71. Internationale Filmfestspiele Berlin
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Special
Je suis Karl
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Der Titel ist eine Anspielung an das Motto „Je suis Charlie“, das viele Menschen aus Protest gegen den islamistischen Terrorangriff auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015 verwendeten. Im Thriller von Regisseur Christian Schwochow (Deutschstunde, Bad Banks) nach einem Originaldrehbuch von Thomas Hendrich wird der Slogan allerdings von rechtsradikalen Gruppen pervertiert, die sich zum Ziel setzen, durch Attentate die europäischen Gesellschaften zu destabilisieren und die Regierungen Richtung Autoritätsstaat zu katapultieren.
Der Film startet furios nach einer kurzen Einleitung mit einem verheerenden Bombenattentat in Berlin, bei dem ein halbes Haus zerstört und zahlreiche Menschen getötet werden. Vater Maxi (Milan Peschel) und seine Tochter Maxi (Luna Wedler) verlieren dabei Ehefrau bzw. Mutter. Dass ausgerechnet Alex die Bombe ahnungslos in Haus getragen hat, sorgt nach der Überwindung des ersten Schocks zu einer Distanzierung zwischen Vater und Tochter. Maxi ahnt nicht, dass der junge Karl (aalglatt und eiskalt: Jannis Niewöhner), der ihre Nähe sucht und zu trösten versucht, der von der Polizei gesuchte Attentäter ist.
Karl plant mit einem Netzwerk rechtsradikaler Gruppen in Paris und Prag weitere Terroranschläge, wobei sie sich mit einer vermeintlich harmlosen Fassade ausstatten: Als politisch eher liberal agierende Jugendbewegung, die für mehr Kontrolle von Einwanderern und die Bestrafung von Terroristen kämpft. Karl hält es daher nicht zuunrecht für eine publikums- und medienwirksame Aktion, wenn ausgerechnet Maxi als eine der Betroffenen der Berliner Bombenexplosion als Aktivistin in die krypto-faschistische Bewegung eingebunden wird. Während Maxi mit dem Feind im Bett landet, sucht ihr Vater verzweifelt nach einer Spur von ihr.
Hendrichs Drehbuch, das thematisch an den Roman Opernball von Autor Josef Haslinger von 1995 (!) erinnert, greift hochbrisante politische Themen auf und mahnt vor einem Ausnutzen fragiler gesellschaftlicher Zustände durch rechtsradikale Parteien und Gruppierungen. Ein Attentat mitten in Berlin, das Vorbote für eine ganze Welle der Gewalt und bürgerkriegsähnliche Zustände in Europas Hauptstädten sein soll, erscheint im Lichte des Terrors à la NSU nicht absurd. Insbesondere die Reaktionen der traumatisierten Opfer des Anschlags und ihre Hilflosigkeit, mit einer solchen Ausnahmesituation umzugehen, gelingen dank der Akteure Wedler und Peschel sehr überzeugend. Auch die Zusammenarbeit rechter Netzwerke und ihre Tarnung als ordnungsliebende Bürger knüpft an reale Tendenzen an.
Den angestrebten Spannungsbogen können Drehbuch und Regie allerdings nicht bis zum Ende halten. Zu konstruiert wirken bisweilen die Verknüpfung des Polit- und Terrorthemas mit der Familien- bzw. Liebesgeschichte. (Darin ähnelt Je suis Karl ähnlich gelagerten Thrillern wie Aus dem Nichts von Fatih Akin, 2017, und Exposed – Gefährliches Dreieck von James Toback, 1983.) Vor allem die Dichotomie zwischen der verunsicherten Maxi und dem skrupellosen Karl ist zu stark gezeichnet, sodass eine ernsthafte Beziehung zwischen ihnen eher unglaubwürdig erscheint. Aber gute, hintergründige und topaktuelle Unterhaltung bietet der ungewöhnliche Thriller allemal.
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Je suis Karl | © Sammy Hart / Pandora Film
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Bewertung:
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Max-Peter Heyne - 7. März 2021 (2) ID 12793
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de/
Post an Max-Peter Heyne
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