auch ein Risiko für extreme Entwicklungen. Das zeigen Roman wie Film, auch wenn hier die Neonazis ein wenig wie frisch vom Himmel gefallen wirken. Dennoch bietet der Film eine gute Gesprächsgrundlage zur Aufarbeitung in Ost wie West.
Der Kinostart ist für den 3. April 2025 vorgesehen.
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Mit der Faust in die Welt schlagen | (C) Flare Film - Chromosom Film
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Stefan Bock - 22. Februar 2025 ID 15159
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de
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