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27. Filmfestival Cottbus | 7. - 12. November 2017


1917-

Der

wahre

Oktober



Bewertung:    



2017 jährt sich zum 100. Mal die sogenannte Oktoberrevolution, bei der die Bolschewiki gewaltsam die Macht über Russland an sich riss. Zu diesem Thema ist in unzähligen Geschichtsbüchern viel geschrieben worden. Fünf Jahre nach der Oktoberrevolution begann Lenin auch das Medium Film für Propagandazwecke zu nutzen. Bekanntestes Filmzeugnis der damaligen Ereignisse ist der 1927 von Sergei Eisenstein (Regisseur des berühmten Stummfilms Panzerkreuzer Potemkin über die gescheiterte Revolution von 1905) gemeinsam mit seinem Kollegen Grigorij Alexandrow gedrehte Revolutionsfilm Oktober, in dem der legendäre Sturm auf das Winterpalais im Stile eines Dokumentarfilms nacherzählt wird. Das sind nach wie vor die Bilder, die im Gedächtnis der Menschheit mit diesem die Welt erschütternden Ereignis in Verbindung gebracht werden.

Regisseurin Katrin Rothe wollte aber wissen, „wie die Revolution damals von Künstlern erlebt wurde“. Geschichten aus erster Hand sozusagen. Die Grimme-Preisträgerin hat anhand der Aufzeichnungen von 5 Protagonisten aus der St. Petersburger Künstlerszene, die in jener Zeit aktiv an den Umwälzungen beteiligt waren, eine ganz spezielle filmische Dokumentation aus Sicht der kreativen russischen Avantgarde und Intelligenzija auf das Jahr 1917 geschaffen. Rothe projiziert die Ereignisse ausgehend von der Februar-Revolution und der Abdankung des Zaren über die Zeit der Doppelherrschaft der Sowjets und provisorischen Kerenski-Regierung bis zum Sturm auf das Winterpalais durch die Bolschewiki im Oktober auf einem roten Zeitstrahl in ihrem Wohnzimmer.

Für ihren dokumentarischen Animationsfilm 1917- Der wahre Oktober benutzte die Regisseurin die konventionelle Legetricktechnik, bei der Figuren aus Papier, Pappe und Stoff in vielen Einzelaufnahmen vor einem gezeichneten oder auch realen Hintergrund bewegt werden. So entstehen recht kunstvolle und lebendige Bilder, die heraus aus den Salons der Künstler immer wieder die Stimmung auf den Straßen zeigen und reflektieren. So etwa in den Tagebuchaufzeichnungen der skandalumwitterten Dichterin Sinaida Hippius, die einen legendären Künstlersalon in Petersburger unterhielt und eng mit dem Chef der Übergangsregierung Alexander Kerenski befreundet war. Über damaligen Massenproteste gegen den Krieg und Hunger in Russland vor der Duma schrieb sie: „Gut wäre es, wenn man blind und taub wäre, einfach kein Interesse zeigte, Gedichte schriebe von Ewigkeit und Schönheit. Ach wenn ich das nur könnte.“ Aber sie weiß auch um bevorstehenden Zusammenbruch der alten Macht der Obrigkeit und ihrer erfolglosen Politik der immer weiteren Entfernung vom Volk. „Deshalb wird das, was kommen wird, nackt und bloß sein, von unten kommend“, prophezeit die düster aus ihrer Wohnung schauende Dichterin den kommenden Umsturz.

Dagegen ist die Begeisterung des jungen futuristischen Dichters Wladimir Majakowski, der bei den motorisierten Truppen in Petersburg stationiert ist, nahezu grenzenlos. Er schreibt eine Poetokronik der Revolution, beteiligt sich an Demonstrationen und Versammlungen und sieht die Bolschewiki der Kunst heraufziehen. Seine Aufritte mit Schiebermütze und roter Schleife am Reverse sind mit Beatboxing unterlegt. Ähnlich ist es mit dem avantgardistischen Maler und Soldaten Kasimir Malewitsch, der ein revolutionäres Manifest der Kunst nach dem anderen veröffentlicht und in einer farbig bunten, seine suprematistischen Kunst wiederspiegelnden Kleidung dargestellt ist. Allerdings blieb es nicht bei der anfänglichen Euphorie. Malewitsch wurde 1926 als avantgardistischer Künstler und Hochschullehrer von Stalin kaltgestellt. Majakowski nahm sich 1930 enttäuscht das Leben.

Nachdenklicher und reflektierten sind da die später in Paris geschriebenen Memoiren des Maler und Kunstkritikers Alexander Benois. Er engagiert sich zusammen mit dem Schriftsteller Maxim Gorki in einem marxistischen Künstlerkomitee, das zunächst in Gorkis Wohnung tagte, sich später nach der Oktoberrevolution aber wieder auflöste. Auch Gorki als Marxist und langjähriger Weggefährte Lenins ist skeptisch und glaubt nicht an den Sieg der Straße. Er schreibt viel in der Zeitschrift Nowaja Shisn, kritisiert Plünderungen und Kunstvandalismus, ist sogar für eine Weiterführung des Krieges. Mehr oder weniger aber werden diese kritischen intellektuellen Geister, wie auch die gegen die wachsende Agitation der Bolschewiki argumentierende Dichterin Hippius, vom Druck der Straße überrollt.

Was die unzufriedenen Massen eint, sind der Hunger und der Hass auf den Krieg und die nicht handelnde provisorische Regierung. Immer wieder schneidet die Regisseurin schwarze bewaffnete Kämpferreihen aus und lässt sie über blutrote Straßen marschieren. Die alte Macht bricht zusammen. Erste Struktur bekommt der Aufstand durch die Bildung der Arbeiter- und Soldaten-Räte. Das Volk aus Arbeitern, Bauern und desertierten Soldaten, dem die zumeist noch im Exil oder der Verbannung lebenden Führer fehlen, organisiert sich selbst. Dafür, wie diese revolutionäre Situation durch die zahlenmäßig gar nicht so bedeutende Bolschewiki unter Lenin und Trotzki ausgenutzt werden konnte, kann der Film zwar auch endgültige keine Erklärung bieten. Er bildet aber ein der Ästhetik der Zeit gerechtes filmisches Kunstwerk, das gut die schwierige Rolle der Kunst in der Revolution zeigt.



1917 - Der wahre Oktober | (C) Katrin Rothe Filmproduktion


Erfreulich ist, dass der bereits im Mai angelaufene Film nun nochmal in der Reihe „Bruderkuss: Vision und Alltag - Sozialistische Realitäten im osteuropäischen Kino“ beim 27. Filmfestival Cottbus zu sehen war. Der 90minütige Streifen kann noch bis zum 1. Dezember in einer gekürzten Fassung in der Mediathek des koproduzierenden Senders arte gesehen werden.
Stefan Bock - 9. November 2017
ID 10360
Link zum Film: http://www.1917-derfilm.de/


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