PERSPEKTIVE DEUTSCHES KINO
Die Einzelteile der Liebe
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Immer mehr deutsche Filmschaffende entdecken die Liebe als Hauptthema wieder. Und das nicht nur in krachledernen Komödien! Im vergangenen Jahr zählten die zarten Liebesgeschichten 303 von Hans Weingartner und In den Gängen von Thomas Stuber zu den schönsten Filmen des Jahres. Die Einzelteile der Liebe können Kind und Kegel sein, im sehr originellen Film von Drehbuchautorin und Regisseurin Miriam Bliese nimmt hat der Titel aber eher Bezug auf den dramaturgischen Aufbau: Bliese bäumt das Pferd quasi von hinten auf und startet die Erzählung von Sophie und Georg ausgehend von ihrer Trennung. Dann folgen sukzessive die Einzelteile sprich Sequenzen, deren Themen sich mit Annäherung, Glück zu zweit, Streitereien, Entfremdung und schließlich Abneigung umschreiben lassen. Hass, obschon das Wort von Sophie ausgesprochen wird, wäre wohl ein zu starkes Etikett für das Ende. Denn es gibt noch einen versöhnlichen Epilog, vielleicht sogar einen Neuanfang.
Nachtigall, ick hör‘ Dir tapsen – es handelt sich hier um eine Variante des deutlich dramatischeren Dramas 5×2 – Fünf mal zwei (2004) vom französischen Meisterregisseur François Ozon (der für seinen neuesten Film Grace à Dieu soeben den Silbernen Bären als Großen Preis der Jury auf der Berlinale erhielt). Natürlich hätte auch Blieses Film nicht die besondere Raffinesse, wenn sie das Allerweltthema des Scheiterns einer Beziehung nicht von rückwärts erzählt hätte. Aber die Einzelteile ihres Films, insbesondere die Schauspieler, die Schauplätze, die Dialoge und die Situationskomik (oder -tragik, je nachdem) sind denn doch so überzeugend, dass der Film seinen hohen Unterhaltungswert auch dann behielte, würde man die Sequenzen in die chronologische Reihenfolge setzen (was Ozon mit 5x2 übrigens für eine Alternativ-DVD in Frankreich getan hat). Miriam Bliese fügt der Handlung noch einen weiteren innovativen Mehrwert hinzu, nämlich dass die meisten Sequenzen draußen vor Spohies und Georgs Wohnung spielen, auf einem Terrassenvorsprung, im Kellereingang, im Park vor dem Haus etc. Näher als bis in den Hausflur kommen wir dem Paar nicht (ins Bett schon gar nicht!) – eine interessante Form der dramaturgischen Diskretion, wie Miriam Bliese überhaupt viele Dinge ausspart, um zum Nachdenken anzuregen.
Außerdem ist die Regisseurin offenbar eine gute Beobachterin menschlicher Schwächen und hat daraus sehr lebensechte, heutige Charaktere entworfen, zu denen auch die Männer gehören! Jenseits jedweder Klischees sind es eben nicht die inzwischen handelsüblichen nölenden, herumeiernden Schluffis oder ignorante Karriertypen (von denen es im Berlinale-Programm auch wieder einige Exemplare zu sehen gab), sondern emanzipierte Männer, die auch gerne mal Schwächen zeigen, um Frauen zu beeindrucken. Umgekehrt sind die Frauen bei Bliese nicht nur Opfer oder Gutmenschen, sondern machen auch Dummheiten. Die Schauspieler passen ausnahmslos hervorragend auf ihre Rollen, und den bislang unbekannten, spielfreudigen Hauptdarstellern Birte Schnöink (Sophie) Ole Lagerpusch (Georg) sieht man bei ihren Flirts und Streits gerne zu.
Die Dialoge und die schauspielerischen Nuancen sitzen, insofern muss auch nicht viel geschrien und herumgehampelt werden. Wenn Ole Lagerpusch witzelt, aber ein wenig die Augen verdreht, ahnt der Zuschauer bereits, dass ihn seine Partnerin nicht nur amüsiert. Dass die Zeit vergeht und die Probleme nicht weniger werden, sieht man an dem heranwachsenden Kind, Jakob (Justus Fischer), der als typisches Scheidungskind damit zurechtkommen muss, dass er sowohl Mama und Papa liebt, aber selbst sieht, dass es zwischen den beiden nicht mehr gut funktioniert. Dabei fing alles so vielversprechend an, als Sophie und Georg sich kennenlernen, als Sophie von jemandem anderen gerade schwanger ist – und dies Georg nicht abschreckt! Erst der Alltag zehrt die Liebe auf, wie im richtigen Leben. Es bleibt schwierig. Aber nicht für Miriam Bliese, denn sie hat Talent.
Bewertung:
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Die Einzelteile der Liebe | © Markus Koob / dffb
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Max-Peter Heyne - 18. Februar 2019 ID 11230
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de
Post an Max-Peter Heyne
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