Von Schmerz
und Schönheit
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Bewertung:
Pferde stehlen ist die Verfilmung eines der erfolgreichsten Bücher Norwegens, von dessen Autor Per Petterson es heißt, dass er wie kein zweiter die norwegische Variante des Weltschmerzes in Worte fassen kann. Da spielen die einsame Landschaft, die langen Winter und Sommer sowie die Urgewalt der Natur eine Rolle, die den gleichnamigen Film von Hans Petter Moland zu einem cineastischen Genuss machen, dem es gelingt, die Akteure teilweise von der Natur bestimmen zu lassen und in die er sie eingebettet. Auf der diesjährigen BERLINALE gab es folgerichtig auch für den Kameramann Rasmus Videbæk den Silbernen Bären für seine „Herausragende Künstlerische Leistung“. Moland geht den Fragen nach: „Wie werden wir zu dem, wer wir sind? Welche Last haben wir zu tragen? Und was machen wir, um zu überleben? Leben wir unser Leben so, wie es für uns am besten ist?“
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Der alte Trond (Stellan Skarsgård) ist gerade Witwer geworden und scheint mit dem Leben abgeschlossen zu haben. Es ist das Jahr 1999, und er zieht sich in die Einsamkeit eines Dorfes mitten in einem Waldgebiet zurück, und die Dunkelheit und der tiefe Winter mit dem hohen Schnee scheinen zu seiner Stimmung zu passen. Vor 50 Jahren hat er als Jugendlicher schon mal einen Sommer dort verbracht, und so holen ihn die Erinnerungen ein. Der junge Trond (Jon Ranes) war dort mit seinem Vater (Tobias Santelmann) zusammen, der als Holzfäller arbeitete. Der Junge glaubte, dass er die Arbeit angenommen hätte, um mehr Zeit mit seinem Sohn verbringen zu können, aber der hatte wohl andere Absichten. Trond verliebt sich in die schöne Frau des Nachbarn (Danica Ćurčić), die älter als er ist und Kinder hat. Es sind die ersten zarten Knospen der Liebe, die er erlebt, und umso mehr schmerzt es ihn, als er herausfindet, dass sie der eigentliche Grund ist, warum sein Vater dorthin ging. Trond hilft beim Holzfällen und kann sich bei der schweren Arbeit bewähren. Trotzdem hat er noch Flausen im Kopf und schnappt sich mit einem Nachbarsjungen unerlaubt Pferde, mit denen sie durch die Landschaft galoppieren. Der Nachwuchsschauspieler Jon Ranes schafft es wunderbar, den Pubertierenden mit all seinen Sehnsüchten, Unsicherheiten und in seiner Verletzbarkeit zu zeigen, und Stellan Skarsgård scheint als Trond mit einem zunehmend liebevollen Blick auf sein jugendliches Alter ego zu schauen. Trond hat in diesem Sommer seinen Vater das letzte Mal gesehen, und der Schmerz über den Verlust, die ungestellten Fragen und all das Ungesagte verarbeitet er nun. „Das Alter ist eine verrückte Sache. Ich habe schon lange damit aufgehört, vor dem wegzulaufen, wer ich war und wer ich bin. Es ist zwecklos“, erklärt Moland.
Die Geschichte ist von Schicksalsschlägen und einigen Todesfällen gekennzeichnet, die zwar wahrgenommen werden, über die aber nicht gesprochen wird. Leben und Sterben werden in dieser beeindruckenden Landschaft irgendwie relativiert, Eltern leben nach dem Tod ihres Kindes weiter - und derjenige, der unwissentlich und unabsichtlich das Kind zu Tode kommen ließ, auch. Diese Ereignisse tragen zum Weltschmerz bei, weil sie nie thematisiert und angenommen wurden. Jetzt im Alter und in der Abgeschiedenheit kann Trond den Schmerz, aber auch die Schönheit zulassen.
Es sind jedoch nicht nur die Landschaften, sondern auch persönliche Entscheidungen z.B. während der Zeit der Besetzung Norwegens durch deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg: Kollaboriert man mit dem Regime, oder hilft man gefährdeten Menschen bei der Flucht über den nahen Grenzfluss ins freie Schweden. Alle diese Bausteine tragen zur melancholischen Grundstimmung bei. Moland ist ein intensiver und atmosphärisch dichter Film gelungen, der sich auch traut, Dinge nicht vollständig auszuformulieren. Pferde stehlen lässt starke Gefühle zu, ohne sie zusätzlich zu dramatisieren, und erlaubt Schmerz und Schönheit gleichermaßen: Der Film „erzählt auf sanfte Weise, dass Verzeihen menschlich ist. Es ist kein Rührstück. Es geht um tragische Fehler, die das Leben verändern. Die Figuren bewegen sich in einer Welt, fernab aller Einflüsse von außen. Ihre Probleme und Konflikte finden in ihrem eigenen Mikrokosmos statt“.
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Pferde stehlen | © 2019, 4 1/2 Fiksjon As, Zentropa Entertainments5, Zentropa Sweden, Nordisk Film, Helgeland Film
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Helga Fitzner - 27. März 2020 ID 12118
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