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BERLINALE

So long, my son! – Kosslicks letzte Berlinale




Ich war nicht zu Hause in den letzten 12 Tagen Berlinale, aber: Es hat sich gelohnt! Lediglich in den ersten drei Jahren und noch ein-, zweimal während der Ära Dieter Kosslick kann ich mich an ein noch interessanteres Hauptprogramm bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin erinnern. Dass lag erfreulicherweise auch an den Beiträgen, die von weiblichen Regisseuren stammten, die 2019 40 Prozent des Wettbewerbs ausmachten – so viel wie noch nie! Das wiederum ist eines der großen Verdienste des "Gleichstellungsbeauftragten" Dieter Kosslick, der sich schon lange um Parität bemühte – wovon sich der Macho-Verein in Cannes eine dicke Scheibe abschneiden kann.

So war es nur angemessen, dass zum Abschluss der 69. Ausgabe des nach Film- und Besucherzahlen größten Festivals der Welt neben Jurypräsidentin Juliette Binoche und ihren Mit-Jurorinnen Trudie Styler und Sandra Hüller noch einige andere Frauen auf der Bühne erschienen. Darunter waren z.B. die deutschen Regisseurinnen Angela Schanelec, die den Regie-Preis für Ich war zuhause, aber erhielt, und ihre ebenfalls deutsche Kollegin Nora Fingscheidt, die für ihr Drama um ein schwer erziehbares Kind, Systemsprenger , auch einen Silbernen Bären erhielt, den Alfred-Bauer-Preis für innovatives Kino. Diese und auch die anderen Preise fielen nachvollziehbar und verdient aus; Peinlichkeiten wie im vergangenen Jahr, als ausgerechnet unter dem deutschen Jurypräsident Tom Tykwer (Lola rennt) viel Mittelmaß aufs Schild gehoben wurde, blieben uns dieses Jahr erspart.

Wer wie ich 35 Berlinalen erlebt hat, weiß, dass das Genörgel über ein vermeintlich unattraktives oder qualitativ mäßiges Wettbewerbsprogramm längst zur Folklore geworden ist und unter Kosslicks Vorgänger de Hadeln noch viel heftiger erschallte (auch dies war übrigens oft ungerecht). Der humorvolle Schwabe Kosslick wurde gefeiert und herzlich verabschiedet, denn seit seinem Amtsantritt 2001 hat er viel bewirkt: Er hat die Fachmesse und den Talent Campus für die Branche ausgebaut, den World Cinema Fund und den Ko-Produktionsmarkt für Filmfinanzierung eingerichtet und das Festival mit (damals!) innovativen Reihen wie der Perspektive Deutsches Kino, Berlinale Goes Kiez, der Reihe für Filme mit indigenen Themen und dem Kulinarischen Kino erweitert.

Zusammen mit Glamour und gutem Marketing sorgten die alten und neuen Reihen für kontinuierlich steigende Besucherzahlen und machten die Berlinale zum Cineasten-Pendant der Love Parade: alle wollten hin und dabei sein. Offiziell heißt es heuer aus der Presseabteilung: 22.000 akkreditierte Besucher aus 135 Ländern, 550 Aussteller aus 67 Ländern und sage und schreibe rund 1.000 Filmvorführungen nur auf der Fachmesse, dazu dann 335.000 verkaufte Tickets in den öffentlichen Vorführungen der 400 neuen Filme. An das Gedränge haben sich die Besucher inzwischen gewöhnt, lange Schlangen gehören zur Berlinale dazu – niemanden stört es.

Dieter Kosslick hinterlässt also ein vielgestaltiges, aber stabiles, glänzendes – Labyrinth. Denn natürlich ist die Berlinale für das ungeschulte Auge enorm unübersichtlich und überfordert mit ihren überbordenden Strukturen aller Beteiligten. Kosslick selbst sagte schon vor rund zehn Jahren, die Berlinale zu verschlanken müssten seine Nachfolger organisieren. Diese, der gebürtige Italiener Carlo Chatriani als künstlerischer Leiter und die gebürtige Niederländerin Mariette Rissenbeek als geschäftsführende Leiterin stehen nun vor dieser Herkulesaufgabe. Einerseits soll das Festival weiterhin Stars, Fans, Medienvertreter und Intellektuelle anziehen, Cineasten-Futter und großes Kino, geile Stimmung, Brimborium und das Besondere bieten. Andererseits sollen sie das Programm lichten. Geht das überhaupt? Wer weniger Filme und weniger Vorführungen verlangt, muss bedenken, dass nahezu alle Vorführungen wieder ausverkauft waren und die Ticketeinnahmen nicht zu verachten sind. Vermutlich wäre Schrumpfen allein kein Fortschritt.

Richtig ist, dass es in den meisten Programmreihen ein schärferes Profil geben könnte. Mit "nur" 19 Wettbewerbsfilmen in der Konkurrenz um die Bären-Statuetten kann ich gut leben. Nicht alle Beiträge in den anderen Programmen hätten 2019 auf die große Leinwand gemusst. Und dennoch: auch darauf hatten viele Zuschauer Lust. In Berlin wird alles verschlungen. Die Nachfrage ist da, insofern werden Chatriani und Rissenbeek vielleicht gar nicht den Hobel ansetzen wollen. Problematischer ist ohnehin, dass sich das Festival als enorme Blase – inklusive eines Großteiles der traditionellen Filmkritik – vom Rest des Filmgeschehens abgesetzt hat. Unbestritten hat Dieter Kosslick viel erreicht und dem Festival und dem Kulturstandort Berlin neue Impulse verliehen. Aber das erklärte Ziel, mit dem Festival für den Erlebnisort Kino und das besondere Produkt Kinofilm zu werben, geht seit Längerem nicht mehr richtig auf. Das ist nicht Kosslicks Schuld. Als er antrat, steckten das Internet und die Streaming-Dienste noch in den Kinderschuhen.

Berlinale: Hunderttausende Zuschauer. 2018: stark rückläufige Zahlen beim Kinobesuch, vor allem bei der jüngeren Zielgruppe. Deutsche Filme auf der Berlinale: begehrt und beachtet. Beim Kinostart danach: meist Reinfälle. Die Gewinnerfilme, z.B. der Goldene Bär 2018 Touch me not: im Kinoalltag fand er nicht einmal 5.000 ZuschauerInnen. Das liegt natürlich auch am Film, aber nüchtern betrachtet bedeutet all dies, dass die Berlinale den einzelnen Filmen keine Rückendeckung mehr verschaffen kann. Im besten Falle gibt es etwas Medienecho, über das sich die Kollegen und Kolleginnen von den PR-Agenturen freuen, die für ihre Kunden Artikel sammeln. Selbst die deutsche Filmkritik ist während der Berlinale wie abgekoppelt vom Tagesgeschäft, tadelt ein vermeintliches Mittelmaß, das an den Kinokassen hernach oft die meisten Zuschauer findet. Diese Entkoppelung gab es unter anderem Vorzeichen schon während der Ära von Moritz de Hadeln, Kosslicks Vorgänger. Damals war die Rede von einem „Arbeitsfestival“, bei dem die Cineasten und Independent-Filmfreunde intellektuelle Debatten führten, aber die großen Hollywood-Beiträge, die Stars und der Glamour oft schmerzlich vermisst wurden.

Diese Trennung gibt es in dieser Schärfe inzwischen nicht mehr, auch wenn Dieter Kosslick in den letzten Jahren nicht mehr viele US-Produktionen an die Spree locken konnte. Nun aber handelt es sich bei der Berlinale um ein gigantisches Raumschiff, das einmal im Jahr landet und die Aufmerksamkeit bündelt, während die Arthaus-Filme und -Kinos das restliche Jahr ums Überleben kämpfen – vor allem, wenn es heiß ist. Das ist die Konsequenz einer sich stark potenzierten Event-Kultur, an der Filmfestivals, seit sie vor rund 20 Jahren begannen, die früheren Programmkinos zu ersetzen, ironischerweise einen bedeutenden Anteil haben. Dies ist nun nicht mehr rückgängig zu machen. Umgekehrt ist zu fragen: Müssen die Herausforderungen der Zukunft, d.h. die zunehmende Dominanz der Streaming-Anbieter und ihrer Serienproduktion noch stärker ins Festival eingebunden werden? Und außerdem auch – wie schon in Venedig die Regel – Sonderformate wie Virtual Reality-Filme und Ergebnisse anderer Technologien? Wenn dann aber alles Event wird bzw. von einem Riesen-Event absorbiert wird, stellt sich sehr bald wieder die Frage der Reduktion. Zurück zum Kerngeschäft ohne Streaming-Produktionen, ohne TV-Serien, ohne VR? Ist Kino für Filmproduzenten überhaupt noch das Kerngeschäft?

Dieter Kosslick kann froh sein, dass er diese Quadratur des Kreises nicht mehr lösen muss.



Goldener Bär für den Besten Film: Synonymes von Regisseur Nadav Lapid und Produzent Said Ben Said | (C) Ali Ghandschi / Berlinale 2019

Max-Peter Heyne - 18. Februar 2019 (2)
ID 11234
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de


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